Gesichter waren etwas angehoben und schimmerten fahl im Mond.

»Koppe 'runter!« schrie Weber.

Die SS und die Kapos rannten die Reihen entlang und schrieen es nach. Sie' starrten zwischendurch selbst nach oben. Ihre Stimmen gingen in dem Larm verloren. Sie gebrauchten ihre Knuppel.

Weber ging, die Hande in den Taschen, am Rande des Platzes hin und her. Er gab keine weiteren Anordnungen. Neubauer kam herangesturzt. »Was ist los, Weber? Weshalb sind die Leute noch nicht in den Baracken?«

»Die Einteilung ist noch nicht gemacht«, erwiderte Weber phlegmatisch.

»Einerlei! Hier konnen sie nicht bleiben. Sie konnen auf dem offenen Platz Mir Truppen gehalten werden.«

Das Heulen der Sirenen anderte sich. »Zu spat«, sagte Weber. »In Bewegung sind sie noch besser sichtbar.«

Er blieb stehen und sah Neubauer an. Neubauer bemerkte es; er wu?te, da? Weber erwartete, er wurde zum Unterstand laufen. Argerlich blieb auch er stehen.

»Verdammter Blodsinn, uns die Kerle zu schicken«, schimpfte er.

»Unsere eigenen sollen wir durchkammen, und dann packen sie einem noch einen ganzen Transport auf den Hals! Widersinnig! Warum wird die Bande nicht in ein Vernichtungslager dirigiert?«

»Die Vernichtungslager liegen wahrscheinlich zu weit im Osten.«

Neubauer blickte auf. »Wie meinen Sie das?«

»Zu weit im Osten. Die Stra?en und Eisenbahnen mussen da fur andere Zwecke frei gehalten werden.«

Neubauer spurte plotzlich wieder den kalten Griff der Angst um den Magen.

»Klar«, sagte er, um sich selbst zu beruhigen. »Zum Aufmarsch an die Front. Wir werden es ihnen schon geben.«

Weber erwiderte nichts. Neubauer sah ihn mi?mutig an.

»Lassen Sie die Leute sich hinlegen«, sagte er. »Sie sehen dann weniger wie eine Formation aus.«

»Zu Befehl.« Weber schlenderte ein paar Schritte vor. »Hinlegen!« kommandierte er.

»Hinlegen!« wiederholte die SS.

Die Reihen fielen zusammen. Weber kam zuruck. Neubauer hatte zu seinem Hause gehen wollen; aber irgend etwas in Webers Haltung gefiel ihm nicht. Er blieb stehen.

Auch so eine undankbare Kreatur, dachte er. Kaum hat man ihm das Kriegsverdienstkreuz besorgt, da wird er schon wieder frech. Kunststuck! Was hat er auch schon zu verlieren? Die paar Stucke Blech auf seiner damlichen Heldenbrust, weiter nichts, der Landsknecht!

Es kam kein Angriff. Nach einiger Zeit ertonten die Entwarnungssignale. Neubauer drehte sich um.

»So wenig Licht wie moglich! Machen Sie etwas schneller mit dem Einteilen auf die Blocks. Im Dunkeln ist doch wenig zu sehen. Den Rest konnen die Blockaltesten mit der Schreibstube morgen erledigen.«

»Zu Befehl.«

Neubauer blieb stehen. Er beobachtete den Abmarsch des Transports. Die Leute richteten sich muhsam auf. Manche waren erschopft eingeschlafen und mu?ten von ihren Kameraden wachgeruttelt werden. Andere lagen da, zu erledigt, um noch gehen zu konnen.

»Die Toten zum Krematoriumshof. Die Bewu?tlosen mitnehmen.«

»Zu Befehl.«

Der Zug formierte sich und begann sich zu bewegen, den Weg hinunter zu den Baracken.

»Bruno! Bruno!«

Neubauer fuhr herum. Seine Frau kam vom Eingangstor her uber den Platz. Sie war fast hysterisch.

»Bruno! Wo bist du? Ist was passiert? Hast du -«

Sie sah ihn und stoppte. Ihre Tochter folgte ihr. »Was macht ihr hier?« fragte Neubauer sehr wutend, aber leise, weil Weber gerade in der Nahe war. »Wie seid ihr hier hereingekommen?«

»Der Posten. Er kennt uns doch! Du kamst nicht wieder, und da dachte ich, dir sei etwas passiert.

Alle diese Menschen -«

Selma sah sich um, als erwache sie. »Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt in meiner Dienstwohnung bleiben?« fragte Neubauer, immer noch leise. »Habe ich euch nicht verboten, hier hereinzukommen?«

»Vater«, sagte Freya. »Mutter war au?er sich vor Angst. Diese gro?e Sirene, so dicht bei -«

Der Transport bog in die Hauptstra?e ein. Er kam dicht an den dreien vorbei. »Was ist denn das?«

flusterte Selma.

»Das? Gar nichts! Ein Transport, der heute angekommen ist.«

»Aber -«

»Kein Aber! Was habt ihr hier zu suchen? 'raus!« Neubauer drangte seine Frau und seine Tochter beiseite. »Los! Vorwarts!«

»Wie die aussehen!« Selma starrte auf die Gesichter, die durch einen Mond« streifen zogen.

»Aussehen? Das sind Gefangene! Vaterlandsverrater! Wie sollen sie schon aussehen? Wie Kommerzienrate?«

»Und die sie da tragen, die -«

»Jetzt habe ich genug!« schnauzte Neubauer. »Das fehlt mir noch! Zimperliches Gerede! Die Leute sind heute hier angekommen. Wir haben nichts damit zu tun, wie sie aussehen. Im Gegenteil! Sie sollen hier aufgefuttert werden. Stimmt das nicht, Weber?«

»Jawohl, Obersturmbannfuhrer.« Weber streifte Freya mit einem leicht amusierten Blick und ging weiter.

»Da habt ihr es. Und nun 'raus! Verboten, hier zu sein. Dies ist kein Zoo!«

Er schob die Frauen weiter. Er hatte Angst, Selma konnte etwas Gefahrliches sagen.

Man mu?te nach allen Seiten hin aufpassen. Keiner war zuverlassig, auch Weber nicht. Verdammt, da? Selma und Freya gerade heraufkommen mu?ten, als der Transport da war! Er hatte vergessen ihnen zu sagen, sie sollten in der Stadt bleiben.

Selma ware aber sicher trotzdem nicht geblieben, als der Alarm kam. Der Teufel mochte wissen, warum sie so nervos war. Stattliche Frau, anderweitig. Aber wenn eine Sirene loslegte – wie ein blutarmer Backfisch.

»Die Wache werde ich mir mal vornehmen! Euch einfach 'reinzulassen! So was! Nachstens la?t sie jedermann 'rein!«

Freya drehte sich um. »Es werden nicht viele 'rein wollen.«

Neubauer stockte der Atem einen Moment. Was war das? Freya? Sein eigenes Fleisch und Blut?

Sein Augapfel? Revolution! Er sah in Freyas ruhiges Gesicht.

Sie konnte es nicht so gemeint haben. Nein, sie hatte es harmlos gemeint. Er lachte unvermittelt.

»Na, das wei? ich noch nicht. Diese hier, dieser Transport, die haben gebettelt, hierbleiben zu durfen. Gebettelt! Geweint! Was meinst du, wie die in zwei, drei Wochen aussehen werden? Nicht wiederzuerkennen! Wir sind hier das beste Lager in ganz Deutschland. Bekannt dafur. Ein Sanatorium.«

Vor dem Kleinen Lager waren noch zweihundert Mann des Transports ubrig. Es waren die Schwachsten. Sie stutzten sich gegenseitig. Sulzbacher und Rosen waren dabei.

Die Blocks standen angetreten drau?en. Sie wu?ten, da? Weber selbst die Einteilung kontrollierte.

Berger hatte deshalb 509 und Bucher zum Essenholen geschickt; er hatte vermeiden wollen, da? der Lagerfuhrer sie sah; aber sie waren von der Kuche zuruckgeschickt worden. Essen sollte erst verteilt werden, nachdem der Transport eingeruckt war.

Nirgendwo brannte Licht. Nur Weber und der SS-Scharfuhrer Schulte hatten Taschenlampen, die sie ab und zu aufblitzen lie?en. Die Blockaltesten meldeten.

»Steckt den Rest hier hinein«, sagte Weber zu dem zweiten Lageraltesten.

Der Lageralteste teilte die Leute ein; Schulte kontrollierte. Weber schlenderte weiter.

»Weshalb sind das hier so viel weniger als druben?« fragte er, als er zur Sektion D von Baracke 22 kam.

Der Blockalteste Handke stand stramm. »Der Raum ist kleiner als die anderen Sektionen, Herr Sturmfuhrer.«

Weber lie? seine Taschenlampe aufleuchten. Das Licht wanderte uber die starren Gesichter. 509 und Bucher standen im hinteren Glied. Der Lichtkreis glitt uber 509 hinweg, blendete ihn, glitt weiter und kam zuruck. »Dich

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