kenne ich doch! Woher?«
»Ich bin schon lange im Lager, Herr Sturmfuhrer.«
Der Lichtkreis glitt auf die Nummer herunter. »Zeit, da? du krepierst!«
»Es ist einer von denen, die kurzlich zur Schreibstube mu?ten, Herr Sturmfuhrer«, meldete Handke.
»Ach so, richtig.« Der Lichtkreis wanderte wieder zur Nummer herunter und dann weiter.
»Merken Sie sich doch mal die Nummer, Schulte.«
»Jawohl«, erklarte der Scharfuhrer Schulte mit frischer, jugendlicher Stimme. »Wie viele sollen hier hinein?«
»Zwanzig. Nein, drei?ig; sollen zusammenrucken.«
Schulte und der Lageralteste zahlten ab und notierten. Aus dem Dunkel beobachteten die Augen der Veteranen Schuhes Bleistift. Sie sahen nicht, da? er die Nummer von 509 aufschrieb. Weber hatte sie ihm nicht gesagt, und die Taschenlampe war wieder ausgeknipst worden. »Fertig?« fragte Weber.
»Jawohl.«
»Den Rest der Schreiberei kann die Schreibstube morgen erledigen. Marsch, da 'ruber! Und krepiert! Sonst helfen wir nach.«
Weber ging breit und zuversichtlich die Lagerstra?e zuruck. Die Scharfuhrer folgten ihm. Handke lungerte noch eine Weile umher. »Essenholer 'raus!« knurrte er dann.
»Bleibt hier«, flusterte Berger 509 und Bucher zu. »Ein paar andere konnen gehen. Es ist besser, da? ihr Weber nicht noch einmal vor die Fu?e rennt.«
»Hat Schulte meine Nummer aufgeschrieben?«
»Ich habe es nicht gesehen.«
»Nein«, sagte Lebenthal. »Ich habe vorne gestanden und aufgepa?t. Er hat es in der Eile vergessen.«
Die drei?ig Neuen standen eine Weile fast bewegungslos im wehenden Dunkel. »Ist Platz in den Baracken?« fragte Sulzbacher schlie?lich.
»Wasser«, sagte ein Mann heiser neben ihm. »Wasser! Gebt uns um Christi willen Wasser!«
Jemand brachte einen Blecheimer heran, der halb voll Wasser war. Die Neuen sturzten sich daruber und warfen ihn um; sie hatten nichts, womit sie trinken konnten, als ihre hohlen Hande. Sie warfen sich auf den Boden und versuch» ten, das Wasser damit aufzuschopfen. Sie stohnten. Ihre Lippen waren schwarz und schmutzig. Sie leckten den Boden ab.
Berger hatte gesehen, da? Sulzbacher und Rosen nicht bei der Attacke mitgemacht hatten. »Wir haben eine Wasserleitung neben der Latrine«, sagte er. »Sie rinnt nur; aber es wird mit der Zeit genug sein zum Trinken. Nehmt Eimer und holt es.«
Einer der Neuen fletschte die Zahne. »Damit ihr uns inzwischen das Essen wegfre?t, was?«
»Ich werde gehen«, sagte Rosen und nahm den Eimer.
»Ich auch.« Sulzbacher fa?te die andere Seite des Henkels.
»Bleib du hier«, sagte Berger »Bucher kann mitgehen und es ihm zeigen.«
Die beiden gingen. »Ich bin hier Stubenaltester«, sagte Berger zu den Neuen. »Wir haben Ordnung hier. Ich rate euch, mitzumachen. Ihr habt sonst ein kurzes Leben.«
Niemand antwortete. Berger wu?te nicht, ob ihm uberhaupt jemand zugehort hatte.
»Ist Platz in den Baracken?« fragte Sulzbacher nach einer Weile noch einmal.
»Nein. Wir mussen abwechselnd schlafen. Ein Teil mu? drau?en bleiben.«
»Gibt es noch etwas zu essen? Wir sind den ganzen Tag marschiert und haben nichts bekommen.«
»Die Essenholer sind zur Kuche gegangen.« Berger sagte nicht, da? er glaubte, fur die Neuen wurde kein Essen ausgegeben werden.
»Ich hei?e Sulzbacher. Ist dies ein Vernichtungslager?«
»Nein.«
»Sicher nicht?«
»Nein.«
»Oh, Gott sei Dank! Habt ihr keine Gaskammern?«
»Nein.«
»Gott sei Dank«, wiederholte Sulzbacher.
»Du redest, als warst du im Hotel«, sagte Ahasver. »Warte nur erst ab. Woher kommt ihr?«
»Wir sind seit funf Tagen unterwegs. Zu Fu?. Wir waren dreitausend. Unser Lager ist aufgelost worden. Wer nicht weiterkonnte, wurde erschossen.«
»Woher kommt ihr?«
»Von Lohme.«
Ein Teil der Neuen lag noch auf dem Boden. »Wasser!« krachzte einer. »Wo bleibt der mit dem Wasser? Sauft sich selber voll – das Schwein!«
»Wurdest du das nicht auch machen?« fragte Lebenthal.
Der Mann starrte ihn mit leeren Augen an. »Wasser!« sagte er ruhiger. 'Wasser, bitte!«
»Ihr kommt von Lohme?« fragte Ahasver.
»Ja.«
»Kanntet ihr dort einen Martin Schimmel?«
»Nein.«
»Oder Moritz Gewurz? Einen mit einer eingeschlagenen Nase und ohne Haar.«
Sulzbacher dachte mude nach. »Nein.«
»Oder vielleicht Gedalje Gold? Er hatte nur ein Ohr«, fragte Ahasver hoffnungsvoll.
»Das fallt doch auf. Er war im Block 12.«
»Zwolf?«
»Ja. Vor vier Jahren.«
»O Gott!« Sulzbacher wandte sich ab. Die Frage war zu idiotisch. Vor vier Jahren!
Warum nicht vor hundert?
»La? ihn in Ruhe, Alter«, sagte 509. »Er ist mude.«
»Wir waren Freunde«, murmelte Ahasver. »Man fragt nach Freunden.«
Bucher und Rosen kamen mit dem Wassereimer. Rosen blutete. Sein Chorhemd war an der Schulter zerrissen; seine Jacke stand offen. »Die Neuen schlagen sich um das Wasser«, sagte Bucher. »Mahner hat uns gerettet. Er hat druben Ordnung gemacht. Sie stehen jetzt an, um Wasser zu empfangen. Wir mussen es hier auch tun, sonst schmei?en sie den Eimer wieder um.«
Die Neuen hatten sich erhoben. »Anstellen«, rief Berger. »Jeder kriegt was. Wir haben fur alle.
Wer sich nicht anstellt, kriegt nichts!«
Sie gehorchten bis auf zwei, die vorsturzten. Sie schlugen sie mit Knuppeln nieder.
Dann holten Ahasver und 509 ihre Becher, und einer nach dem anderen trank. »La? uns sehen, ob wir noch was kriegen konnen«, sagte Bucher zu Rosen und Sulzbacher, als der Eimer leer war.
»Jetzt wird es nicht mehr gefahrlich sein.«
»Wir waren dreitausend«, sagte Sulzbacher mechanisch und ohne Sinn.
Die Essenholer kamen zuruck. Sie hatten fur die Neuen nichts erhalten. Es entstand sofort Krach.
Vor Sektion A und B prugelten sich die Leute. Die Stubenaltesten dort konnten wenig ausrichten.
Sie hatten fast nur Muselmanner, und die Neuen waren geschickter und noch nicht so ergeben.
»Wir mussen etwas abgeben«, sagte Berger leise zu 509.
»Hochstens Suppe. Kein Brot. Wir brauchen es mehr als sie. Wir sind schwacher.«
»Deshalb mussen wir ihnen etwas abgeben. Sie nehmen es sich sonst selbst. Du siehst es druben.«
»Ja, aber nur Suppe. Das Brot brauchen wir selbst. La? uns mit dem sprechen, der Sulzbacher hei?t.«
Sie holten ihn. »Hor zu«, sagte Berger. »Wir haben nichts fur euch bekommen heute abend. Aber wir werden unsere Suppe mit euch teilen.« »Danke«, erwiderte Sulzbacher.
»Was?«
»Danke.«
Sie sahen ihn verwundert an. Es war im Lager nicht ublich, zu danken. »Kannst du uns dabei helfen?« fragte