Weber Blank damals vor dem Verkauf im Lager verhort hatte. Er betrachtete nur den Trummerhaufen. »Sie haben es besser getroffen als ich«, sagte er. »Haben das vielleicht seinerzeit nicht so geglaubt. Aber jetzt hatten Sie alles verloren gehabt. So haben Sie Ihr gutes Geld.«

Blank wagte nicht, sich den Schwei? abzuwischen. »Jawohl, Herr Obersturmbannfuhrer«, murmelte er.

Neubauer blickte ihn plotzlich prufend an. Ein Gedanke hatte ihn durchzuckt. Es war ein Gedanke, der immer ofter gekommen war in den letzten Wochen. Er hatte ihn das erste Mal gespurt, als die Mellener Zeitung zerstort worden war; er hatte ihn verscheucht, aber er war stets wieder erschienen wie eine lastige Fliege. Konnte es tatsachlich sein, da? die Blanks mal wieder herankamen? Der Kerl vor ihm sah nicht so aus; er war eine Ruine. Aber die Trummerhaufen rundherum waren auch nichts anderes. Sie sahen nicht nach Siegen aus. Besonders nicht, wenn sie einem selber gehorten. Selma mit ihren Unkenrufen fiel ihm ein. Die Zeitungsnachrichten dazu! Die Russen waren vor Berlin, daran war nicht zu drehen. Die Ruhr war eingekreist, das stimmte auch.

»Horen Sie, Blank«, sagte er kordial. »Ich habe Sie doch sehr anstandig behandelt, wie?«

»Uberaus! Uberaus!«

»Das mussen Sie doch zugeben, was?«

»Unbedingt, Herr Obersturmbannfuhrer. Unbedingt.«

»Menschlich -«

»Sehr menschlich, Herr Obersturmbannfuhrer. Zutiefst dankbar -«

»Na ja«, sagte Neubauer. »Vergessen Sie das nicht! Ich habe allerlei fur Sie riskiert.

Was machen Sie hier uberhaupt? In der Stadt?«

Warum sind Sie nicht langst in einem Lager, hatte er fast gefragt.

»Ich – ich -«

Blank war na?. Er wu?te nicht, worauf das hinaus sollte. Er hatte nur die Erfahrung, da? Nazis, die freundlich redeten, immer einen besonders grausigen Spa? in Reserve hatten. Weber hatte so geredet, bevor er ihm das Auge ausgeschlagen hatte. Er verfluchte sich, weil er es nicht hatte lassen konnen, sein Versteck zu verlassen, um nach seinem alten Geschaft zu sehen.

Neubauer sah seine Verwirrung. Er benutzte die Gelegenheit. »Da? Sie frei sind, Blank – das wissen Sie doch, wem Sie das zu verdanken haben, wie?«

»Jawohl – danke -, danke vielmals, Herr Obersturmbannfuhrer.«

Blank hatte es Neubauer nicht zu verdanken. Er wu?te das, und Neubauer wu?te es auch. Doch vor dem schwelenden Trummerhaufen begannen plotzlich alte Begriffe zu schmelzen. Nichts war mehr sicher. Man mu?te Vorsorgen. Es schien irrsinnig fur Neubauer, aber man wu?te tatsachlich nicht, ob man nicht so einen Juden noch eines Tages brauchen konnte. Er zog eine »Deutsche Wacht« heraus. »Hier, nehmen Sie, Blank. Gutes Kraut. Das damals war harte Notwendigkeit.

Denken Sie immer daran, wie ich Sie geschutzt habe.«

Blank rauchte nicht. Er hatte Jahre gebraucht, nach Webers Experimenten mit gluhenden Zigaretten, beim Geruch von Tabak nicht hysterisch zu werden.

Aber er wagte nicht, abzulehnen. »Danke vielmals. Sehr gutig, Herr Obersturmbannfuhrer.«

Vorsichtig zog er sich zuruck, die Zigarre in der lahmen Hand. Neubauer sah sich um.

Niemand hatte ihn mit dem Juden reden sehen. War auch besser. Er verga? Blank sofort und fing an zu rechnen. Dann begann er zu schnuppern. Der Brandgeruch war starker geworden. Er ging eilig auf die andere Seite. Das Modegeschaft dort brannte jetzt. Er rannte zuruck und schrie:»Blank! Blank!«, und als er ihn nicht sah:»Feuer! Feuer!«

Niemand kam. Die Stadt brannte an vielen Platzen, und die Feuerwehr kam langst nicht mehr durch. Neubauer lief wieder zu den Modeauslagen. Er sprang hinein, raffte einen Stoffballen auf und schleppte ihn heraus. Beim zweiten Male kam er schon nicht mehr durch. Ein Spitzenkleid, das er erwischt hatte, flammte in seiner Hand auf. Das Feuer zungelte uber die Stoffe und die Kleider.

Er kam gerade noch hinaus.

Ohnmachtig sah er von der anderen Stra?enseite dem Feuer zu. Es ergriff die Modepuppen, lief uber sie hin, fra? die Kleider – und plotzlich schmelzend, brennend, bekamen sie ein seltsames Leben. Sie wanden und baumten sich. Arme hoben sich und bogen sich, es war eine Wachsholle -, dann versank alles, und das Feuer schlug daruber zusammen wie uber Leichen im Krematorium. Neubauer wich vor der Hitze zuruck, bis er auf den Buddha stie?. Ohne hinzusehen, setzte er sich darauf, fuhr aber gleich wieder hoch. Er hatte ubersehen, da? der Kopfputz des Heiligen eine bronzene Spitze hatte. Wutend starrte er auf den Ballen zu seinen Fu?en, den er gerettet hatte; es war ein hellblauer Stoff, in den fliegende Vogel gedruckt waren. Er stie? mit den Stiefeln dagegen. Verdammt! Wozu schon! Er schleppte den Ballen zuruck und warf ihn in die Flammen. Sollte alles zum Teufel gehen! Verdammt! Er stapfte davon. Er wollte nichts mehr davon sehen! Gott war nicht mehr mit den Deutschen. Wotan auch nicht. Wer eigentlich? Hinter einem Schutthaufen, der Stra?e gegenuber, hob sich langsam ein bleiches Gesicht. Josef Blank sah Neubauer nach. Und zum ersten Male seit vielen Jahren lachelte er. Er lachelte, wahrend er die Zigarre zwischen den lahmen Fingern zerbrach.

XVI

Auf dem Hof des Krematoriums standen wieder acht Leute. Alle trugen das rote Abzeichen der politischen Haftlinge. Berger kannte keinen von ihnen; aber er kannte jetzt ihr Schicksal.

Der Kapo Dreyer war bereits an seinem Platz im Keller. Berger fuhlte, da? etwas in ihm zusammensank, das immer noch geheim auf Aufschub gerechnet hatte. Dreyer war drei Tage nicht dagewesen. Das hatte Berger verhindert, auszufuhren, was er sich vorgenommen hatte. Heute gab es keine Ausflucht mehr; er mu?te es riskieren. »Fang gleich hier an«, sagte Dreyer murrisch. »Wir werden sonst kaum fertig. Die krepieren ja neuerdings wie die Fliegen bei euch.«

Die ersten Toten kamen heruntergepoltert. Drei Haftlinge zogen sie aus und sortierten ihre Sachen.

Berger kontrollierte die Zahne; dann packten die drei die Toten in den Auf zug.

Eine halbe Stunde spater kam Schulte. Er sah frisch und ausgeschlafen aus, aber er gahnte fortwahrend. Dreyer schrieb, und Schulte sah ihm ab und zu uber die Schulter.

Der Keller war gro? und geluftet, aber der Geruch der Toten wurde bald sehr stark. Er hing auch in den Kleidern; nicht nur an den nackten Korpern. Die Lawine der Leichen horte nicht auf; sie schien die Zeit unter sich zu verschutten, und Berger wu?te fast nicht mehr, ob es schon Abend war oder erst Mittag, als Schulte endlich aufstand und erklarte, zum Essen zu gehen.

Dreyer legte seine Sachen zusammen. »Um wieviel sind wir dem Verbrennungsraum voraus?«

»Um zweiundzwanzig.«

»Gut. Mittagspause. Sagt denen oben, sie sollen aufhoren, herunterzuwerfen, bis ich zuruckkomme.«

Die drei anderen Haftlinge gingen sofort hinaus. Berger legte noch einen Toten zurecht. »Los!

Schieb ab!« knurrte Dreyer. Der Pickel auf seiner Oberlippe hatte sich in einen schmerzhaften Furunkel verwandelt.

Berger richtete sich auf. »Wir haben vergessen, diesen hier einzuschreiben.«

»Was?«

»Wir haben vergessen, diesen Toten hier als Abgang aufzufuhren.«

»Blodsinn! Wir haben alle notiert.«

»Das ist nicht richtig.« Berger hielt seine Stimme so ruhig, wie er konnte »Wir haben einen Mann zuwenig aufgeschrieben.«

»Mensch!« explodierte Dreyer. »Bist du verruckt geworden? Was soll das Gequatsche?«

»Wir mussen einen Mann mehr auf die Liste setzen.«

»So?« Dreyer sah Berger jetzt scharf an. »Und warum mussen wir das?«

»Damit die Liste stimmt.«

»Kummere dich nicht um meine Listen.«

»Um die anderen kummere ich mich nicht. Nur um diese eine.«

»Die anderen? Was fur andere gibt es denn, du Gerippe?«

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