»Die Goldlisten.«
Dreyer schwieg einen Augenblick. »So, und was soll das Ganze nun wirklich hei?en?« fragte er dann.
Berger holte Atem. »Das soll hei?en, da? es mir egal ist, ob die Goldlisten stimmen oder nicht.«
Dreyer machte eine Bewegung, bezwang sich aber. »Sie stimmen«, sagte er drohend.
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Man braucht sie ja nur zu vergleichen.«
»Vergleichen? Womit?«
»Mit meinen eigenen Listen. Ich fuhre sie, seit ich hier arbeite. Zur Vorsicht.«
»Sieh mal an! Fuhrt auch eine Liste, der Schleicher. Und du denkst, da? man dir mehr glauben wurde als mir?«
»Ich halte das fur moglich. Ich habe keine Vorteile von meiner Liste.«
Dreyer musterte Berger von oben bis unten, als sahe er ihn zum ersten Male. »So, das hast du nicht? Das glaube ich auch nicht. Und um mir das zu sagen, hast du gerade den richtigen Moment abgewartet, hier im Keller, was? Allein mit mir – das war dein Fehler, du Eierkopf!« Er grinste. Der Furunkel schmerzte. Das Grinsen sah aus, als blecke ein argerlicher Hund die Zahne. »Willst du mir mal erzahlen, was mich jetzt davon abhalten kann, dir deinen Eierkopf ein bi?chen einzuschlagen und dich hier zu den anderen zu legen? Oder dir die Luftrohre einzuklemmen? Du bist dann selber der, der dir in deiner Liste noch fehlt. Erklarungen gibt es da nicht. Wir sind ja allein. Bist eben einfach umgefallen. Herzschwache. Einer mehr spielt hier keine Rolle. Das wird nicht untersucht.
Ich verbuche dich schon.«
Er kam naher. Er war uber sechzig Pfund schwerer als Berger. Berger hatte, selbst mit der Zange in der Hand, nicht die geringste Chance. Er trat einen Schritt zuruck und stolperte uber den Toten, der hinter ihm lag. Dreyer griff nach seinem Arm und drehte ihm das Handgelenk um. Berger lie? die Zange fallen. »So, das ist besser«, erklarte Dreyer.
Er zog ihn mit einem Ruck naher an sich heran. Sein verzerrtes Gesicht war dicht vor Bergers Augen. Es war rot, und der Furunkel glanzte auf der Lippe mit blauen Randern. Berger sagte nichts; er bog nur den Kopf so weit zuruck wie moglich und straffte das, was ihm an Halsmuskeln geblieben war.
Er sah, wie die rechte Hand Dreyers hochkam. Sein Gehirn klarte sich. Er wu?te, was er tun mu?te. Es war wenig Zeit; aber zum Gluck schien die Hand so langsam hochzukommen wie in einer Zeitlupenaufnahme. »Dieser Fall hier ist mitberechnet«, sagte er rasch. »Er ist aufgeschrieben und von Zeugen unterzeichnet.«
Die Hand stoppte nicht. Sie kam langsam, aber sie kam weiter hoch. »Schwindel«, knurrte Dreyer.
»Willst dich 'rausreden. Du redest nicht mehr lange.«
»Es ist kein Schwindel. Wir haben damit gerechnet, da? Sie versuchen wurden, mich zu beseitigen.« Berger starrte in die Augen Dreyers. »Es ist das erste, was Dummkopfen immer einfallt. Es ist zu Papier gebracht und wird mit der Liste uber zwei Goldringe und die Goldbrille, die fehlen, dem Lagerfuhrer zugeteilt, wenn ich abends nicht zuruck bin.«
Die Augen Dreyers blinkten. »So?« sagte er.
»Genauso. Glauben Sie, ich wu?te nicht, was ich riskiere?«
»So, das wu?test du?«
»Ja. Es ist alles aufgeschrieben. An die goldene Brille, die fehlt, werden sich Weber, Schulte und Steinbrenner noch genau erinnern. Sie gehorte einem Einaugigen. Das vergi?t man nicht so schnell.«
Die Hand kam nicht weiter. Sie stand still und fiel dann hinab. »Es war kein Gold«, sagte Dreyer.
»Du hast es selbst gesagt.«
»Es war Gold.«
»Sie war wertlos. Schund. Zum Wegschmei?en nicht gut genug.«
»Das konnen Sie alles dann ja selbst erklaren. Wir haben Zeugnisse von den Freunden des Mannes, dem sie gehorte. Es war reines Wei?gold.«
»Lausehund!«
Dreyer stie? Berger zuruck. Berger fiel wieder. Er versuchte sich festzuhalten und fuhlte die Zahne und die Augen eines Toten unter seiner Hand. Er fiel uber ihn, aber er lie? Dreyer nicht aus den Augen.
Dreyer atmete heftig. »So – und was meinst du, was wird dann passieren mit deinen Freunden?
Meinst du, sie werden belohnt? Als Mitwisser dafur, da? du versucht hast, einen Toten hier dazuzuschwindeln?« »Sie sind keine Mitwisser.« »Und wer glaubt das?«
»Wer glaubt Ihnen, wenn Sie es erklaren? Man wird nur glauben, da? Sie es erfunden haben, um mich beiseite zu schaffen wegen der Ringe und der Brille.«
Berger war wieder aufgestanden. Er fuhlte, wie er plotzlich zu zittern begann.
Er beugte sich nieder und staubte seine Knie ab. Es war nichts abzustauben; aber er konnte das Zittern in seinen Beinen nicht kontrollieren und wollte nicht, da? Dreyer es sahe.
Dreyer merkte es nicht. Er fa?te mit dem Finger nach dem Furunkel. Berger sah, da? das Geschwur geplatzt war. Eiter lief heraus. »Machen Sie das nicht«, sagte er.
»Was? Warum?«
»Ruhren Sie den Furunkel nicht an. Leichengift ist todlich.«
Dreyer starrte Berger an. »Ich habe heute keine Leiche angefa?t.«
»Aber ich. Und Sie haben mich angefa?t. Mein Vorganger ist an Blutvergiftung gestorben.«
Dreyer schleuderte seine rechte Hand fort und wischte sie an der Hose ab.
»Verdammt! Was passiert nun? Verfluchte Schweinerei! Ich habe schon angefa?t.« Er blickte auf seine Finger, als hatte er Lepra. »Los! Mach was!« schrie er Berger zu.
»Glaubst du, ich will verrecken?«
»Sicher nicht.« Berger hatte sich gefa?t. Die Ablenkung Dreyers hatte ihm Zeit gegeben.
»Besonders jetzt nicht, so kurz vor dem Ende«, fugte er hinzu.
»Was?«
»So kurz vor dem Ende«, wiederholte Berger.
»Was, Ende? Mach was, du Hund! Tu was drauf!«
Dreyer war bla? geworden. Berger holte eine Flasche Jod, die auf einem Brett; stand.
Er wu?te, da? Dreyer nicht in Gefahr war; es war ihm auch gleichgultig. Die Hauptsache war, da? er ihn abgelenkt hatte. Er strich eine Dosis Jod uber den Furunkel. Dreyer zuckte zuruck. Berger stellte die Flasche fort. »So – jetzt ist es desinfiziert.«
Dreyer versuchte den Furunkel zu sehen. Er schielte an seiner Nase entlang.
»Bestimmt?«
»Bestimmt.«
Dreyer schielte noch einen Augenblick. Dann bewegte er die Oberlippe wie! ein Kaninchen. »So, und was wolltest du eigentlich?« fragte er. Berger merkte, da? er gewonnen hatte. »Das, was ich gesagt habe. Die Personalien eines Toten austauschen. Das ist alles.«
»Und Schulte?«
»Er hat nicht aufgepa?t. Nicht auf die Namen. Au?erdem war er zweimal drau?en.«
Dreyer dachte nach. »Und die Kleider? Wie ist das?«
»Sie werden stimmen. Auch die Nummern.«
»Wieso? Hast du -«
»Ja«, sagte Berger. »Ich habe die bei mir, die wir austauschen wollen.«
Dreyer sah ihn an. »Ganz gut geplant habt ihr das. Oder warst du das allein?«
»Nein.«
Dreyer steckte die Hande in die Taschen und ging einige Male hin und her. Dann blieb er vor Berger stehen. »Und wer burgt mir dafur, da? deine sogenannte Liste nicht doch auftaucht?«
»Ich.«
Dreyer zuckte die Achseln und spuckte aus.
»Bisher war nur die Liste da«, sagte Berger ruhig. »Die Liste und die Anschuldigung.
Ich hatte sie benutzen konnen, und mir ware nichts passiert; ich ware hochstens gelobt worden.
Hiernach«- er wies auf die Papiere auf dem Tisch -»bin ich mitschuldig an dem Verschwinden eines