sei einfacher zu verstecken als ein Laden. Sie war dankbar gewesen. Hatte verkauft. Fur ein Viertel des Wertes naturlich. Neubauer hatte erklart, er habe nicht mehr flussig, und es musse rasch geschehen. Sie hatte es eingesehen. Die Beschlagnahme war nie gekommen. Neubauer hatte ihr auch das auseinandergesetzt. Er habe seinen Einflu? fur sie geltend gemacht. So konnte sie das Geld behalten. Er hatte anstandig gehandelt. Pflicht war Pflicht – und der Laden hatte wirklich beschlagnahmt werden konnen. Au?erdem ware die Witwe unfahig gewesen, ihn zu verwalten. Man hatte sie herausgedruckt fur weniger Geld. Neubauer nahm die Zigarre aus dem Munde. Sie zog nicht. Dreckzeug. Aber die Leute zahlten dafur. Waren wild auf alles, was qualmte. Schade, da? e» rationiert war. Man hatte das Zehnfache umsetzen konnen. Er sah den Laden noch einmal an. Gluck gehabt. Nichts passiert. Er spuckte aus. Er hatte plotzlich einen schlechten Geschmack im Munde. Es mu?te die Zigarre sein. Oder was sonst? Es war ja nichts passiert. Nervositat? Wozu dachte er nur auf einmal an all die alten Geschichten?

Langst verjahrter Kram! Er warf die Zigarre fort, als er wieder in den Wagen stieg, und gab die beiden anderen dem Chauffeur. »Hier, Alfred, etwas Gutes fur heute abend. Und nun los – zum Garten.« Der Garten war der Stolz Neubauers. Er war ein gro?es Grundstuck am Rande der Stadt. Der Hauptteil war mit Gemuse und Obst bebaut; au?erdem war noch ein Blumengarten da und ein Stall. Eine Anzahl russischer Gefangener aus dem Lager hielt alles in Ordnung. Sie kosteten nichts und hatten eigentlich Neubauer noch zahlen sollen. Statt zwolf bis funfzehn Stunden im Kupferwerk zu schuften, hatten sie bei ihm frische Luft und leichte Arbeit. Die Dammerung lag uber dem Garten. Der Himmel an dieser Seite war klar, und der Mond hing in den Kronen der Apfelbaume. Die aufgebrochene Erde roch stark. In den Furchen keimte das erste Gemuse, und die Obstbaume hatten klebrige, schwellende Knospen. Ein kleiner japanischer Kirschbaum, der im Winter im Glashaus gestanden hatte, war bereits uberrieselt von einem Hauch von Wei? und Rosa – sich offnenden, schuchternen Bluten. Die Russen arbeiteten im gegenuberliegenden Teil des Grundstuckes. Neubauer sah ihre dunklen, gebeugten Rucken und die Silhouette des Wachmannes mit dem Gewehr, dessen aufgepflanztes Bajonett in den Himmel stie?. Der Wachmann war nur der Vorschrift wegen da; die Russen liefen nicht weg. Wohin hatten sie schon laufen sollen, in ihren Uniformen, ohne die Sprache zu kennen? Sie hatten einen gro?en Papiersack bei sich mit Asche aus dem Krematorium, die sie in die Furchen streuten. Sie arbeiteten in den Beeten fur Spargel und Erdbeeren, fur die Neubauer eine besondere Vorliebe hatte. Er konnte nicht genug davon essen. Der Papiersack enthielt die Asche von sechzig Personen, darunter zwolf Kindern. Durch das pflaumenblaue, fruhe Dunkel schimmerten bleich die ersten Primeln und Narzissen. Sie waren an der Sudmauer gepflanzt und mit Glas bedeckt. Neubauer beugte sich hinunter. Die Narzissen rochen nicht. Dafur aber duftete es nach Veilchen, unsichtbaren Veilchen in der Dammerung. Er holte tief Atem. Dieses war sein Garten. Er hatte ihn selbst und richtig bezahlt. Altmodisch und ehrlich. Den vollen Preis. Er hatte ihn niemand weggenommen. Dieses war sein Platz. Der Platz, wo man Mensch wurde nach hartem Dienst furs Vaterland und der Sorge fur die Familie. Er sah sich voll Genugtuung um. Er sah die Laube, die mit Gei?blatt und Rosenranken uberwuchert war, er sah die Buchsbaumhecke, er sah die kunstliche Grotte aus Tuffstein, er sah die Fliederbusche, er roch die herbe Luft, in der schon Fruhling war, er fuhlte mit zartlicher Hand die strohumwundenen Stamme der Pfirsichspaliere und der Tafelbirnen an der Wand, und dann offnete er die Tur zum Stallgebaude. Er ging nicht zu den Huhnern, die wie alte Weiber auf den Stangen hockten, – auch nicht zu den beiden jungen Schweinen, die im Stroh schliefen -, er ging zu den Kaninchen. Es waren wei?e und graue Angorakaninchen mit langem, seidigem Haar. Sie schliefen, als er das Licht andrehte, und begannen dann sich allmahlich zu bewegen. Er steckte einen Finger durch die Drahtmaschen und kraulte ihr Fell. Sie waren weicher als alles, was er kannte. Er holte Kohlblatter und Ruben» Schnitzel aus einem Korb und schob sie in die Kafige. Die Kaninchen kamen heran und fingen mit rosigen Maulern an zu fressen, sanft und langsam. »Mucki«, lockte er,»komm her, Mucki -« Die Warme des Stalles lullte ein. Sie war wie ein ferner Schlaf. Der Geruch der Tiere brachte eine vergessene Unschuld nahe. Es war eine kleine Welt fur sich, von fast vegetativem Dasein, weit weg von Bomben, Intrigen und Daseinskampf – Kohlblatter und Ruben und pelziges Zeugen und Geschorenwerden und Gebaren. Neubauer verkaufte die Wolle; aber er lie? nie ein Tier schlachten. »Mucki«, lockte er wieder. Ein gro?er wei?er Rammler nahm mit zarten Lippen das Blatt aus seiner Hand. Die roten Augen leuchteten wie helle Rubine. Neubauer kraulte ihm den Nacken. Seine Stiefel knarrten, wahrend er sich niederbeugte. Was hatte Selma gesagt? Sicher? Da im Lager seid ihr sicher? Wer war schon sicher? Wann war er es jemals wirklich gewesen? Er schob mehr Kohlblatter durch die Drahtmaschen. Zwolf Jahre, dachte er. Vor der Machtergreifung war ich Postsekretar mit knapp zweihundert Mark im Monat. Konnte nicht leben und nicht sterben damit. Jetzt habe ich was. Ich will das nicht wieder verlieren. Er blickte in die roten Augen des Rammlers. Alles war gut gegangen heute. Es wurde weiter gut gehen. Das Bombardement konnte ein Versehen gewesen sein. So etwas kam vor bei neu eingesetzten Formationen. Die Stadt war unbedeutend; man hatte sie sonst schon fruher zu zerstoren versucht. Neubauer fuhlte, wie er ruhiger wurde. »Mucki«, sagte er und dachte: sicher? Naturlich sicher! Wer will schon im letzten Moment hops gehen?

IV

»Verdammte Saubande! Noch einmal abzahlen!« Die Arbeitskommandos des gro?en Lagers standen in Zehnerreihen, nach Blocks geordnet, stramm ausgerichtet auf dem Appellplatz. Es war bereits dunkel, und in dem undeutlichen Licht wirkten die Haftlinge mit ihren gestreiften Anzugen wie eine ungeheure Herde todmuder Zebras. Der Appell dauerte schon uber eine Stunde, aber er klappte noch immer nicht. Das Bombardement war daran schuld. Die Kommandos, die im Kupferwerk arbeiteten, hatten Verluste gehabt. Eine Bombe war in ihre Abteilung gefallen, und eine Anzahl Leute war getotet und verletzt worden. Au?erdem hatten die aufsichtfuhrenden SS- Mannschaften nach dem ersten Schreck angefangen, zwischen die Haftlinge zu schie?en, die Deckung suchten; sie hatten gefurchtet, sie wollten fluchten. Dadurch war noch ein halbes Dutzend mehr umgekommen. Nach dem Bombardement hatten die Gefangenen unter dem Schutt und Geroll ihre Toten herausgeholt – oder das, was von ihnen ubriggeblieben war. Es war wichtig fur den Appell. So gering das Leben eines Gefangenen auch geschatzt wurde und so gleichgultig die SS sich dagegen verhielt: tot oder lebendig, die Zahl beim Appell mu?te stimmen. Die Burokratie hielt vor Leichen nicht inne. Die Kommandos hatten sorgfaltig alles mitgenommen, was sie finden konnten; manche Leute hatten einen Arm, andere Beine und abgerissene Kopfe getragen. Die paar Bahren, die man hatte zusammenschlagen konnen, waren fur Verwundete benutzt worden, denen Glieder fehlten oder deren Bauche zerfetzt waren. Den Rest der Verletzten hatten die Kameraden gestutzt und mitgeschleppt, so gut es ging. Verbande hatte man wenig machen konnen; es war kaum etwas dafur da gewesen. Mit Drahten und Bindfaden hatte man notdurftig die Verblutenden abgebunden. Die Bauchverletzten auf den Bahren hatten ihre Eingeweide mit den eigenen Handen festhalten mussen. Der Zug war muhselig den Berg hinaufgeklettert. Unterwegs waren noch zwei Leute gestorben. Sie wurden tot weiter mitgeschleppt. Das hatte zu einem Zwischenfall gefuhrt, bei dem sich der Scharfuhrer Steinbrenner ziemlich blamiert hatte. Am Eingangstor des Lagers hatte wie immer die Musikkapelle gestanden und den Fridericus Rex gespielt. Es war Parademarsch kommandiert worden, und mit Augen rechts und emporgeworfenen Beinen waren die Kommandos an dem SS-Lagerfuhrer Weber und seinem Stab vorbeimarschiert. Auch die Schwerverletzten auf den Bahren hatten ihre Kopfe nach rechts gedreht und versucht, eine etwas strammere Haltung im Sterben anzunehmen. Nur die Toten hatten nicht mehr gegru?t. Steinbrenner hatte nun gesehen, wie ein Mann, der von zwei anderen geschleppt wurde, den Kopf hangen lie?. Er hatte nicht beachtet, da? auch die Fu?e des Mannes schleppten, sondern war sofort in die Reihen gesprungen und hatte ihm den Revolver zwischen die Augen geschlagen. Steinbrenner war jung und eifrig und hatte ihn in der Eile nur fur bewu?tlos gehalten. Der Kopf des Toten war durch den Hieb zuruckgeschleudert worden, und die Kinnlade war heruntergefallen; es hatte ausgesehen, als schnappe der blutige Mund mit einer letzten grotesken Bewegung des Schadels nach dem Revolver. Die ubrigen SS-Leute hatten sehr gelacht, und Steinbrenner war wutend gewesen; er hatte gefuhlt, da? ein Teil des Renommees, das er sich mit der Salzsaurekur bei Joel Buchsbaum erworben hatte, verlorengegangen war. Er mu?te es bei der nachsten Gelegenheit wieder erwerben. Der Marsch vom Kupferwerk herauf hatte lange gedauert, und es war spater als sonst gewesen, als der Appell begonnen hatte. Die Toten und Verwundeten waren, wie immer, sorgfaltig militarisch ausgerichtet, in Reihe und Glied neben die Formationen der Blocks gelegt worden, zu denen sie gehorten. Auch die Schwerverletzten waren nicht zum Hospital gebracht und nicht vorher verbunden worden; der Zahlappell war wichtiger. »Los! Noch einmal! Wenn's diesmal nicht klappt, wird nachgeholfen!« Weber, der SS-Lagerfuhrer, sa? rittlings auf einem Holzstuhl, den man auf den Appellplatz hinausgestellt hatte. Er war funfunddrei?ig Jahre alt, mittegro? und sehr kraftig. Sein Gesicht

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