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»Es ist mir egal, was fur Blut du hast«, sagte Harry aufgebracht.»Warum sollte ich Muggelgeborene angreifen?«
»Ich hab gehort, da? du die Muggel ha?t, bei denen du lebst«, sagte Ernie schlagfertig.
»Es ist unmoglich, bei den Dursleys zu leben und sie nicht zu hassen«, erwiderte Harry.»Da mochte ich dich mal sehen.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und sturmte aus der Bibliothek, wobei er sich einen tadelnden Blick von Madam Pince einhandelte, die den goldgepragten Einband eines dicken Zauberspruchbandes polierte.
Harry rannte stolpernd durch die Gange und bemerkte vor Wut kaum, wo er hinlief Der Erfolg war, da? er gegen etwas sehr Gro?es und Festes prallte, das ihn zu Boden schlug.
Harry blickte auf,»Oh, hallo, Hagrid.«
Hagrids Gesicht war unter einer schneebedeckten Wollkapuze verborgen, aber ein anderer konnte es unmoglich sein, da er mit seinem Maulwurfsmantel den Gang fast in ganzer Breite ausfullte. Ein toter Hahn baumelte von einer seiner massigen behandschuhten Pranken herab.
»Alles in Ordnung, Harry?«, sagte er und zog zum Sprechen die Kapuze hoch.»Warum bist du nicht im Unterricht?«
»Fallt aus«, sagte Harry und richtete sich auf.»Was machst du eigentlich hier?«
Hagrid hob den leblosen Hahn hoch.
»Der zweite, der dieses Jahr getotet wurde«, erklarte er.»Entweder Fuchse oder ein Blut saugendes Gespenst, und ich brauch die Erlaubnis des Schulleiters, einen Bannkreis um den Huhnerstall zu ziehen.«
Er lugte unter seinen dicken, schneeglitzernden Brauen hervor und musterte Harry.
»Wirklich alles in Ordnung mit dir? Bist ja ganz hei? im Gesicht und siehst so besorgt aus -«
Harry brachte es nicht uber sich zu wiederholen, was Ernie und die anderen Hufflepuffs uber ihn gesagt hatten.
»Es ist nichts«, sagte er.»Ich mach mich jetzt besser auf die Socken, Hagrid, wir haben jetzt Verwandlung und ich mu? noch meine Bucher holen.«
Den Kopf immer noch voll mit Ernies Worten verlie? er Hagrid.
»Justin hat auf so etwas gewartet, seit ihm Potter gegenuber herausgerutscht ist, da? er ein Muggelkind ist…«
Harry stapfte die Treppen hoch und bog in einen Korridor ein, der noch dunkler war als die anderen; ein scharfer, eisiger Luftzug pfiff durch ein in den Angeln schlagendes Fenster und hatte die Fackeln geloscht. Auf halbem Wege durch den Gang stolperte er und sturzte zu Boden.
Er drehte sich um, um nachzusehen, woruber er gestolpert war – und hatte plotzlich das Gefuhl, sein Magen wurde sich auflosen.
Justin Finch-Fletchley lag auf dem Boden, steif und kalt und leblos an die Decke stierend, mit einem festgefrorenen Ausdruck des Entsetzens im Gesicht. Und das war nicht alles. Neben ihm war eine andere Gestalt und etwas Befremdlicheres hatte Harry noch nie gesehen.
Es war der Fast Kopflose Nick, nicht mehr perlwei? und durchsichtig, sondern mit schwarzem Rauch gefullt. Reglos schwebte er eine Handbreit uber dem Boden. Sein Kopf hing herunter und auf seinem Gesicht stand derselbe Ausdruck des Entsetzens wie auf dem Justins.
Harry rappelte sich auf, schnell und flach atmend, und sein Herz vollfuhrte eine Art Trommelwirbel gegen seine Rippen. Mit fiebrigem Blick spahte er den verlassenen Korridor hinunter und sah, wie ein paar Spinnen so schnell sie konnten von den Korpern fortkrabbelten. Alles, was er horte, waren die gedampften Stimmen der Lehrer aus den Klassenzimmern zu beiden Seiten des Ganges.
Er hatte losrennen konnen, und keiner hatte je erfahren, da? er hier war. Aber er konnte sie nicht einfach hier liegen lassen… er mu?te Hilfe holen… wurde auch nur einer glauben, da? er damit nichts zu tun hatte?
Wahrend er dastand und Panik in ihm hochstieg, schlug gleich neben ihm krachend eine Tur auf Peeves, der Poltergeist, kam herausgeschossen.
»Sieh an, es ist der putzige kleine Potter!«, gackerte Peeves und schlug Harry im Vorbeihupfen die Brille von der Nase.»Was fahrt Potter im Schilde? Warum lummelt Potter hier -«
Mitten in einem Salto hielt Peeves inne. Kopfuber in der Luft hangend erkannte er Justin und den Fast Kopflosen Nick. Er vollendete seinen Purzelbaum und bevor Harry ihn aufhalten konnte, fullte er seine Lungen und brullte:
»ANGRIFF! ANGRIFF! WIEDER EIN ANGRIFF! KEIN STERBLICHER ODER GEIST IST SICHER! RENNT UM EUER LEBEN! AAAANGRIFF!«
Knall – knall – knall – den Gang entlang flog eine Tur nach der anderen auf und eine Flut von Schulern quoll heraus. Mehrere lange Minuten herrschte solches Durcheinander, da? Justins Korper Gefahr lief, ziemlich Schaden zu nehmen, und manche mitten im Kopflosen Nick standen. Von den andern gegen die Wand gedruckt horte Harry die Lehrer mit lauter Stimme Ruhe gebieten. Professor McGonagall kam herbeigeeilt, gefolgt von ihren Schulern, von denen einer immer noch schwarzwei? gestreiftes Haar hatte. Ein lauter Knall aus ihrem Zauberstab lie? Ruhe einkehren, und sie wies alle zuruck in die Klassenzimmer. Kaum hatte sich der Korridor etwas geleert, kam auch schon Ernie von den Hufflepuffs keuchend angerannt.
»Auf frischer Tat ertappt!«, rief Ernie und deutete mit schneewei?em Gesicht und dramatischer Geste auf Harry.
»La? gut sein, Macmillan!«, sagte Professor McGonagall scharf.
Uber ihnen hupfte Peeves auf und ab und wachte bosartig grinsend uber das Schauspiel; wenn heilloses Durcheinander herrschte, war Peeves immer bester Laune. Wahrend die Lehrer sich uber Justin und den Fast Kopflosen Nick beugten, um sie zu untersuchen, schmetterte Peeves ein Liedchen:
»Ach, Potter, du Schwein, was hast du getan.
Du meuchelst die Schuler und freust dich daran -«
»Das reicht, Peeves!«, blaffte ihn Professor McGonagall an, und Peeves schwebte rucklings, nicht ohne Harry die Zunge rauszustrecken, davon.
Professor Flitwick und Professor Sinistra aus dem Fachbereich Astronomie trugen Justin in den Krankenflugel, doch niemand schien zu wissen, was man fur den Fast Kopflosen Nick tun konnte. Professor McGonagall beschwor schlie?lich einen gro?en Fohn aus dem Nichts herauf und reichte ihn Ernie mit der Anweisung, den Fast Kopflosen Nick die Treppe hochzupusten. Und Ernie fohnte Nick vor sich her wie ein stummes schwarzes Hovercraft-Boot. Nun waren Harry und Professor McGonagall allein.
»Hier lang, Potter«, sagte sie.
»Professor«, sagte Harry sofort,»ich schwore, ich habe es nicht -«
»Das liegt jetzt nicht mehr in meiner Hand, Potter«, sagte Professor McGonagall kurz angebunden.
Schweigend bogen sie um eine Ecke und sie hielt vor einem gro?en und au?erst ha?lichen steinernen Wasserspeier an.
»Scherbert Zitrone!«, sagte sie. Das war offenbar ein Passwort, denn der Wasserspeier erwachte plotzlich zum Leben und hupfte zur Seite. Die Wand hinter ihm teilte sich. Obwohl Harry Angst hatte vor dem, was ihn jetzt erwartete, mu?te er einfach staunen. Hinter der Wand war eine Wendeltreppe, die sich langsam nach oben bewegte wie ein Aufzug. Er und Professor McGonagall betraten die Treppe und die Wand hinter ihnen schlo? sich mit einem dumpfen Gerausch. Sich im Kreise drehend stiegen sie nach oben, hoher und hoher, bis Harry endlich, leicht schwindlig im Kopf, eine schimmernde Eichentur vor sich sehen konnte, mit einem bronzenen Turklopfer in Gestalt eines Geiers.
Er wu?te, wo sie ihn hinfuhrte. Das mu?te der Ort sein, wo Dumbledore lebte.