»Sie stammen aus einer Muggelfamilie?«
»Halbbluter, Sir«, sagte Riddle.»Vater Muggel, Mutter Hexe.«
»Und beide Eltern sind -?«
»Meine Mutter starb, kurz nachdem ich geboren wurde, Sir. Im Waisenhaus haben sie mir gesagt, sie habe mir noch meinen Namen geben konnen – Tom nach meinem Vater, Vorlost nach meinem Gro?vater.«
Mitfuhlend schnalzte Dippet mit der Zunge.
»Die Sache ist die, Tom«, seufzte er.»Man hatte fur Sie vielleicht eine Ausnahme machen konnen, aber unter den gegenwartigen Umstanden…«
»Sie meinen all diese Angriffe, Sir?«, sagte Riddle und Harrys Herz begann zu pochen. Er trat naher, aus Angst, es konne ihm etwas entgehen.
»Genau«, sagte der Schulleiter.»Mein lieber Junge, Sie mussen einsehen, wie dumm es von mir ware, wenn ich Sie nach Ende des Schuljahres im Schlo? bleiben lie?e. Besonders im Licht der jungsten Tragodie… des Todes dieses armen kleinen Madchens… In Ihrem Waisenhaus sind Sie bei weitem sicherer. Ubrigens uberlegt man im Zaubereiministerium gerade, ob man die Schule schlie?en soll. Wir sind der – ahm – Quelle dieser Unannehmlichkeiten bisher keinen Schritt naher gekommen…«
Riddles Augen hatten sich geweitet.
»Sir, wenn diese Person gefangen wurde – wenn alles aufhoren wurde -«
»Was meinen Sie damit?«, sagte Dippet mit einem Quieken in der Stimme und richtete sich in seinem Stuhl auf.»Riddle, wollen Sie sagen, da? Sie etwas uber diese Angriffe wissen?«
»Nein, Sir«, sagte Riddle rasch.
Doch Harry war sich sicher, da? es das gleiche»nein«war, mit dem er Dumbledore geantwortet hatte.
Dippet sank zuruck und wirkte ein wenig enttauscht.
»Sie konnen gehen, Tom…«
Riddle stand auf und ging aus dem Zimmer. Harry folgte ihm.
Sie lie?en sich von der Wendeltreppe hinabtragen und kamen beim Wasserspeier im nun fast dunklen Korridor heraus. Riddle hielt inne, und Harry, ihn unverwandt ansehend, tat es ihm gleich. Er konnte erkennen, da? Riddle angestrengt nachdachte. Riddle bi? sich auf die Unterlippe, die Stirn in Falten gelegt.
Dann, als hatte er plotzlich eine Entscheidung getroffen, sturmte er los. Harry glitt gerauschlos neben ihm her. Sie sahen niemand anderen, bis sie die Eingangshalle erreicht hatten, wo ein gro?er Zauberer mit langem, wehendem, kastanienbraunem Haar und Bart von der Marmortreppe aus rief:
»Was streunen Sie so spat hier herum, Tom?«
Harry starrte den Zauberer mit offenem Mund an. Er war kein anderer als der funfzig Jahre jungere Dumbledore.
»Der Schulleiter wollte mich sprechen, Sir«, sagte Riddle.
»Gut, nun aber rasch ins Bett«, sagte Dumbledore und starrte Riddle genauso durchdringend an, wie es Harry schon von ihm kannte.»Jetzt sollte man lieber nicht in den Gangen umherwandern. Nicht, seit…«
Er seufzte tief, wunschte Riddle eine gute Nacht und schritt davon. Riddle wartete, bis er au?er Sicht war, und ging dann mit raschen Schritten die steinernen Treppen zu den Kerkern hinunter, Harry dicht auf seinen Fersen.
Doch zu Harrys Enttauschung fuhrte ihn Riddle nicht in einen versteckten Gang oder einen Geheimtunnel, sondern in eben den Kerker, in dein Harry Zaubertrankunterricht bei Snape hatte. Die Fackeln waren nicht entzundet worden, und als Riddle die Tur bis auf einen Spaltbreit zuschob, konnte Harry nur noch Riddle sehen, der reglos an der Tur stand und den Gang drau?en beobachtete.
Harry hatte das Gefuhl, sie hatten mindestens eine Stunde lang so dagestanden. Alles, was er sehen konnte, war die Gestalt Riddles an der Tur, die durch den Spalt lugte und wie versteinert wartete. Und gerade als Harrys Neugier und Spannung nachgelassen hatten und er sich allmahlich wunschte, wieder in die Gegenwart zuruckzukehren, horte er, wie sich vor der Tur etwas bewegte.
Jemand kroch den Gang entlang. Er horte ihn, wer immer es war, an dem Kerker vorbeigehen, in dem er und Riddle sich versteckt hatten. Stumm wie ein Schatten glitt Riddle durch die Tur und schlich ihm nach, und Harry, der ganz vergessen hatte, da? niemand ihn horen konnte, ging auf Zehenspitzen hinterher.
Etwa funf Minuten lang folgten sie den Schritten, bis Riddle plotzlich anhielt und den Kopf neigte. Neue Gerausche drangen an ihre Ohren. Harry horte eine Tur knarrend aufgehen und dann eine rauhe flusternde Stimme:
»Komm… mu? dich hier rausbringen… komm jetzt… in die Kiste…«
Etwas an dieser Stimme kam ihm vertraut vor…
Plotzlich machte Riddle einen Sprung um die Ecke und Harry konnte den dunklen Umri? eines riesigen Jungen erkennen, der vor einer offenen Tur kauerte, neben ihm eine gro?e Kiste.
»Schonen Abend, Rubeus«, sagte Riddle mit schneidender Stimme.
Der Junge schlug die Tur zu und richtete sich auf.
»Was machst du denn hier, Tom?«
Riddle trat naher.
»Es ist aus«, sagte er.»Ich mu? dich anzeigen, Rubeus. Man spricht schon daruber, Hogwarts zu schlie?en, wenn die Angriffe nicht aufhoren.«
»Was m-meinst -«
»Ich glaube nicht, da? du jemanden toten wolltest. Aber Monster geben keine guten Haustiere ab. Ich denke, du hast es nur zum Uben rausgelassen und -«
»Es hat nie keinen umgebracht!«, sagte der riesige Junge und wich gegen die geschlossene Tur zuruck. Hinter der horte Harry ein merkwurdiges Rascheln und Klicken.
»Mach schon, Rubeus«, sagte Riddle und trat noch naher.»Die Eltern des toten Madchens kommen morgen. Das Mindeste, was Hogwarts tun kann, ist, dafur zu sorgen, da? das Wesen, das sie getotet hat, geschlachtet wird…«
»Er war es nicht!«, polterte der Junge, und seine Stimme hallte in dem dunklen Gang wider.»Er – wurd's nie tun! Er nie!«
»Geh zur Seite«, sagte Riddle und zuckte seinen Zauberstab.
Sein Zauberspruch tauchte den Gang jah in flammendes Licht. Die Tur hinter dem riesigen Jungen flog mit solcher Wucht auf, da? sie ihn an die Wand gegenuber warf Und heraus drang etwas, das Harry einen langen, durchdringenden Schrei entfahren lie?, den niemand horen konnte -
Ein riesiger, lang gezogener, haariger Korper und ein Gewirr schwarzer Beine; ein Glimmen vieler Augen und ein Paar rasiermesserscharfer Greifzangen – noch einmal hob Riddle seinen Zauberstab, doch es war zu spat. Das Wesen warf ihn zu Boden und krabbelte den Gang entlang davon und verschwand. Riddle rappelte sich auf und sah ihm nach, doch der riesige Junge sturzte sich auf ihn, packte seinen Zauberstab und warf ihn laut schreiend erneut zu Boden:»NEIIIIIIIN!«
Und vor Harrys Augen begann sich alles zu drehen, nun war alles schwarz, Harry hatte das Gefuhl zu fallen und hart aufzuprallen. Er landete, alle Viere von sich gestreckt, auf seinem Bett im Schlafsaal der Gryffindors, Riddles Tagebuch aufgeschlagen auf seinem Bauch.
Noch bevor er wieder ruhig Luft holen konnte, ging die Schlafsaaltur auf und Ron kam herein.
»Da bist du ja«, sagte er.
Harry setzte sich auf, Er schwitzte und zitterte.
»Was ist los?«, sagte Ron und sah ihn besorgt an.
»Es war Hagrid, Ron. Hagrid hat die Kammer des Schreckens vor funfzig Jahren geoffnet.«