»Da? du mir Bescheid sagst, wenn du dich entschieden hast.«
»Das scheint mir in Ordnung zu sein«, sagte der Wurm. »Aber setz nicht alle Hoffnung darauf.«
»Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich werde warten.«
Und so wartete Azzie und drehte weiter das Rad. Er konnte horen, wie sich der Wurm leise in der Hohle bewegte, mal auf der Oberflache, mal unter Erde und Geroll. Die Zeit verstrich. Azzie wu?te nicht, wie lange es dauerte. Es kam ihm furchtbar lange vor. Au?erdem storte ihn, da? er einen Juckreiz an der Brust verspurte. Ein Jucken ist au?erst argerlich, wenn man an den Handen gefesselt ist. Mit der Zeit fand Azzie heraus, da? er seine Brust mit dem Schwanz erreichen konnte, wenn er den Oberkorper weit nach hinten krummte. Er kratzte sich behutsam, da sein Schwanzende sehr spitz war.
Es war ein herrliches Gefuhl. Argerlicherweise aber war ihm irgend etwas im Weg, so da? er sich nicht ausgiebig kratzen konnte. Vorsichtig tastete er mit der Schwanzspitze nach dem Hindernis. Ja, da war es. Er zog es mit dem Schwanz unter seiner Kleidung hervor und hob es langsam an, bis er es sehen konnte. Es war ein paar Zentimeter lang und schien aus Metall zu bestehen.
»Ich denke immer noch nach«, meldete sich der Wurm wieder.
»Das ist gut«, erwiderte Azzie. Er senkte den Kopf und hob das Band, an dem der Gegenstand hing, daruber hinweg. Dann fuhrte er es seitlich zu einer seiner gefesselten Hande und beruhrte es mit den Fingerspitzen, nachdem er vorsorglich die Klauen eingezogen hatte. Es schien ein Schlussel zu sein. Ja, es
»Wie hei?t du, und was kannst du tun?« fragte er den Zauber.
»Ich hei?e Dirigan«, klang ein leises Stimmchen aus dem roten Edelstein auf. »Ich offne, was verschlossen ist.«
»He, das ist gro?artig«, sagte Azzie. »Wie steht’s damit, meine Fesseln zu losen?«
»La?t mich einen Blick darauf werfen«, erwiderte Dirigan.
Azzie fuhrte den Schlussel mit der Schwanzspitze uber seine gefesselten Hande. Das Licht in dem Edelstem pulsierte sanft und sandte einen rotlichen Schimmer aus.
»Ich denke, das kann ich erledigen.« Der Stein gluhte heller und erlosch dann wieder. Die Handfesseln losten sich.
Azzies Hande waren frei. »Und jetzt fuhr mich hier raus«, verlangte er.
Der Wurm hob seinen plumpen Kopf und sagte: »Ich denke immer noch nach.«
»Ich habe nicht mit dir gesprochen«, erwiderte
»Oh, auch gut. Ich habe mich namlich noch nicht entschieden.«
»Womit auch?« murmelte Azzie. Nachdem seine Hande wieder frei waren, fuhlte er sich stark und unternehmungslustig. Er trat aus dem Laufrad. Sollte die Drachenschei?e herabregnen! Sie wurde ihn nicht mehr treffen.
»Und jetzt«, sagte er, »suchen wir einen Ausgang. Zauber, gib mir Licht!«
Der Edelstein pulsierte heller und warf Schatten an die Hohlenwande. Azzie marschierte los, bis er zu einer Gabelung kam, an der funf Gange in ebensoviele verschiedene Richtungen abzweigten.
»Welchen Weg soll ich nehmen?« fragte er den Edelstein.
»Woher soll ich das wissen?« fragte der Stein zuruck. »Ich bin nur ein unbedeutender kleiner Zauber. Und jetzt bin ich aufgebraucht.«
Das Licht verdammerte, bis es vollstandig erloschen war.
Azzie hatte schon von diesen unterirdischen Weggabelungen der Zwerge gehort. Sie stellten eine gro?e Gefahr dar, denn oft waren die Tunnelboden untergraben, so da? man in sie einbrechen konnte. Darunter befanden sich schmutzige Gruben voller widerlicher Dinge. Wenn er in eins dieser Locher fiel, wurde er vielleicht nie mehr herauskommen. Und das schlimmste daran war, da? Azzie wie die meisten Damonen praktisch unsterblich war. Er konnte Jahrhunderte oder sogar fur alle Ewigkeit in der tiefsten Grube feststecken, lebendig, aber zu Tode gelangweilt, wenn niemand erschien, um ihn herauszuholen. Man erzahlte sich Geschichten uber Damonen, die durch das eine oder andere Mi?geschick verschuttet worden waren. Einige waren angeblich seit Anbeginn der Zeiten unter der Erde gefangen.
Als sich Azzie wieder in Bewegung setzte, horte er, wie der Wurm uber den Boden schabte und sagte: »Das ist nicht der richtige Weg.«
Azzie machte kehrt und fragte: »Welche Richtung soll ich einschlagen?«
»Ich habe mich immer noch nicht entschieden, ob ich dir helfen soll«, erwiderte der Wurm.
»Dann solltest du es dir lieber ganz schnell uberlegen«, riet ihm Azzie, »denn mein Angebot gilt nicht ewig.«
»Oh, na schon«, sagte Tom Wurmbrut. »Ich denke, ich helfe dir. Nimm den Tunnel ganz rechts.«
Azzie hatte den Tunnel kaum betreten, als der Boden unter seinen Fu?en nachgab. Er brach ein und fand gerade noch die Zeit zu brullen: »Aber du hast gesagt, dieser Tunnel ware sicher!«
»Ich habe gelogen!« schrie der Wurm zuruck. »Ha, ha!«
Azzie sturzte, doch es war nur ein kurzer Sturz, kaum zwei Meter tief. Und als er gelandet war, sah er eine Metalltur rechts neben sich, auf der in schwach phosphoreszierenden Buchstaben
Er offnete sie fluchend und schob sich hindurch.
KAPITEL 13
In Augsburg rang Frike die Hande und lief ruhelos im Vorhof des Anwesens auf und ab, wahrend er den Himmel nach einem Anzeichen fur die Ruckkehr seines geliebten Gebieters absuchte. Schlie?lich entdeckte er einen winzigen dunklen Punkt, der schnell gro?er wurde und sich als Azzie entpuppte.
»O Meister, endlich seid Ihr zuruckgekehrt!«
»So schnell ich konnte«, sagte Azzie. »Ich bin von einer Zwergenfamilie, einer Ladung Drachenmist, einem Arbeitsrad und einem schizophrenen Wurm aufgehalten worden. Ich hoffe, du hast deine Zeit ebenso angenehm verbracht und auf den Marchenprinzen aufgepa?t.«
Frike verzog bekummert das Gesicht. »Ich habe auf ihn so gut ich konnte aufgepa?t. Drachenmist?«
»Drachenmist? Hat er gegen mein Verbot versto?en, das abgeschlossene Zimmer zu betreten?«
»Das hat er, Gebieter.«
»Und hat er die kleine verschlossene Truhe in der obersten Schublade meines Schreibtischs in dem Geheimzimmer gefunden?«
»Er ist zielstrebig darauf zugegangen, Meister.«
»Hat er sie geoffnet und das Miniaturgemalde von Prinzessin Rosenrot entdeckt?«
»Auch das hat er getan, Gebieter.«
»Warum erzahlst du mir dann nicht endlich mit deinen eigenen unbeholfenen Worten, was anschlie?end passiert ist?«
»Nun, Herr, der Prinz hat das Gesicht der Prinzessin betrachtet, den Blick abgewandt und es dann wieder betrachtet. Er hat das Bild in der linken Hand gehalten und sich nachdenklich mit der rechten an den Lippen gezupft. Er hat sich gerauspert und ›ah-hm, ah-hm‹ gemacht, wie ein Mann, der das Bedurfnis verspurt, irgend etwas zu sagen, aber nicht wei?, was er sagen soll. Dann hat er das Bild ganz vorsichtig hingelegt, sich umgedreht und ist ein oder zwei Schritte weit gegangen, bevor er umgekehrt ist und es wieder aufgehoben hat. Danach hat er es wieder weggelegt, das Gesicht abgewandt und ganz leicht an seiner Oberlippe gezupft, diesmal mit der linken Hand…«
»Das ist eine wundervoll genaue Beschreibung, Frike«, unterbrach ihn Azzie, »aber konntest du langsam mal auf den Punkt kommen?«
»Gewi? doch, Herr. Nachdem er sich das Bild der genannten jungen Dame noch mehrmals angesehen hatte – oder vielleicht sollte ich besser sagen, es mit etlichen fluchtigen Blicken bedacht hatte –, hat er sich zu mir umgedreht und gesagt: ›Frike, dieses Madchen ist ein echter Hammer.‹«
»Waren das seine Worte?«
»Wortwortlich, Herr. Ich wu?te nicht, was ich darauf antworten sollte, also habe ich nur ein dumpfes knurrendes Gerausch tief in der Kehle gemacht, weil ich mir gedacht habe, da? der junge Mann es auslegen