Medizin.
Spater brachte O'Donnell Lucy nach Hause. Sie war kurzlich nach Benvenuto Grange umgezogen, in einen gro?en, eleganten Apartmentblock am Nordrand der Stadt. »Sie kommen doch sicher noch zu einem Nightcap mit hinauf?«
Er uberlie? seinen Wagen dem uniformierten Pfortner des Apartmenthauses zum Parken und folgte ihr. In einem schimmernden, lautlosen Fahrstuhl fuhren sie in den funften Stock hinauf und gingen dann den mit Birke getafelten Korridor entlang, uber einen dicken, weichen Teppich, der jeden Laut verschluckte. Er zog die Augenbrauen hoch, und Lucy lachelte. »Es ist ziemlich imposant, wie? Ich bin selbst noch tief beeindruckt.«
Mit ihrem Schlussel offnete sie die Tur und schaltete das Licht ein. Geschmackvolle, gedampfte Lampen leuchteten ringsum in einem eleganten Wohnraum auf. Er konnte die halboffene Schlafzimmertur unmittelbar vor sich sehen. »Ich mache uns etwas zu trinken«, sagte sie.
Sie drehte ihm den Rucken zu, Eis klirrte in Glasern. O'Donnell fragte: »Waren Sie je verheiratet, Lucy?«
»Nein.« Sie antwortete, ohne sich umzudrehen.
Leise sagte er: »Ich habe mich manchmal gewundert, weshalb.«
»Das ist ganz einfach. Es ist recht lange her, da? ich darum gebeten wurde.« Lucy drehte sich um und brachte die Drinks, die sie gemixt hatte. Sie reichte O'Donnell sein Glas, lie? sich dann in einen Sessel nieder. Nachdenklich sagte sie: »Wenn ich es heute uberlege, zeigte sich nur eine Moglichkeit, zumindest nur eine, die Bedeutung hatte. Damals war ich sehr viel junger.«
O'Donnell trank einen Schluck aus seinem Glas. »Und Sie sagten nein?«
»Ich wollte Arztin werden. Das erschien mir damals ungeheuer wichtig. Ich hielt es mit einer Ehe fur unvereinbar.«
Beilaufig fragte er: »Haben Sie es je bedauert?«
Lucy uberlegte. »Eigentlich nicht, glaube ich. Ich habe erreicht, was ich wollte, und es hat sich in vieler Weise gelohnt. Sicher, manchmal frage ich mich, was wohl geworden ware, wenn ich mich anders entschieden hatte. Aber das ist schlie?lich nur menschlich, oder nicht?«
»Doch, ich glaube schon.« O'Donnell fuhlte sich seltsam bewegt. Lucy strahlte Tiefe und Zartlichkeit aus, eine friedvolle Ruhe und das Gefuhl des Nach-Hause-Kommens. Sie sollte Kinder haben, dachte er. Dann fragte er: »Sind Sie noch der gleichen Ansicht - uber Heirat und Medizin? Soweit es Sie betrifft, meine ich?«
»Ich bin in nichts mehr dogmatisch.« Sie lachelte. »Das wenigstens habe ich gelernt.«
O'Donnell fragte sich, wie von seinem Standpunkt aus eine Ehe mit Lucy aussehen mochte. Wurde sie liebevoll und anschmiegsam sein? Oder war ihr Leben zu weit und zu lange auf parallelen Gleisen verlaufen, als da? sie es jetzt noch andern und sich anpassen konnte? Wie mochten sie ihre Mu?estunden verbringen, wenn sie verheiratet waren? Wurden ihre Gesprache vertraulich sein und sich mit ihrem Privatleben befassen? Oder wurden sie vom Krankenhaus reden? Wurden beim Abendessen Krankengeschichten auf dem Tisch liegen und der Nachtisch mit diagnostischen Problemen gewurzt werden? Er sagte: »Wissen Sie, Lucy, ich war immer der Ansicht, da? wir vieles gemeinsam haben.«
»Ja, Kent«, antwortete Lucy, »das glaube ich auch.«
O'Donnell trank sein Glas aus und stand auf, um zu gehen. Er war sich bewu?t, da? sie beide sehr viel mehr gesagt hatten, als ihre Worte ausdruckten. Jetzt wollte er Zeit, um daruber nachzudenken und alles genau zu uberlegen. Es ging um zuviel fur eine hastige Entscheidung.
»Sie brauchen wirklich noch nicht zu gehen, Kent. Bleiben Sie, wenn Sie mogen.« Lucy sagte es einfach, und er wu?te, wenn er bliebe, hing es von ihm ab, was als nachstes geschah.
Er war halb geneigt, zu bleiben, aber seine Vorsicht und die Gewohnheit siegten. Er nahm ihre Hande. »Gute Nacht, Lucy. Wir wollen uns das alles uberlegen.«
Als sich der Fahrstuhl hinter ihm schlo?, stand sie noch in der offenen Tur ihres Apartments.
VI
»Ich habe Sie hierhergebeten«, sagte O'Donnell zu der Gruppe um den Tisch im Sitzungszimmer, »weil ich Sie um Ihre Unterstutzung bitten mochte.«
Die anderen horten aufmerksam zu. Von den Gebetenen waren alle au?er Reubens erschienen, der fur diese Zeit eine Bruchoperation angesetzt hatte.
O'Donnell fuhr fort: »Ich denke, es ist uns allen bekannt, da? wir in der Pathologie vor einem Problem stehen. Ich glaube, Sie werden mir auch zustimmen, da? dieses Problem sowohl personlicher als auch medizinischer Natur ist.«
»Was fur ein Problem?« Das war Charlie Dornberger. Der alte Geburtshelfer stopfte seine Pfeife, wahrend er sprach. »Ich glaube nicht, da? ich ganz verstehe, worauf Sie hinauswollen, Kent.«
O'Donnell hatte etwas Derartiges erwartet. Er wu?te, da? Dornberger und Pearson eng befreundet waren. Hoflich erwiderte er: »Ich mochte Sie bitten, mich zu Ende anzuhoren, Charlie. Ich werde versuchen, mich klar auszudrucken.«
Methodisch legte er die Schwierigkeiten dar, um die es sich handelte - die Verzogerungen bei den pathologischen Befunden, die steigenden Anforderungen, die das Krankenhaus an die pathologische Abteilung stellte, seine personlichen Zweifel, da? Joe Pearson allein sie erfullen konnte. Er berichtete den Vorfall mit Bill Rufus' Patientin, wandte sich an Rufus um dessen Bestatigung und schilderte im Anschlu? den Fall, den er an diesem Morgen von Reubens erfahren hatte. Er schilderte ferner sein eigenes Gesprach mit Pearson und die Weigerung des alten Mannes, einen zweiten Pathologen zu akzeptieren. Er schlo? mit den Worten: »Ich bin uberzeugt, da? wir einen neuen Mann brauchen, um Joe zu helfen. Ich mochte Sie um Ihre Unterstutzung bitten, um das durchzusetzen.«
»Auch ich habe mir Gedanken uber die Pathologie gemacht.« Unmittelbar nach O'Donnell ergriff Harvey Chandler, der Chef der inneren Abteilung, das Wort, als wolle er sichergehen, da? das Protokoll gewahrt werde. Seine Worte hatten den Ton, als ob er einer wohluberlegten Meinung nachdrucklich Ausdruck geben wolle. Wie ublich enthielt selbst seine einfachste Erklarung einen leicht bombastischen Ton. Er fuhr fort: »Aber in Anbetracht von Joe Pearsons Haltung kann sich die Sache als schwierig erweisen. Schlie?lich ist er der Leiter der Abteilung, und wir mussen alles vermeiden, was so ausgedeutet werden konnte, als wollten wir seine Autoritat untergraben.«
»Das ist ganz meine Ansicht«, erwiderte O'Donnell, »und deshalb suche ich ja Unterstutzung.« Er klopfte mit dem Finger auf den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen. »Ihre Unterstutzung, um Joe Pearson davon zu uberzeugen, da? es anders werden mu?.«
»Ich wei? nicht, ob die Art unseres Vorgehens ganz richtig ist«, meinte Bill Rufus.
»Weshalb, Bill?« O'Donnell bemerkte, da? Rufus heute eine seiner weniger aufdringlichen Krawatten trug. Sie hatte nur drei statt der sonst ublichen vier grellen Farben.
»Ich glaube nicht, da? ein paar von uns, die sich in dieser Weise zusammensetzen, das Recht haben, uber Veranderungen in der Pathologie zu verhandeln.« Rufus sah die anderen der Reihe nach an. »Gewi?, ich habe mit Joe Pearson Schwierigkeiten. Das haben wohl die meisten von uns. Aber das bedeutet noch nicht, da? ich mich einer geheimniskramerischen Verschworung anschlie?e, um ihn auszubooten.«
O'Donnell war froh, da? dieser Punkt aufgeworfen wurde, und er war darauf vorbereitet. »Darf ich mit allem Nachdruck versichern«, erklarte er, »da? weder meinerseits noch bei irgend jemand anderem die Absicht besteht, Dr. Pearson« - er sah Rufus an - »auszubooten, wie Sie es bezeichneten.« Ein allgemeines Murmeln stimmte ihm zu.
»Betrachten Sie es folgenderma?en«, fuhr O'Donnell fort. »Allgemein scheint man darin ubereinzustimmen, da? ein Wandel in der Pathologie unerla?lich ist. Schon allein wegen der pathologischen Befunde. Jeder Tag Verzogerung in Fallen, in denen Operationen notwendig sind, bedeutet eine Gefahrdung der Patienten. Ich wei?, da? ich diesen Punkt nicht weiter hervorzuheben brauche.«
Harry Tomaselli warf dazwischen: »Wir sollten auch nicht vergessen, da? durch unnotige Verzogerungen Krankenhausbetten belegt werden, die wir dringend brauchen. Unsere Warteliste fur die Aufnahme ist immer noch sehr lang.«
O'Donnell ergriff wieder das Wort: »Selbstverstandlich konnte ich mich auch an den Exekutivausschu? wenden, statt das Problem in dieser Weise anzufassen.« Er schwieg kurz. »Wenn es sein mu?, werde ich das auch tun. Aber ich glaube, Sie wissen, was dann geschieht. Joe ist selbst ein Mitglied des Exekutivausschusses, und da wir Joe alle kennen, wissen wir, da? jede Diskussion zu einer schweren Auseinandersetzung ausarten wird. Und