»Ganz bestimmt nicht, Liebling?« John fragte mit angstlicher Stimme.

Elizabeth griff uber den Tisch und legte ihre Hand auf die seine. »Mach dir keine Sorgen. Es ist zu fruh fur das Kind. Es dauert mindestens noch zwei Monate.«

»Trotzdem«, warnte Coleman ernst, »rate ich Ihnen, Ihren Arzt anzurufen und ihm zu berichten, was geschehen ist. Vielleicht will er Sie untersuchen.«

»Das werde ich tun.« Sie lachelte ihm herzlich zu. »Ich verspreche es Ihnen.«

In diesem Augenblick meinte Elizabeth, was sie sagte. Aber spater, als sie nicht mehr im Krankenhaus war, schien es ihr zu albern, Dr. Dornberger wegen eines einzigen Schmerzes zu belastigen, der ganz kurz aufgetreten und so schnell wieder verschwunden war. Wenn er wiederkam, war gewi? noch Zeit genug, ihn anzurufen aber nicht jetzt schon. Sie entschlo? sich also, zu warten.

XV

»Gibt es etwas Neues?«

Von ihrem Rollstuhl blickte Vivian zu Dr. Grainger auf, als Lucy in das Krankenzimmer trat. Vier Tage waren seit der Probeexcision vergangen, drei, seit Pearson die Schnitte nach New York und Boston geschickt hatte.

Lucy schuttelte den Kopf. »Ich sage Ihnen Bescheid, sobald ich etwas wei?, Vivian.«

»Wann. wann werden Sie es wissen.. endgultig?«

»Wahrscheinlich heute noch.« Lucy antwortete sachlich. Sie wollte nicht verraten, da? auch sie das Warten beunruhigte. Gestern abend hatte sie noch einmal mit Joe Pearson gesprochen. Dabei hatte er versprochen, die beiden Spezialisten anzurufen und zu bitten, ihren Befund sofort abzuschicken, wenn ihre Antwort bis heute mittag nicht eintreffe. Das Warten fiel allen schwer, auch Vivians Eltern, die am Tage vorher aus Oregon in Burlington angekommen waren.

Lucy nahm den Verband von Vivians Knie ab. Die Schnittnarbe schien gut zu verheilen. Wahrend sie den Verband erneuerte, sagte sie: »Es ist schwer. Das wei? ich. Versuchen Sie, soviel wie moglich an anderes zu denken.«

Das Madchen lachelte schwach. »Es ist wirklich nicht leicht.«

Lucy stand jetzt an der Tur. Sie sagte: »Vielleicht lenkt ein Besuch Sie ab. Hier kommt schon ein sehr fruher.« Sie offnete die Tur und winkte. Mike Seddons trat ein, als Lucy hinausging.

Seddons trug seinen wei?en Krankenhausanzug. Er sagte: »Ich habe mir zehn Minuten gestohlen. Sie sind ganz fur dich.«

Er kam zu ihr heruber und ku?te sie. Einen Augenblick schlo? sie die Augen und schmiegte sich fest an ihn. Er strich ihr mit der Hand uber das Haar. Seine Stimme an ihrem Ohr war sanft.

»E» fallt einem schwer, nicht wahr, so zu warten?«

»Oh, Mike, wenn ich nur wu?te, was kommt. Ich glaube nicht, da? ich es nicht ertragen kann. Es ist dieses standige. Sichfragen. diese Ungewi?heit.«

Er hielt sie etwas von sich ab und sah ihr ins Gesicht. »Vivian, Liebling, ich wunsche so, da? ich etwas fur dich tun konnte, und sei es noch so wenig.«

»Du hast schon sehr viel getan. «Vivian lachelte schwach. »Schon da? du da bist - da? du bei mir bist. Ich wu?te nicht, wie ich es ohne dich...«

Sie schwieg, als er die Hand ausstreckte und ihr einen Finger auf die Lippen legte.

»Sprich es nicht aus. Ich mu?te hier sein. Es war vorausbestimmt, alles durch das kosmische Geschehen festgelegt.« Er zeigte ihr sein strahlendes, breites Lacheln. Nur er selbst spurte die Hohlheit hinter seinen Worten. Mike Seddons wu?te wie Lucy genau, was die Verzogerung des pathologischen Befundes zu bedeuten hatte.

Es gelang ihm jedoch, Vivian zum Lachen zu bringen. »Unsinn«, sagte sie. »Wenn ich nicht zu dieser alten Obduktion gekommen ware oder eine andere Lernschwester dich zuerst.«

»Na ja.« Dann schuttelte er den Kopf. »Es sieht vielleicht so aus, aber man kann seinem vorausbestimmten Geschick nicht entgehen. Seit unsere Urahnen sich von Baum zu Baum schwangen und sich die Unterarme kratzten, haben unsere Gene sich durch die sandigen Wusten von Zeit, Leben und Schicksal einander genahert.« Er redete nur, um etwas zu sagen, sprach die ersten Worte aus, die ihm in den Kopf kamen, aber sie erzielten die gewunschte Wirkung.

Vivian sagte: »Oh, Mike, du redest so einen gro?artigen Quatsch, und ich liebe dich so.«

»Das kann ich verstehen.« Er ku?te sie wieder sanft. »Ich glaube, deine Mutter mag mich auch.«

Sie legte eine Hand auf ihren Mund. »Da kannst du sehen, was du mit mir machst. Danach hatte ich als erstes fragen sollen. Ging alles gut, nachdem ihr gestern abend hier fortgegangen seid?«

»Aber sicher. Ich brachte deine Eltern zum Hotel zuruck. Wir sa?en dann noch eine Weile zusammen und unterhielten uns. Deine Mutter sagte nicht viel, aber ich merkte genau, wie dein Vater mich abschatzte und bei sich dachte: was ist das fur ein Bursche, der daherkommt und behauptet, er werde meine schone Tochter heiraten?«

»Das werde ich ihm heute genau erklaren«, antwortete Vivian.

»Und was wirst du ihm sagen?«

»Oh, das wei? ich noch nicht.« Sie streckte die Hande aus, fa?te Seddons bei den Ohren, drehte seinen Kopf hin und her und betrachtete ihn prufend. »Vielleicht sage ich, er hat das hubscheste rote Haar, das ich kenne. Es ist immer unordentlich, aber man kann mit den Fingern hindurchfahren, und es ist sehr weich.« Sie begleitete ihre Worte mit den entsprechenden Bewegungen.

»Das ist naturlich alles sehr wichtig. Ohne das ware keine Ehe vollkommen. Was weiter?«

»Ich werde sagen: >Naturlich sieht er nicht besonders gut aus, aber er hat ein Herz aus Gold und wird einmal ein brillanter Chirurg.««

Seddons runzelte die Stirn. »Konntest du nicht sagen: au?erordentlich brillant?«

»Vielleicht, wenn. «

»Wenn was?«

»Wenn du mich noch einmal ku?t - jetzt gleich.«

In der zweiten Etage des Krankenhauses klopfte Lucy Grainger leicht an die Tur des Chefs der Chirurgie und trat ein.

Kent O'Donnell blickte von seinem Bericht auf und gru?te: »Hallo, Lucy. Machen Sie es Ihren muden Knochen bequem.«

»Da Sie mich darauf aufmerksam machen, merke ich: sie sind wirklich etwas mude.« Sie lie? sich in den gro?en Ledersessel fallen, der O'Donnells Schreibtisch gegenuberstand.

»Ab erstes heute morgen erhielt ich den Besuch von Mr. Loburton.« O'Donnell kam um seinen Schreibtisch herum und setzte sich ungezwungen auf die Schreibtischkante vor Lucy. »Zigarette?« Er reichte ihr sein gehammertes, goldenes Zigarettenetui.

»Danke.« Sie griff nach einer Zigarette. »Ja, Vivians Vater.«

Lucy nahm das Feuer, das O'Donnell ihr anbot und atmete tief ein. Der Rauch war kuhl, beruhigend. »Ihre Eltern kamen gestern an«, fuhr sie fort. »Naturlich sind sie sehr beunruhigt, und selbstverstandlich wissen sie nicht das geringste uber mich. Ich riet Mr. Loburton, mit Ihnen zu sprechen.«

»Das hat er auch getan«, antwortete O'Donnell ruhig. »Ich erklarte ihm, da? seine Tochter meiner Meinung nach kaum in besseren Handen sein konne, da? es unter den Arzten des Krankenhauses keinen gebe, zu dem ich gro?eres Vertrauen hatte. Ich kann Ihnen versichern, da? er sehr beruhigt erschien.«

»Danke.« Lucy war O'Donnell fur seine Worte ungemein dankbar.

Der Chef der Chirurgie lachelte. »Danken Sie mir nicht. Das ist meine ehrliche Meinung.« Nach einer Pause fragte er: »Und was ist nun mit dem Madchen, Lucy? Wie sieht die Sache aus?«

In wenigen Worten schilderte sie ihm ihren Untersuchungsbefund, ihre vorlaufige Diagnose, die Probeexcision.

O'Donnell nickte. »Hat es Schwierigkeiten mit der Pathologie gegeben? Hat Joe Pearson seinen Befund prompt geliefert?« fragte er.

Lucy berichtete ihm uber die Verzogerung und deren Grunde. Er uberlegte kurz. »Nun, mir scheint das sehr vernunftig. Ich glaube nicht, da? dagegen etwas einzuwenden ist. Aber drangen Sie Joe. Sie durfen es nicht noch langer hinauszogern.«

»Das werde ich auch nicht.« Lucy blickte auf ihre Uhr. »Ich beabsichtige, Joe nach dem Mittagessen wieder zu fragen. Bis dahin erwartet er die endgultige Nachricht.«

O'Donnell verzog das Gesicht. »So endgultig, wie es in diesem Fall sein kann.« Er wurde nachdenklich. »Das

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