sich und hob sie auf.
Er fragte Pearson: »Was soll ich damit machen?«
Der alte Pathologe hatte zwei saubere Reagenzglaser genommen, in die er einen Teil des Blutserums verteilte. Ohne aufzusehen fragte er gereizt: »Womit machen?«
»Mit der Bestellung fur das Coombs-Serum.«
»Die brauchen wir nicht. Zerrei?en Sie sie!«
Pearson kontrollierte das Schild auf einer kleinen Flasche, die Rh-positive Zellen enthielt. Das von einer pharmazeutischen Fabrik hergestellte Praparat wurde als Reagenz bei der Untersuchung von Rh-negativem Blut verwendet.
Bannister zogerte. Er hatte zwar gegen Coleman sehr viel einzuwenden, aber er wu?te auch, da? es hierbei um eine Frage des arztlichen Protokolls ging. »Sie sollten es Dr. Coleman aber mitteilen«, sagte er zweifelnd. »Oder soll ich es ihm sagen?«
Pearson hatte Muhe, den Korken aus der Flasche zu ziehen. Ungeduldig antwortete er: »Nein, nein. Das sage ich ihm schon selbst.«
Bannister hob die Schultern. Er hatte Pearson darauf hingewiesen. Wenn es jetzt Arger gab, war er nicht dafur verantwortlich. Er nahm die Einkaufsanforderung, zerri? sie und lie? die Fetzen in einen Abfallkubel fallen.
Roger McNeil, der pathologische Assistent, war uberzeugt, da? er, ungeachtet, wie lange er Medizin praktizieren wurde, sich niemals an die Obduktion von Kindern gewohnen konne. Er hatte gerade eine abgeschlossen, und jetzt lag im Obduktionsraum der rot klaffende Korper eines vierjahrigen Jungen offen und anklagend vor ihm. Der Anblick verfolgte McNeil jedesmal. Er wu?te schon, da? er, wie immer in diesen Fallen, in der Nacht wenig Schlaf finden wurde. Standig wurde das Bild wieder vor seinen Augen auftauchen - insbesondere, wenn er daran dachte und dagegen konnte er sich nicht wehren -, wie unnotig und sinnlos der vorliegende Todesfall war.
Er blickte auf und bemerkte, da? Mike Seddons ihn beobachtete. Der chirurgische Assistent sagte: »Das arme kleine Wurm.« Dann fugte er erbittert hinzu: »Wie dumm die Menschen doch sind.«
McNeil fragte: »Wartet der Polizist noch?«
Seddons nickte. »Ja, und die anderen auch.«
»Am besten benachrichtigen Sie Pearson.«
»Ja.« Im Nebenzimmer des Obduktionsraumes befand sich ein Telefon, und Seddons ging hinuber.
McNeil fragte sich, ob es Feigheit war, da? er dieser heiklen Aufgabe aus dem Wege ging. Aber der alte Mann mu?te uber den Fall ja doch unterrichtet werden. Also sollte er entscheiden, wer den Befund weitergab.
Seddons kam vom Telefon zuruck. »Pearson war in der Serologie«, sagte er, »er kommt gleich heruber.«
Die beiden Manner warteten schweigend. Dann vernahmen sie Pearsons schlurfende Schritte, und der alte Mann trat ein. Er sah auf die Leiche, wahrend McNeil die Einzelheiten des Falles darlegte. »Vor ein bis zwei Stunden ist das Kind vor dem Hause seiner Eltern von einem Auto angefahren worden. Es wurde mit einem Krankenwagen in das Krankenhaus gebracht, war aber bei der Ankunft schon tot. Daraufhin wurde eine Obduktion angeordnet.« McNeil informierte Pearson uber seinen Befund.
Der alte Mann fragte unglaubig: »Und das war alles?«
»Das allein war die Todesursache«, antwortete McNeil. »Sonst nichts.«
Pearson trat naher an die Leiche, blieb dann stehen. Er kannte McNeil gut genug, um zu wissen, da? der Assistent keinen Fehler beging. Er sagte: »Dann mussen sie einfach danebengestanden. und zugesehen haben.«
Seddons warf ein: »Hochstwahrscheinlich wu?te niemand, was geschah.«
Pearson nickte langsam. Seddons fragte sich, was der alte Mann wohl dachte. Dann fragte Pearson: »Wie alt war das Kind?«
»Vier«, antwortete McNeil. »Ein hubscher Junge.«
Sie blickten stumm auf den stillen, kleinen Korper auf dem Obduktionstisch. Die Augen waren geschlossen, das blonde, verwirrte Haar wieder an seine Stelle geschoben, nachdem das Gehirn entfernt worden war. Pearson schuttelte den Kopf, wendete sich dann zur Tur. Uber die Schulter sagte er: »Also gut. Ich gehe hinauf und sage es ihnen.«
Die drei Personen, die sich in einem Wartezimmer des Krankenhauses aufhielten, sahen auf, als Pearson eintrat. Einer war ein uniformierter Beamter der stadtischen Polizei. Neben ihm stand ein gro?er Mann mit geroteten Augen. Der dritte - ein grauer, kleiner Mann, mit einem gro?en Schnurrbart - sa? niedergeschlagen fur sich in einer Ecke.
Pearson stellte sich vor. Der Polizist sagte: »Ich bin Stevens vom funften Revier, Sir.« Er zog ein Notizbuch und einen Bleistift.
Pearson fragte: »Waren Sie bei dem Unfall dabei?«
»Ich kam unmittelbar danach.« Er deutete auf den gro?en Mann. »Das ist der Vater des Jungen. Der andere ist der Fahrer des Wagens.«
Der graue Mann blickte auf. Flehend sagte er zu Pearson: »Er kam gerade herausgelaufen, direkt hinter dem Haus hervor. Ich bin kein rucksichtsloser Fahrer. Ich habe selbst Kinder. Ich fuhr nicht schnell. Ich stand fast, als es geschah.«
»Und ich sage, Sie sind ein verfluchter Lugner!« Die Stimme des Vaters schwankte vor Schmerz und Erbitterung. »Sie haben ihn getotet, und hoffentlich kommen Sie dafur ins Gefangnis.«
Pearson sagte beruhigend: »Einen Augenblick, bitte.« Es herrschte Schweigen. Die drei Manner sahen ihn an. Er deutete auf das Notizbuch des Polizisten. »Die Polizei erhalt von uns den vollstandigen Befund. Aber die wesentlichen Ergebnisse kann ich Ihnen jetzt schon sagen.« Er machte eine Pause. »Die Obduktion hat ergeben, da? der Junge nicht von dem Auto getotet wurde.«
Der Polizist sah ihn uberrascht an. Der Vater sagte: »Aber ich war doch dabei. Ich sage Ihnen.«
»Ich wunschte, ich konnte es Ihnen schonender beibringen«, unterbrach Pearson ihn, »aber leider geht das nicht.« Er wendete sich unmittelbar an den Vater. »Der Sto?, den Ihr Junge erhielt, warf ihn zwar auf die Stra?e, und er erlitt eine leichte Gehirnerschutterung, die ihn bewu?tlos machte. Er erlitt auch einen Nasenbeinbruch - nicht sehr schlimm, aber unglucklicherweise verursachte er starkes Nasenbluten.« Pearson wandte sich an den Polizisten. »Ich nehme an, das Kind wurde auf dem Rucken liegengelassen - so, wie es hingefallen war.«
»Ja, Sir«, antwortete der Polizist. »Das stimmt. Wir wollten ihn nicht bewegen, bis der Krankenwagen kam.«
»Und wie lange dauerte das?«
»Etwa zehn Minuten.«
Pearson nickte langsam. »Das war mehr als ausreichend. Funf Minuten hatten genugt.« Er sagte: »Ich furchte, das hat den Tod veranla?t. Das Blut aus der Nase lief dem Jungen den Rachen hinunter. Er bekam keine Luft und sog das Blut in die Lungen ein. Daran ist er erstickt.«
Das Gesicht des Vaters verriet Entsetzen, Unglauben. Er sagte: »Sie meinen, wenn wir ihn nur umgedreht hatten.«
Pearson hob abwehrend seine Hande. »Ich meine, was ich sage. Ich wunschte, ich konnte es Ihnen auf andere Weise mitteilen, aber ich kann nur die Wahrheit berichten: die ursprunglichen Verletzungen Ihres Sohnes waren geringfugig.«
Der Polizist fragte: »Dann war der Sto? von dem Wagen.?«
»Man kann naturlich nicht sicher sein, aber meine Meinung ist, da? er nur gestreift und verhaltnisma?ig leicht getroffen wurde.« Pearson deutete auf den grauen Mann, der jetzt dicht vor ihm stand. »Ich nehme an, da? dieser Mann hier die Wahrheit sagt, wenn er behauptet, da? er langsam fuhr.«
»Heilige Mutter Gottes«, stie? der Vater aus, eine verzweifelte, gequalte Klage. Die Hande vor das Gesicht geschlagen schluchzte er. Nach einem Augenblick fuhrte ihn der graue Mann zu einer Bank, den Arm um die Schultern des anderen gelegt, mit feuchten Augen.
Das Gesicht des Polizisten war wei?. Heiser sagte er: »Doktor, ich stand die ganze Zeit dabei. Ich hatte den Jungen umdrehen konnen. aber ich wu?te es nicht.«
»Ich glaube nicht, da? Sie sich etwas vorzuwerfen haben.«