lassen? Was furchtete er eigentlich? Vielleicht sollten sie noch einen Abend gemeinsam verbringen und dann die Ereignisse ihren Lauf nehmen lassen. Aber hier und jetzt, in Gil Bartletts Gesellschaft, war offensichtlich keine geeignete Gelegenheit, um sich mit ihr zu verabreden.
»Ich bezweifle, da? einer von uns das noch erleben wird.« Wahrend Lucy sprach, summte leise das Telefon auf dem Tisch. Sie nahm den Horer auf und meldete sich, reichte ihn dann Gil Bartlett. »Fur Sie.«
»Ja, bitte«, meldete sich Bartlett.
»Dr. Bartlett?« Sie konnte die Frau am anderen Ende der Leitung verstehen.
»Am Apparat.«
»Hier ist Miss Rawson in der Notaufnahme. Ich habe eine Nachricht von Dr. Clifford.« Clifford war der erste chirurgische Assistent des Krankenhauses.
»Ja, bitte?«
»Er bittet Sie, herunterzukommen und sich auf eine Operation vorzubereiten, falls Sie konnen. Auf der Autobahn war ein Verkehrsunfall mit mehreren Schwerverletzten, darunter eine gefahrliche Brustverletzung. Dr. Clifford bittet Sie, diesen Fall zu ubernehmen.«
»Sagen Sie ihm, ich komme sofort.« Bartlett hangte den Horer auf. »Tut mir leid, Lucy, wir mussen die Diskussion ein andermal weiterfuhren.« Er ging zur Tur, blieb noch einmal stehen. »Aber eines will ich Ihnen sagen. Ich glaube nicht, da? wir befurchten mussen, arbeitslos zu werden. Solange immer gro?ere und schnellere Autos gebaut werden, gibt es fur Chirurgen immer Arbeit.«
Er ging hinaus, und mit einem freundlichen Nicken fur Lucy folgte ihm O'Donnell. Als sie allein war, wartete Lucy einen Augenblick und nahm dann wieder das Telefon ab. Als sich die Zentrale meldete, sagte sie: »Ich mochte ein Ferngesprach, bitte, mit einem Teilnehmer in Salem, Oregon.«
Mit der Ubung langer Praxis suchte sich Kent O'Donnell seinen Weg durch das Hin und Her auf dem Gang und ging zu seinem eigenen Buro im Krankenhaus. Auch sein Vormittag war ausgefullt. In weniger als einer halben Stunde mu?te er in den Operationsraumen erscheinen, danach war eine Sitzung des medizinischen Ausschusses angesetzt, und spater erwarteten ihn in der Stadt mehrere Patienten. Sein Programm erstreckte sich bis spat in den Nachmittag.
Auf seinem Weg dachte er wieder an Lucy Grainger. Als er sie vor wenigen Augenblicken sah, ihr nahe war, stiegen wieder die Fragen nach Lucy und sich selbst in ihm auf. Aber gleich bedrangten ihn auch die alten, bekannten Zweifel, das Gefuhl, da? sie fur eine standige Verbindung vielleicht zu viele gemeinsame Interessen besa?en.
Er fragte sich, weshalb er in letzter Zeit so viel an Lucy dachte oder genaugenommen: an Frauen uberhaupt. Vielleicht weil Anfang Vierzig von jeher ein Alter ist, in dem Manner ungeduldig sind. Dann lachelte er innerlich, als er sich erinnerte, da? es in seinem Leben selten Perioden gegeben hatte, in denen sich nicht eine gelegentliche Liebesaffare der einen oder anderen Art ganz naturlich ergab. Jetzt lagen sie nur weiter auseinander. Und er war auch genotigt, dabei erheblich diskreter vorzugehen als in jungeren Jahren.
Von Lucy sprangen seine Gedanken zu Denise Quantz uber. Nach ihrer Einladung, sie in New York aufzusuchen, die sie an dem Abend ausgesprochen hatte, als er ihr in Eustace Swaynes Haus begegnete, hatte O'Donnell seine Teilnahme an dem chirurgischen Kongre? angemeldet. Jetzt fiel ihm ein, da? der Kongre? in der nachsten Woche stattfand. Wenn er Mrs. Quantz sehen wollte, mu?te er bald eine Verabredung treffen. Als er in sein Buro kam, sagte ihm ein Blick auf die Uhr, da? er vor seiner ersten Operation noch zwanzig Minuten Zeit hatte. Er nahm das Telefon auf und redete sich dabei selbst ein, es sei immer richtig, Dinge zu erledigen, wenn man an sie dachte.
Er horte, wie die Zentrale die Nummer von der New Yorker Auskunft erfragte. Dann folgte ein surrender Ton und anschlie?end ein Knacken. Eine Stimme meldete sich: »Hier ist die Wohnung von Mrs. Quantz«
»Ich habe ein Ferngesprach fur Mrs. Denise Quantz«, meldete sich das Amt in Burlington.
»Mrs. Quantz ist nicht anwesend.«
»Wissen Sie, wo sie zu erreichen ist?« Die Telefongesellschaft war immer bemuht, ihren Kunden zu helfen.
»Mrs. Quantz halt sich in Burlington, Pennsylvania, auf. Wunschen Sie ihre dortige Nummer?«
»Ja, bitte.« Das war wieder das Fernamt in Burlington.
»Die Nummer ist Hunter 6-5735.«
»Danke, New York.« Wieder ein Knacken, dann fragte das Fernamt: »Haben Sie die Nummer verstanden, Teilnehmer?«
»Ja, danke«, antwortete O'Donnell und hangte ein. Mit der anderen Hand hatte er schon nach dem Burlingtoner Telefonbuch gegriffen. Er blatterte darin, bis er zu >Swayne, Eustace R. < kam. Wie erwartet entsprach der Anschlu? der Nummer, die er gerade erhalten hatte.
Wieder nahm er den Horer ab und wahlte.
Eine mannliche Stimme antwortete: »Hier ist die Wohnung von Mr. Eustace Swayne.«
»Ich mochte mit Mrs. Quantz sprechen.«
»Einen Augenblick, bitte.«
Es folgte eine Pause, dann: »Hier Mrs. Quantz.«
Bis zu diesem Augenblick hatte O'Donnell vergessen, wie sehr ihre Stimme ihn angezogen hatte. Sie war von einer sanften Gedecktheit, die den einfachsten Worten Charme zu verleihen schien.
»Hier ist Kent O'Donnell«, meldete er sich, »ich wei? nicht, ob Sie sich meiner erinnern.«
»Selbstverstandlich, Dr. O'Donnell. Wie nett von Ihnen, mich anzurufen.«
In einer plotzlichen Vision sah er sie am Telefon, ihre dunkles Haar, das auf ihre Schultern fiel. Er sagte: »Ich wollte Sie gerade in New York anrufen. Dort nannte man mir Ihren hiesigen Anschlu?.«
»Ich bin gestern abend mit dem Flugzeug hergekommen«, antwortete Denise Quantz. »Vater hat eine leichte Bronchitis, und ich wollte fur ein oder zwei Tage bei ihm sein.«
Hoflich fragte er: »Hoffentlich ist es nichts Ernstes?«
»Durchaus nicht.« Sie lachte. »Vater besitzt auch die Konstitution eines Maultieres, nicht nur seine Bockigkeit.«
Er dachte, das glaube ich gern. Laut sagte er: »Ich wollte Sie bitten, mit mir in New York zu Abend zu essen. Ich werde nachste Woche dort sein.«
»Das konnen Sie mich jetzt gleich fragen.« Ihre Antwort erfolgte sofort und vorbehaltlos. »Nachste Woche bin ich wieder in New York.«
Einer Eingebung folgend fragte er: »Konnen wir uns nicht schon vorher sehen? Haben Sie in Burlington noch einen Abend frei?«
Nach einer kurzen Pause antwortete sie: »Die einzige Moglichkeit ware heute abend.«
O'Donnell uberlegte schnell. Die Patienten in seiner Sprechstunde wurden ihn bis sieben Uhr festhalten, aber wenn sich nichts weiter ergab.
Seine Gedanken wurden unterbrochen. »Nein, warten Sie«, sagte Denise Quantz, »ich hatte vergessen, da? Dr. Pearson zum Abendessen zu Vater kommt. Ich glaube, dazu mu? ich bleiben.« Sie fugte hinzu: »Vielleicht wollen Sie auch kommen?«
Er lachte lautlos vor sich hin. Joe Pearson wurde uberrascht sein, wenn er ihm dort begegnete. Sein Instinkt sagte ihm indessen, das sei kein guter Einfall. Er antwortete: »Vielen Dank, aber vielleicht ist es doch besser, wenn wir es verschieben.«
»Wie schade.« Auch ihre Stimme klang enttauscht; dann war sie wieder munter. »Aber wenn Sie wollen, konnen wir uns nach dem Abendessen treffen. Vater und Dr. Pearson werden bestimmt Schach spielen, und dann bemerken sie gar nicht, ob noch jemand anwesend ist.«
Der Vorschlag entzuckte ihn. »Das ware wunderbar. Ab wann sind Sie frei?«
»Gegen halb zehn, denke ich.«
»Soll ich Sie abholen?«
»Wahrscheinlich sparen wir Zeit, wenn wir uns gleich in der Stadt treffen. Bestimmen Sie, wo.«
Er uberlegte einen Augenblick und schlug dann vor: »Im Regency Room.«
»Sehr gut. Um halb zehn also. Auf Wiedersehen.«
Als O'Donnell den Horer zurucklegte, erfullte ihn eine freudige Erwartung. Er blickte wieder auf die Uhr. Er mu?te sich beeilen, wenn er rechtzeitig in den Operationsraum kommen wollte.
Die Schachpartie nach dem Abendessen zwischen Eustace Swayne und Dr. Joseph Pearson war schon seit