Schachabend auch jetzt.

Augenblicklich sah er gerade die Einkaufsanforderungen fur Labormaterial durch, eine Arbeit, die er schlechthin verabscheute und an diesem Tage mehr denn je. Er knurrte und legte eines der Formulare beiseite. Dann kritzelte er ein paar weitere Unterschriften, unterbrach sich und zog ein zweites Formular aus dem Packen. Dieses Mal begleitete ein Stirnrunzeln sein Knurren. Wer ihn kannte, hatte das als Sturmzeichen erkannt. Dr. Pearson stand vor einem Wutausbruch.

Der Augenblick kam, als er uber einem dritten Formular zogerte. Dann schleuderte er plotzlich heftig seinen Bleistift auf den Tisch, packte alle Papiere in einem unordentlichen Sto? und eilte zur Tur. Er sturmte in das serologische Labor und sah sich nach Bannister um. Er fand den ersten Laboranten in einer Ecke, wo er eine Stuhlkultur vorbereitete.

»Lassen Sie alles stehen und liegen und kommen Sie her!« Pearson warf den Sto? Papiere auf den Mitteltisch. Ein paar flatterten zu Boden, und John Alexander buckte sich, sie aufzuheben. Unwillkurlich war er erleichtert, da? Pearsons Arger sich gegen Bannister und nicht gegen ihn selbst richtete.

»Was ist denn los?« Bannister kam gelassen naher. Er war an diese Ausbruche so gewohnt, da? sie ihn manchmal ruhiger werden lie?en.

»Ich will Ihnen sagen, was los ist. Diese ganzen Einkaufsanforderungen hier sind los!« Pearson schien sich zu beherrschen. Seine Wut siedete nur noch, statt zu kochen. »Manchmal scheinen Sie sich einzubilden, wir seien hier in der Mayo-Klinik.«

»Wir mussen doch Labormaterial haben, oder etwa nicht?«

Pearson ignorierte die Frage. »Es scheint fast so, als ob Sie das Zeug fressen. Und habe ich Ihnen nicht immer wieder gesagt, Sie sollen bei jeder au?ergewohnlichen Bestellung schriftlich erklaren, wozu sie gebraucht wird?«

»Habe ich das vergessen? Das kann mal passieren«, antwortete Bannister resigniert.

»Na schon. Aber Sie konnten anfangen, sich daran zu erinnern.« Pearson nahm das oberste Formular von dem Sto?. »Wozu soll das Kalziumoxyd sein? Wir haben es hier nie verwendet.«

Bannister verzog sein Gesicht zu einem boshaften Grinsen. »Sie haben mich selbst beauftragt, es zu bestellen. Sie brauchen es doch in Ihrem Garten.« Der erste Laborant verwies auf etwas, das ihnen beiden bekannt war, wovon sie aber selten sprachen. Pearson war einer der fuhrenden Rosenzuchter im Gartnerverein des Counties und zweigte eine ansehnliche Menge Chemikalien aus dem Krankenhaus ab, um seinen Garten zu dungen.

Er besa? den Anstand, verwirrt zu erscheinen. »Oh... ja, richtig. Lassen wir das also.« Er legte das Formular beiseite und nahm ein anderes. »Was soll diese Anforderung hier? Wozu brauchen wir plotzlich Coombs-Serum? Wer hat das bestellt?«

»Das war Dr. Coleman«, antwortete Bannister bereitwillig. Jetzt war der Augenblick gekommen, auf den er gewartet hatte. John Alexander neben ihm wurde es unbehaglich.

»Wann?« Pearsons Frage klang scharf.

»Gestern. Dr. Coleman hat die Anforderung sowieso unterschrieben.« Bannister deutete auf das Formular und fugte boshaft hinzu: »Da, wo Sie sonst unterschreiben.«

Pearson sah auf das Blatt. Er hatte noch nicht bemerkt, da? es eine Unterschrift trug. Er fragte Bannister: »Wozu will er das? Wissen Sie es?«

Der erste Laborant blieb gelassen. Er hatte das Raderwerk der Rache in Bewegung gesetzt und konnte die folgende Szene als Zuschauer genie?en. Zu John Alexander sagte er: »Los, erklaren Sie es.«

Etwas unbehaglich sagte Alexander: »Es ist fur einen Blutsensibilitatstest, Dr. Pearson. Fur meine Frau. Dr. Dornberger hat ihn angefordert.«

»Weshalb Coombs-Serum?«

»Es ist fur einen indirekten Coombs-Test, Doktor.«

»Sagen Sie mal, ist Ihre Frau etwas Besonderes?« Pearsons Stimme hatte einen sarkastischen Ton. »Was ist an den Tests mit Salzlosung und konzentriertem Protein verkehrt, die wir in allen anderen Fallen anwenden?«

Alexander schluckte nervos. Es entstand eine Pause. Pearson drangte: »Ich warte auf Antwort.«

»Nun, Sir.« Alexander zogerte. Dann platzte er heraus: »Ich habe Dr. Coleman vorgeschlagen - und er stimmte mir zu -, es ware zuverlassiger, wenn wir nach den anderen Tests einen.«

»Sie haben Dr. Coleman vorgeschlagen? So!« Der Ton der Frage lie? keinen Zweifel daruber, was jetzt kommen mu?te. Alexander, der es spurte, fuhr schnell fort:

»Ja, Sir, wir sind der Ansicht, da? Antikorper in Salzlosung und konzentriertem Protein manchmal nicht festgestellt werden konnen, und der zusatzliche Test.«

»Nun aber Schlu?!« Die Worte kamen laut, scharf und brutal. Wahrend Pearson sie aussprach, klatschte er seine Hand hart auf die Formulare auf dem Tisch. In dem Labor herrschte eisiges Schweigen. Muhsam atmend wartete der alte Mann und musterte Alexander. Als er sich so weit gefa?t hatte, erklarte er grimmig: »Sie haben einen gro?en Fehler. Sie nehmen sich etwas zuviel heraus mit dem Zeug, das Sie da auf der Fachschule gelernt haben.«

Pearsons Erbitterung brach durch seine Worte hindurch - die Erbitterung gegen alle, die junger waren, die sich einmischten, die versuchten, seine Autoritat zu beschneiden - seine Autoritat, die bisher unbedingt und unantastbar gewesen war. In einer anderen Stimmung und zu einer anderen Zeit hatte er sich vielleicht duldsamer gezeigt, aber jetzt entschlo? er sich, diesen jungen Anfanger ein und fur allemal in seine Schranken zu verweisen.

»Horen Sie mir zu, und passen Sie genau auf. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, und ich beabsichtige nicht, es noch einmal zu wiederholen.« Jetzt sprach die Autoritat, der Leiter der Abteilung, der mit harter Hand einer kleinen Hilfskraft klarmachte, da? von nun an keine weiteren Warnungen mehr erfolgen wurden, sondern nur Aktionen. Das Gesicht dicht vor dem Alexanders sagte Pearson: »Ich bin derjenige, der diese Abteilung leitet. Und wenn Sie oder jemand anders Fragen haben, werden sie mir vorgelegt, verstehen Sie mich?«

»Ja, Sir.« In diesem Augenblick wunschte Alexander, die Szene ware voruber. Er wu?te schon, da? er zum letztenmal einen Vorschlag gemacht hatte. Wenn das der Lohn dafur war, da? man mitdachte, wurde er von jetzt an nur still seine Arbeit tun und seine Gedanken fur sich behalten. Sollten sich doch andere Leute den Kopf zerbrechen, sollten sie doch die Verantwortung tragen.

Aber Pearson war noch nicht zu Ende. »Unternehmen Sie nichts hinter meinem Rucken«, drohte er, »und versuchen Sie nicht, Dr. Coleman auszunutzen, weil er neu ist.«

Kurz flackerte Alexanders Widerspruch auf. »Ich habe niemand ausgenutzt.«

»Das taten Sie doch, sage ich, und ich rate Ihnen, das zu unterlassen«, schrie der alte Mann wutend. Seine Gesichtsmuskeln arbeiteten, seine Augen funkelten.

Alexander stand vernichtet und schweigend da.

Einen Augenblick noch musterte Pearson den jungen Mann grimmig. Dann, als ob er sich uberzeugt habe, da? er den gewunschten Eindruck erreicht hatte, sprach er weiter: »Nun will ich Ihnen noch etwas uber diesen Test sagen.« Sein Ton war jetzt zwar nicht freundlich, aber doch zumindest weniger schroff. »Aus dem Test in Salzlosung und konzentriertem Protein ist alles zu erkennen, was wir brauchen, und ich will Sie daran erinnern, da? ich Pathologe bin und wei?, woruber ich spreche. Haben Sie das begriffen?«

Murrisch antwortete Alexander: »Ja, Sir.«

»Nun gut. Ich will Ihnen sagen, was ich tun werde.« Pearsons Ton wurde noch gema?igter. Es war fast, als biete er eine Versohnung an. »Da Sie so begierig darauf sind, da? dieser Test richtig vorgenommen wird, ubernehme ich ihn selbst. Jetzt sofort. Wo ist die Blutprobe?«

»Im Kuhlschrank«, sagte Bannister.

»Bringen Sie sie her.«

Unzufrieden ging Bannister durch das Labor zum Kuhlschrank. Die Szene war nicht ganz so verlaufen, wie er gewunscht hatte. Richtig war allerdings, da? dieser Bursche Alexander eine Abfuhr notig gehabt hatte. Aber der alte Mann hatte den Jungen etwas scharf angefa?t. Bannister hatte es lieber gesehen, wenn ein Teil des Sturmes uber den angeberischen jungen Arzt niedergebrochen ware. Aber vielleicht bewahrte der alte Mann das fur spater auf. Er nahm die Blutprobe mit der Aufschrift »Alexander, Mrs. E.« heraus und schlo? den Kuhlschrank.

Pearson nahm die Blutprobe, aus der das geronnene Blut bereits entfernt war. Wahrend er das tat, fiel Bannisters Blick auf die Einkaufsanforderung, die den Sturm verursacht hatte. Sie war zu Boden gefallen. Er buckte

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