kunstlichen Zwang jene Sicherheit, die jungere Frauen selten erreichen. Aber nichts an ihr lie? erkennen, da? sie auf ihre Fraulichkeit verzichtete, eher im Gegenteil. Kent O'Donnell, der sie jetzt umfa?t hielt, wahrend ihr Korper sich im gleichen Rhythmus mit seinem bewegte, erschien sie unendlich begehrenswert.

Bewu?t anderte er die Richtung seiner Gedanken, Sie waren voreilig. Wie schon fruher, fiel ihm wieder ihr Kleid auf, das sie an diesem Abend trug. Es lie? ihre Schultern frei und bestand aus leuchtend roter, schwerer Peau de Soie, umhullte eng ihre Figur und fiel erst unter den Huften weit auseinander. Es wirkte gleichzeitig dramatisch, vornehm und teuer.

Das erinnerte ihn an einen anderen Gedanken, der ihm an diesem Abend zum erstenmal durch den Kopf ging: an die Tatsache, da? Denise offensichtlich reich war. Sie waren vor dem Regency Room fast gleichzeitig angekommen. Er hatte seinen eigenen Wagen geparkt und ging gerade auf den Eingang des Nachtklubs zu, als ein glanzender Cadillac vorfuhr und der uniformierte Chauffeur schnell ausstieg, um fur Denise die Tur zu offnen. Nach der Begru?ung drehte sie sich zu dem Chauffeur um, der diskret zuruckgetreten war. »Danke, Tom, Sie brauchen nicht noch einmal herzukommen. Ich nehme an, da? Dr. O'Donnell mich nach Hause bringen wird.«

Hoflich hatte der Mann »Danke, Madam« geantwortet, dann zu O'Donnell »Guten Abend, Sir« gesagt und war davongefahren.

Wenn er daruber nachgedacht hatte, ware O'Donnell selbstverstandlich klargewesen, da? die Tochter von Eustace Swayne zweifellos ein gro?es Vermogen erben wurde. Nicht da? diese Erkenntnis ihn sonderlich beeindruckte. Sein eigenes Einkommen reichte fur ein bequemes, angenehmes Leben gut aus, und zu mehr als das. Dessenungeachtet war eine wirklich reiche Frau fur ihn eine neue Erfahrung. Wieder stellte er fest, da? er in Gedanken Denise und Lucy Grainger miteinander verglich.

Mit einem gedampften Crescendo beendete das Orchester die Musik. O'Donnell und Denise klatschten kurz, ehe sie die Tanzflache verlie?en. Er fa?te sie leicht am Arm und fuhrte sie zu ihrem Tisch. Der Kellner wartete schon. Er schob ihnen die Stuhle zurecht und servierte die Drinks, die O'Donnell bestellt hatte.

Denise nahm einen Schluck von ihrem neuen Old Fashioned und sagte: »Jetzt haben wir uber mich gesprochen. Nun erzahlen Sie mir etwas von sich.«

Er go? mehr Soda in seinen Scotch. Er trank seinen Whisky gern mit viel Wasser - eine Praxis, die die meisten Kellner zu verabscheuen schienen. »Bei mir ist alles ziemlich alltaglich.«

»Ich kann gut zuhoren, Kent.« Denise war mit ihren Gedanken nur halb bei ihren Worten. Die andere Halfte dachte: Das ist ein Mann - ein ganzer Mann. Ihre Blicke liefen uber die gro?e Gestalt, die breiten Schultern, das kraftige Gesicht. Sie fragte sich, ob er sie zum Abschied kussen werde und zu was das spater fuhren konnte. Sie kam zu der Ansicht, da? Dr. Kent O'Donnell interessante Moglichkeiten bot.

O'Donnell erzahlte ihr vom Three Counties Hospital, von seiner Arbeit dort und von dem, was er zu vollbringen hoffte. Sie fragte ihn nach seiner Vergangenheit, seinen Erlebnissen, Menschen, denen er begegnet war, und war von der Tiefe seiner Gedanken und Empfindungen, die aus allem sprach, was er sagte, stark beeindruckt.

Sie tanzten wieder. Der Kellner brachte ihnen frische Drinks. Sie unterhielten sich, sie tanzten, der Kellner kam zuruck. Die Reihenfolge wiederholte sich. Denise erzahlte ihm von ihrer Ehe. Sie hatte vor achtzehn Jahren geheiratet, die Ehe hatte zehn Jahre gedauert. Ihr Mann war Rechtsanwalt mit einer gro?en Praxis in New York. Sie hatte zwei Kinder-Zwillinge, Alex und Philippa -, die in Denises Obhut geblieben waren. In ein paar Wochen wurden die Kinder siebzehn.

»Mein Mann ist ein vollkommen rationales Wesen«, sagte sie. »Wir waren einfach vollig unvereinbar miteinander und verschwendeten viel Zeit darauf, zu der offensichtlichen Losung zu gelangen.«

»Sehen Sie ihn jetzt noch?«

»Ja, oft. Auf Partys und in der Stadt. Gelegentlich verabreden wir uns zum Mittagessen. In mancher Weise kann Geoffrey bezaubernd sein. Ich bin uberzeugt, er wurde Ihnen gefallen.«

Beide sprachen jetzt unbefangener. Der Kellner brachte ihnen jetzt frische Drinks, ehe er dazu aufgefordert wurde. O'Donnell fragte sie nach einer Scheidung; ob es Hinderungsgrunde dafur gebe.

»Eigentlich nicht«, antwortete sie offen. »Geoffrey ist durchaus bereit, sich scheiden zu lassen, besteht aber darauf, da? ich den Scheidungsgrund stelle. Wie Sie wissen, mu? das im Staate New York Ehebruch sein. Und so weit bin ich bisher noch nicht gekommen.«

»Hatte Ihr Mann nie den Wunsch, sich wieder zu verheiraten?«

Sie schien uberrascht. »Geoffrey? Das kann ich mir nicht vorstellen. Im ubrigen ist er mit der Jurisprudenz verheiratet.«

»Ah so.«

Denise drehte ihr Glas am Fu?. »Geoffrey glaubte immer, das Bett sei der richtige Platz, um seine Akten zu studieren.« Sie sagte es leise, fast vertraulich. O'Donnell verstand den Hinweis, weshalb ihre Ehe scheiterte. Er fand den Gedanken erregend.

Der Kellner stand neben ihm. »Verzeihen Sie, Sir, die Bar schlie?t in ein paar Minuten. Wollen Sie jetzt noch einmal bestellen?«

Uberrascht sah O'Donnell auf seine Uhr. Es war fast eins. Schon dreieinhalb Stunden waren sie zusammen. Ihm kam die Zeit viel kurzer vor. Er sah Denise an. Sie schuttelte den Kopf.

»Nein, danke«, antwortete er und bezahlte die Rechnung, die der Kellner ihm reichte. Sie tranken ihre Glaser aus und standen auf, um zu gehen. Der Kellner wunschte hoflich »Gute Nacht«; sein Trinkgeld war gro?zugig gewesen. O'Donnell fuhlte sich in gehobener Stimmung.

Im Foyer wartete er auf Denise, wahrend ein Page zum Parkplatz ging, um seinen Wagen zu holen. Als sie kam, nahm sie seinen Arm. »Eigentlich schade, da? wir schon gehen. Ich wunschte beinahe, wir hatten uns doch noch einen Drink bestellt.«

Er zogerte und schlug dann unbefangen vor: »Wir konnen bei mir vorbeifahren, wenn Sie mogen. In meiner Bar ist alles vorhanden, und es liegt auf dem Weg.«

Einen Augenblick furchtete er, das sei ungeschickt gewesen. Er glaubte, bei ihr eine plotzliche Kuhle, die Andeutung einer peinlichen Uberraschung zu bemerken. Dann war es verschwunden. Sie erwiderte einfach: »Warum eigentlich nicht?«

Drau?en wartete der Buick. Die Turen wurden aufgehalten, der Motor lief. Durch die Stadt fuhr er vorsichtig, langsamer als gewohnlich, weil er sich bewu?t war, da? er eine ganze Menge getrunken hatte. Es war eine warme Nacht, und die Wagenfenster waren heruntergedreht. Von dem Sitz neben sich nahm er wieder den duftigen Hauch ihres Parfums wahr. Vor seiner Wohnung parkte er den Wagen auf der Stra?e, und sie fuhren im Fahrstuhl hinauf.

Nachdem er die Drinks gemixt hatte, brachte er sie durch das Zimmer und reichte Denise den Old Fashioned. Sie stand vor dem offenen Wohnzimmerfenster und sah auf die Lichter Burlingtons hinunter. Der Flu?, der durch die Stadt lief, bildete zwischen seinen Ufern eine breite, dunkle Schlucht.

Als er neben ihr stand, sagte er ruhig. »Es ist schon eine Zeitlang her, da? ich einen Old Fashioned gemixt habe. Ich hoffe, da? er nicht zu su? ist.«

Sie probierte ihn. Dann sagte sie leise: »Wie so vieles an Ihnen, ist er absolut richtig, Kent.«

Ihre Blicke begegneten sich. Er nahm ihr das Glas aus der Hand. Als er es abgestellt hatte, trat sie weich, ungezwungen zu ihm. Er umschlang sie fest mit seinen Armen, als sie sich ku?ten.

Plotzlich schrillte gellend, herrisch, hinter ihnen im Zimmer das Telefon auf. Es lie? sich nicht uberhoren.

Sanft loste sich Denise von ihm. »Liebster, ich glaube, du mu?t dich melden.« Mit ihren Lippen beruhrte sie leicht seine Stirn.

Wahrend er durch das Zimmer ging, bemerkte er, da? sie ihre Tasche, ihre Stola und ihre Handschuhe aufnahm. Offensichtlich war der Abend voruber. Fast argerlich nahm er den Horer ab, meldete sich knapp und horte zu. Sein Arger schwand schnell. Es war das Krankenhaus, der Praktikant im Nachtdienst. Einer von O'Donnells Patienten zeigte Symptome, die ernst zu sein schienen. Er stellte zwei schnelle Fragen, dann: »Also gut, ich komme sofort. Benachrichtigen Sie inzwischen die Blutbank und bereiten Sie eine Transfusion vor.« Er hangte ein und rief den Nachtportier an, um eine Taxe fur Denise zu bestellen.

XIV

Meistens legte Dr. Joseph Pearson Wert darauf, fruh schlafen zu gehen. An Abenden, an denen er mit Eustace Swayne Schach spielte, wurde es jedoch zwangslaufig sehr spat. Infolgedessen war er am nachsten Morgen noch muder und reizbarer als gewohnlich. Unter dieser Wirkung stand er nach dem gestrigen

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