Er fuhr fort: »Bei allen Obduktionen werden Gesicht und Genitalien bedeckt, und in diesem Raum wird nicht geraucht. Was Ihr eigenes Verhalten und insbesondere das Erzahlen von Witzen« - bei diesen Worten lief Mike Seddons dunkelrot an -»angeht, ich glaube, das darf ich in Zukunft Ihrem eigenen Urteil uberlassen.«

Einen Augenblick sah Coleman jeden der beiden unmittelbar an. Dann: »Ich danke Ihnen, meine Herren. Wollen Sie bitte fortfahren.« Er nickte und ging hinaus.

Nachdem sich die Tur hinter ihm geschlossen hatte, schwiegen beide noch ein paar Sekunden lang. Dann sagte Seddons leise: »Mir scheint, da? wir gerade nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen worden sind.«

Beschamt fugte McNeil hinzu: »Nicht ganz ohne Grund, glaube ich. Wie?«

Sobald sie es sich leisten konnten, beschlo? Elizabeth, wurde sie einen Staubsauger kaufen. Der altmodische Teppichkehrer, den sie besa?, nahm nur den oberflachlichsten Schmutz weg, aber das war auch alles. Sie schob ihn noch ein paarmal uber den Teppich hin und her und musterte kritisch das Ergebnis. Nicht sehr befriedigend, aber es mu?te genugen. Sie durfte nicht vergessen, heute abend mit John daruber zu sprechen.

Staubsauger waren nicht so schrecklich teuer, und eine monatliche Rate sollte auch noch zu tragen sein. Eine Schwierigkeit war allerdings, da? sie noch so viele Dinge brauchten. Immer standen sie vor dem Problem, was zuerst an die Reihe kommen sollte.

In gewisser Weise war sie geneigt, John recht zu geben. Es war alles schon und gut, von Opfern zu sprechen und auf Dinge zu verzichten, damit John Medizin studieren konnte. Aber wenn man es genau uberlegte, war es schwer mit einem geringen Einkommen durchzukommen, wenn man sich erst einmal an einen bestimmten Lebensstandard gewohnt hatte. Zum Beispiel Johns Gehalt im Krankenhaus. Es versetzte sie gewi? noch nicht in die hohere Einkommensschicht, aber es genugte, um ertraglich zu leben, und ermoglichte ihnen, sich einen bescheidenen Luxus zu leisten, der vor ein paar Monaten noch unerreichbar gewesen war. Konnten sie auf diese Dinge jetzt wieder verzichten? Elizabeth glaubte es, wenn es ihr auch schwerfallen wurde. Das Medizinstudium bedeutete vier weitere Jahre kampfen, und selbst dann wurden die Jahre als Praktikant und vielleicht noch die Zeit als Assistenzarzt folgen, falls John sich entschied, sich zu spezialisieren. War es den Aufwand wert? War es nicht vielleicht besser, wenn sie sich mit dem Gluck begnugten, das sie gegenwartig gefunden hatten, wenn sie sich mit ihrer gegenwartigen Situation - trotz aller Bescheidenheit - abfanden?

Das war doch eine vernunftige Uberlegung, oder nicht? Trotzdem war Elizabeth sich ihrer Sache irgendwie nicht sicher. Sollte sie John weiterdrangen, sein Ziel hoherzustecken und um jeden Preis auf die Universitat zu gehen? Dr. Coleman war offensichtlich dieser Ansicht. Was hatte er noch zu John gesagt? »Wenn Sie so empfinden, aber nicht Medizin studieren, solange Sie noch die Moglichkeit dazu haben, werden Sie es wahrscheinlich fur den Rest Ihres Lebens bereuen.« Als Dr. Coleman diese Worte aussprach, hatten sie Elizabeth tief beeindruckt, und, wie sie vermutete, auch John. Als sie sich jetzt an sie erinnerte, kamen sie ihr bedeutungsvoller denn je vor. Sie runzelte nachdenklich die Stirn. Vielleicht war es das richtigste, heute abend die ganze Angelegenheit noch einmal durchzusprechen. Wenn sie sich davon uberzeugte, da? John es wirklich wunschte, konnte sie ihn vielleicht zu einer Entscheidung drangen. Es ware nicht das erste Mal, da? sich Elizabeth in einer Frage, die sie beide betraf, durchsetzte.

Elizabeth stellte den Teppichkehrer fort und ging rund durch die Wohnung, raumte auf und staubte ab. Sie sang wahrend ihrer Arbeit und schob ihre ernsten Gedanken fur den Augenblick von sich. Es war ein schoner Morgen. Die warme Augustsonne, die hell in das kleine, aber behagliche Wohnzimmer schien, zeigte die neuen Vorhange, die sie gestern abend genaht und aufgehangt hatte, im besten Licht. Elizabeth blieb vor dem Mitteltisch stehen, um die Blumen in einer Vase neu zu ordnen. Sie entfernte zwei Bluten, die zu welken begannen, und war im Begriff, in die winzige Kuche zu gehen, als der Schmerz sie uberfiel. Er kam plotzlich, ohne Vorwarnung, traf sie wie ein sengendes Feuer und war schlimmer, viel schlimmer, ab am Tage vorher in der Krankenhauskantine. Elizabeth holte tief Atem, bi? sich auf die Lippe, um einen Schrei zu unterdrucken, und lie? sich in einen Sessel sinken. Der Schmerz legte sich kurz, kehrte dann, wie ihr schien, noch starker wieder. Er kam wie in einem Zyklus. Dann erkannte sie seine Bedeutung. Unwillkurlich sagte sie laut: »Nein, o nein.«

Trotz der Qual, die Elizabeth ergriff, wu?te sie, da? sie schnell handeln mu?te. Die Nummer des Krankenhauses stand auf der Liste neben dem Telefon. Der Apparat auf der anderen Seite des Zimmers wurde plotzlich das einzige Ziel ihrer Gedanken. Sie nutzte die Pause zwischen den Anfallen, griff nach dem Tisch als Stutze, zog sich aus dem Sessel und naherte sich muhevoll dem Apparat. Als sie gewahlt hatte und sich das Krankenhaus meldete, sagte sie keuchend: »Dr. Dornberger. es ist dringend.«

Darauf folgte eine Pause, ehe er sich meldete: »Hier ist. Mrs. Alexander«, stohnte Elizabeth muhsam. »Es hat angefangen. Mein Kind kommt. «

David Coleman klopfte an die Tur zu Dr. Pearsons Zimmer und trat ein. Er fand den Leiter der Pathologie hinter seinem Schreibtisch vor. Neben ihm stand Carl Bannister. Der Laborant zeigte ein finsteres Gesicht. Nach einem kurzen Blick vermied er vorsatzlich, Coleman anzusehen.

»Sie wollten mich sprechen, wurde mir gesagt.« Coleman kam aus der chirurgischen Abteilung, wo er einen Gefrierschnitt ausfuhrte, als sein Name durch die Lautsprecheranlage aufgerufen wurde.

»Jawohl.« Pearsons Verhalten war kuhl und formlich. »Dr. Coleman, mir wurde von einem Mitarbeiter eine Beschwerde vorgebracht. Von Carl Bannister hier.«

»So?« Coleman zog die Augenbrauen hoch. Bannister sah unbewegt vor sich hin.

Pearson fuhr fort: »Ich habe gehort, da? Sie beide heute morgen eine kleine Meinungsverschiedenheit hatten.«

»So wurde ich es nicht gerade nennen.« Colemans Stimme klang sicher und gelassen.

»Und wie wurden Sie es nennen?« Die Scharfe im Ton des alten Mannes war nicht zu verkennen.

Coleman antwortete geduldig: »Offen gesagt hatte ich nicht die Absicht, Ihnen die Angelegenheit vorzutragen. Aber da Bannister es fur richtig hielt, ist es wohl das beste, wenn Sie den Vorfall im vollen Umfang erfahren.«

»Wenn Ihnen das nicht zu viele Umstande macht.«

Coleman ignorierte den Sarkasmus und fuhr fort: »Gestern abend teilte ich den beiden serologischen Laboranten mit, da? ich beabsichtige, gelegentliche Stichproben zur Uberprufung der Arbeit im Labor durchzufuhren. Heute vormittag nahm ich eine solche Uberprufung vor.« Coleman sah Bannister an. »Ich hielt die Probe eines Patienten vor der Ablieferung in das serologische Labor auf und teilte sie. Dann fugte ich die zusatzliche Probe auf der Anforderungsliste hinzu, so da? sie als besonderer Test erschien. Als ich spater die Ergebnisse kontrollierte, stellte ich fest, da? Mr. Bannister zwei verschiedene Testbefunde erzielt hatte, obwohl sie selbstverstandlich hatten identisch sein mussen.« Er fugte hinzu: »Falls Sie wunschen, konnen wir die Einzelheiten aus den Aufzeichnungen im Labor sofort ersehen. «

Pearson schuttelte den Kopf. Er hatte sich von seinem Stuhl erhoben und halb abgewendet. Er schien nachzudenken. Coleman fragte sich gespannt, was er als nachstes tun wurde. Er wu?te, da? er auf vollkommen sicherem Boden stand. Das von ihm eingeschlagene Verfahren war in den meisten Krankenhauslabors ublich. Es stellte einen Schutz fur die Patienten und eine Sicherheitsma?nahme gegen Unachtsamkeit dar. Gewissenhafte Laboranten nahmen derartige Uberprufungen widerspruchslos als einen Teil ihrer Arbeit hin. Au?erdem hatte Coleman die Gepflogenheiten gewahrt, indem er gestern sowohl Bannister als auch John Alexander mitteilte, da? derartige Prufungen erfolgen wurden.

Plotzlich fuhr Pearson auf Bannister los: »Nun und? Was haben Sie dazu zu sagen?«

»Mir pa?t nicht, da? hinter mir her spioniert wird.« Die Antwort erfolgte gereizt und aggressiv. »Ich habe nie so zu arbeiten brauchen, und ich finde nicht, da? ich jetzt noch anfangen soll, es mir gefallen zu lassen.«

»Ich sage Ihnen, Sie sind ein Idiot«, schrie Pearson Bannister an. »Sie sind ein Idiot, weil Sie so einen dummen Schnitzer gemacht haben, und Sie sind noch ein gro?erer Idiot, sich bei mir zu beschweren, weil man Sie dabei erwischt hat.« Schwer atmend schwieg er mit zusammengepre?ten Lippen. Coleman spurte, da? der Arger des alten Mannes zum gro?en Teil darauf beruhte, da? er keine andere Wahl hatte, ab sein Vorgehen gutzuhei?en, wie sehr es ihm auch widerstreben mochte. Jetzt trat Pearson direkt vor Bannister und knurrte ihn an: »Was haben Sie sich denn eingebildet? Soll ich Ihnen vielleicht noch auf den Rucken klopfen oder einen Orden umhangen?«

Bannisters Gesichtsmuskeln arbeiteten. Zum erstenmal schien er keine Antwort zu finden. Pearson musterte ihn grimmig und schien weiterschreien zu wollen, zwang sich dann aber plotzlich zur Ruhe. Er wendete sich halb ab und wies mit der Hand zur Tur. »Hinaus mit Ihnen! Hinaus!«

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