Wortlos, mit starrem Gesicht, ohne nach rechts oder links zu sehen, verlie? Bannister das Zimmer und schlo? die Tur hinter sich.
Jetzt wandte sich Pearson scharf an Coleman. »Was, zum Donnerwetter, soll das bedeuten?«
David Coleman nahm den brennenden Zorn in den Augen des alten Mannes wahr. Er erkannte, da? die Angelegenheit mit Bannister lediglich ein Vorspiel war. Entschlossen, nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren, antwortete er ma?voll: »Was soll was bedeuten, Dr. Pearson?«
»Sie wissen verdammt gut, was ich meine. Ich meine die Durchfuhrung von Uberprufungen im Labor - ohne meine Genehmigung.«
»Benotige ich in reinen Routinefragen dieser Art wirklich Ihre Genehmigung? «
Pearson schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wenn ich eine Uberprufung im Labor wunsche, werde ich sie anordnen.«
»Falls es Sie interessieren sollte«, erwiderte Coleman immer noch ruhig, »ich besitze zufallig Ihre Genehmigung. Um der Form zu genugen und aus Respekt vor Ihnen, erwahnte ich gestern Ihnen gegenuber, da? ich Standarduberprufungen im serologischen Labor durchfuhren wollte, und Sie gaben Ihre Zustimmung.«
Argwohnisch antwortete Pearson: »Daran erinnere ich mich nicht.«
»Ich versichere Ihnen, da? diese Vereinbarung getroffen wurde. Im ubrigen gehort es nicht zu meinen Gepflogenheiten, derartiges zu erfinden.« David Coleman spurte, wie der Arger in ihm aufwallte. Es fiel ihm schwer, seine Verachtung fur diesen unfahigen alten Mann zu verbergen. Er fugte hinzu: »Ich darf dazu bemerken, da? Sie allerdings bei dieser Gelegenheit mit Ihren Gedanken ziemlich beschaftigt erschienen.«
Es hatte den Anschein, als hatte er Pearson zum mindesten teilweise uberzeugt. Knurrend erwiderte der alte Mann: »Wenn Sie es sagen, glaube ich Ihnen, aber es ist das letztemal, da? Sie etwas von sich aus unternehmen. Haben Sie verstanden?«
Coleman wu?te, da? jetzt der kritische Augenblick gekommen war, sowohl fur Pearson als auch fur ihn selbst. Eisig fragte er: »Wurden Sie die Gute haben und mir mitteilen, welche Art Verantwortung ich hier ubernommen habe?«
»Sie werden die Verantwortungen ubernehmen, die Ihnen zuzuweisen ich fur richtig halte.«
»Ich furchte, da? ich mich damit nicht zufriedengeben kann.«
»So, das konnen Sie nicht?« Pearson stand jetzt unmittelbar vor dem jungeren Mann, den Kopf vorgeschoben. »Nun, es gibt auch ein paar Dinge, die mir unbefriedigend erscheinen.«
»Zum Beispiel?« David Coleman hatte nicht die Absicht, sich einschuchtern zu lassen. Und wenn der alte Mann eine grundsatzliche Auseinandersetzung wunschte, war er durchaus bereit, gleich und an Ort und Stelle.
»Zum Beispiel habe ich erfahren, da? Sie fur den Obduktionsraum Regeln erlassen haben.«
»Sie haben mir die Leitung des Obduktionsraumes
ubertragen.«
»Ich habe Sie beauftragt, die Obduktionen zu uberwachen, aber nicht irgendwelche phantastischen Regeln aufzustellen. Rauchen verboten, habe ich gehort. Ich nehme an, da? auch mich das betrifft?«
»Daruber zu entscheiden, steht bei Ihnen, Dr. Pearson.«
»Das will ich auch meinen, da? das bei mir steht.« Die Ruhe des anderen schien Dr. Pearsons Arger zu steigern. »Nun horen Sie mir zu, und horen Sie mir gut zu: Sie mogen einige recht eindrucksvolle Empfehlungen besitzen, Herr, aber Sie haben immer noch eine Menge zu lernen, und der Leiter dieser Abteilung bin immer noch ich. Wichtiger noch, es bestehen gute Grunde fur die Annahme, da? ich auch noch recht lange hierbleiben werde. Sie konnen sich also gleich entscheiden. Wenn Ihnen meine Arbeitsweise nicht pa?t, wissen Sie, welche Wege Ihnen offenstehen.«
Ehe Coleman antworten konnte, wurde an die Tur geklopft. Ungeduldig rief Pearson: »Ja?«
Eine Sekretarin trat ein und sah neugierig von einem zum anderen. Coleman fiel ein, da? zum mindesten Pearson auf dem Gang drau?en deutlich verstandlich gewesen sein mu?te. Das Madchen sagte: »Entschuldigung, Dr. Pearson, hier sind zwei Telegramme fur Sie. Sie sind gerade angekommen.«
Pearson nahm die beiden gelblichen Umschlage, die das Madchen ihm reichte.
Als sie gegangen war, wollte Coleman antworten. Aber Pearson unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Wahrend er den ersten Umschlag aufri?, sagte er: »Das mussen die Antworten auf unsere Anfrage sein - wegen Lucy Graingers Patientin.« Er sprach in einem vollig anderen Ton als vor wenigen Sekunden. »Hat lange genug gedauert«, fugte er hinzu.
David Coleman spurte, da? sein Interesse automatisch wach wurde. Stillschweigend akzeptierte er Pearsons Haltung, da? ihre Auseinandersetzung vertagt war. Das Vorliegende war wichtiger. Als Pearson den ersten Umschlag geoffnet hatte, klingelte schrill das Telefon. Mit einem unmutigen Ausruf legte er die Umschlage hin, um den Horer abzunehmen.
»Ja?«
»Dr. Pearson, hier ist die Entbindungsstation«, sagte eine Stimme. »Dr. Dornberger mochte Sie sprechen. Einen Augenblick, bitte.«
Es folgte eine Pause, dann meldete sich Dornberger. Drangend sagte er: »Joe, was ist denn bei euch in der Pathologie los?« Ohne auf eine Antwort zu warten: »Bei der Frau deines Technikers, Mrs. Alexander, haben Wehen eingesetzt, und das Kind wird eine Fruhgeburt. Sie ist in einem Krankenwagen auf dem Weg hierher, und ich habe noch keinen Befund uber den Blutsensibilitatstest. Jetzt schickt ihn aber schnell herauf.«
»Sofort, Charlie.« Pearson lie? den Horer auf die Gabel zuruckfallen und griff nach einem Sto? Formulare in dem Korb mit der Aufschrift: >Zur Unterschrift<. Dabei fiel sein Blick auf die beiden Telegrammumschlage. Schnell reichte er sie Coleman. »Machen Sie auf, sehen Sie nach, was darin steht.«
Pearson blatterte durch die Formulare. Beim erstenmal blatterte er uber das Gesuchte hinweg, erst beim zweiten Durchblattern fand er es. Er nahm den Telefonhorer wieder ab, lauschte und sagte dann schroff: »Schicken Sie Bannister.« Nachdem er den Horer zuruckgelegt hatte, kritzelte er seine Unterschrift auf das Formular, das er herausgesucht hatte.
»Sollte ich herkommen?« Bannisters Ton und Ausdruck verkundeten deutlich, da? er die Zurechtweisung von vorhin noch nicht verschmerzt hatte.
»Selbstverstandlich sollten Sie kommen.« Pearson hielt ihm das unterschriebene Formular hin. »Bringen Sie das zu Dr. Dornberger hinauf - schnell. Er ist in der Entbindungsstation. John Alexanders Frau liegt in Wehen. Sie erwartet eine Fruhgeburt.«
Bannisters Ausdruck veranderte sich. »Wei? der Junge es schon? Er ist druben in.«
Ungeduldig schnitt Pearson ihm das Wort ab: »Gehen Sie schon! So gehen Sie doch endlich!« Eilig lief Bannister mit dem Formular hinaus.
David Coleman nahm nur undeutlich wahr, was um ihn herum vorging, ohne da? er die Einzelheiten voll erfa?te. Im Augenblick wurde er von der furchtbaren Bedeutung der beiden Telegramme, die er in seinen Handen hielt, in Anspruch genommen.
Pearson wandte sich zu ihm. Der alte Mann sagte: »Nun, verliert das Madchen sein Bein oder nicht? Sind beide eindeutig?«
Coleman dachte: Hier fangt Pathologie an, und hier endet sie. Hier liegt das Grenzgebiet, hier mussen wir erkennen, wie wenig wir in Wahrheit wirklich wissen. Hier verlauft die Trennungslinie, hier ist das Ufer der dunklen, rauschenden Wasser des noch Unbekannten. Ruhig antwortete er: »Ja. Sie sind beide vollig eindeutig. Dr. Chollingham in Boston sagt: Probe eindeutig bosartig. Dr. Earnhart in New York telegrafiert: Das Gewebe ist gutartig, keine Anzeichen fur Bosartigkeit.«
Es folgte ein langes Schweigen. Langsam und gedampft sagte Pearson dann: »Die beiden besten Manner im Lande. Der eine stimmt dafur, der andere dagegen.« Er sah Coleman an, und als er wieder sprach, lag in seinem Ton wohl Ironie, aber keine Feindschaft. »Nun, mein junger pathologischer Kollege, Lucy Grainger erwartet heute unsere Antwort. Sie mu? eine haben, und sie mu? endgultig sein.« Mit einem schiefen Lacheln: »Ist Ihnen danach, Gott zu spielen?«
XVI
Der Polizist, der an der Kreuzung der Main und der Liberty Street Dienst hatte, horte die Sirene des Krankenwagens schon, als sie noch sechs Blocks entfernt war. Er trat vom Burgersteig hinunter, und mit der Ubung langer Praxis begann er, den Verkehrsstrom so zu lenken, da? er flussig uber die Kreuzung lief. Als die Sirene lauter und das blinkende Warnlicht sichtbar wurde, das auf ihn zu kam, blahte er seine Backen auf und lie? auf