seiner Pfeife zwei grelle Pfiffe ertonen. Dann stoppte er den ganzen Verkehr in der Querstra?e und winkte im Bewu?tsein seiner Amtsgewalt dem Fahrer des Krankenwagens zu, uber das rote Licht hinwegzufahren. Passanten an der Kreuzung drehten neugierig ihre Kopfe, erhaschten mit einem kurzen Blick das wei?e Gesicht einer jungen Frau, als der Krankenwagen vorbeifegte.

Elizabeth im Wagen nahm ihre Fahrt durch den dichten Verkehr der Stadt nur undeutlich wahr. Sie spurte, da? sie schnell fuhr, aber Hauser und Menschen drau?en boten nur ein verwischtes Bild, das hinter dem Fenster neben ihrem Kopf vorbeiflog. Im Augenblick blickte sie zwischen zwei Schmerzwellen zu dem Fahrer hinter sich hinauf, sah seine beiden gro?en Hande am Steuerrad, die es schnell erst nach rechts, dann nach links drehten, um jede Lucke im Verkehr auszunutzen, die vor ihm auftauchte. Dann kam der Schmerz wieder, und sie konnte nur noch daran denken, nicht laut herauszuschreien und sich irgendwo festzuklammern.

»Nehmen Sie meine Hande, und halten Sie sich so fest, wie Sie wollen.« Das war der Beifahrer des Krankenwagens, der sich uber sie beugte. Er hatte Bartstoppeln und ein Grubchen am Kinn, und einen Augenblick glaubte Elizabeth, er sei ihr Vater, der gekommen war, um sie zu trosten. Aber ihr Vater war tot. War er nicht bei der Eisenbahnkreuzung umgekommen? Oder vielleicht doch nicht? Und er war jetzt hier bei ihr in diesem Krankenwagen, um zu einem Ort gebracht zu werden, wo sie beide gesund gepflegt wurden? Dann wurde ihr Kopf wieder klar, und sie erkannte, da? es ein Fremder war und nicht ihr Vater, der da vor ihr sa? und dessen Handgelenke rote Kratzspuren von ihren Fingernageln zeigten.

Sie hatte Zeit, uber die Kratzer zu streichen, ehe der Schmerz wieder uber sie kam. Es war nur eine Geste, zu mehr war sie nicht fahig. Der Mann schuttelte den Kopf. »Macht nichts. Halten Sie so fest, wie Sie wollen. Wir sind bald da. Joe da vorn ist der beste Fahrer in der Stadt.« Dann kamen wieder Schmerzen, schlimmer als vorher. Die Pausen zwischen den Wehen wurden kurzer. In ihrem Rucken bohrte es, als ob ihre Knochen uber alles Ertragliche hinaus verdreht wurden, mit einem todlichen Schmerz, dessen uberwaltigende Qual als flammendes Rot, Gelb und Purpur vor ihren Augen brannte. Ihre Nagel gruben sich tiefer, und sie schrie.

»Konnen Sie spuren, ob das Kind kommt?« Das war wieder der Begleiter. Er hatte gewartet, bis die letzte Wehe verklungen war, und sich dann vorgebeugt. Es gelang ihr, mit dem Kopf zu nicken und zu keuchen: »Ich. ich glaube, ja.«

»Also gut.« Er loste seine Hande sanft. »Halten Sie sich einen Augenblick hieran fest.« Er gab ihr ein Hindtuch, das er fest zusammengedreht hatte, schlug dann die Decke uber der Bahre zuruck und begann, ihr Kleid aufzuknopfen. Dabei sagte er sanft: »Wir tun alles, was wir konnen, wenn es sein mu?. Es ist nicht das erste, das ich hier zur Welt bringe. Ich bin Gro?vater, verstehen Sie, und kenne mich aus.« Seine letzten Worte wurden von ihrem Schrei ubertont. Wieder setzte in ihrem Rucken blendend, uberwaltigend das Crescendo todlicher Qual ein, uberflutete sie, vernichtend, unaufhaltsam. »Bitte.« Sie packte wieder seine Handgelenke, und er uberlie? sie ihr. Dunne Blutspuren erschienen, als sich ihre Nagel in seine Haut gruben. Er wendete den Kopf und rief nach vorn: »Wie kommen wir vorwarts, Joe?«

»Wir haben gerade Main und Liberty hinter uns.« Die gro?en Hande drehten scharf das Steuerrad. »Da war ein Polizist, der hat den Verkehr angehalten und uns dadurch eine Minute erspart.« Wieder eine Drehung nach links, dann beugte er den Kopf zuruck. »Bist du schon Pate?«

»Noch nicht ganz, Joe, aber ich stehe dicht davor, glaube ich.« Wieder wurde das Steuer gedreht, eine scharfe Wendung nach rechts. Dann: »Wir haben es gleich geschafft, Alter, versuche es noch, eine Minute aufzuschieben.«

Alles, was Elizabeth in dem roten Nebel, der sie umgab, denken konnte, war: Mein Kind - es wird zu fruh geboren. Es wird sterben. O Gott, la? es nicht sterben! Diesmal nicht! Bitte nicht wieder!

Auf der Entbindungsstation stand Dr. Dornberger gewaschen und im Operationsanzug bereit. Als er aus dem Waschraum in den belebten Zwischengang kam, der die Labors von den Entbindungsraumen trennte, sah er sich um. Durch die Glaswand ihres Buros erkannte ihn Mrs. Yeo, die Stationsschwester. Sie stand auf und brachte ihm ein Formular.

»Hier ist der Befund uber den Sensibilitatstest Ihrer Patientin, Dr. Dornberger. Er kam gerade aus der Pathologie herauf.« Sie hielt ihm das Formular hin, so da? er lesen konnte, ohne es anzufassen.

»Es war auch Zeit.« Die Worte kamen fur ihn ungewohnlich knurrend heraus. Er uberflog das Formular und sagte: »Sensibilitat negativ, wie? Nun, von dieser Seite ist also keine Komplikation zu erwarten. Ist alles bereit?«

»Ja, Doktor.« Mrs. Yeo lachelte. Sie war eine nachsichtige Frau und vertrat die Ansicht, da? jeder Mann, einschlie?lich ihres eigenen, hin und wieder ein Recht hatte, brummig zu sein.

»Was ist mit dem Brutkasten?«

»Er ist schon da.«

Als Dornberger sich umsah, hielt eine Schwester die Au?entur weit auf, wahrend eine Helferin einen Isolette-Brutkasten hereinrollte. Die Schwester hielt das elektrische Kabel hoch, damit es nicht auf dem Boden schleifte, und warf Mrs. Yeo einen fragenden Blick zu.

»Ja, nach Nummer zwei, bitte.«

Die Schwester nickte und schob den Brutkasten durch eine Pendeltur unmittelbar vor sich. Als die Tur hinter ihr zufiel, kam ein Madchen aus dem Schwesternzimmer.

»Entschuldigen Sie, Mrs. Yeo.«

»Ja, was gibt' s?«

»Die Aufnahme hat gerade angerufen.« Das Madchen wandte sich an Dr. Dornberger. »Ihre Patientin ist gerade angekommen, Doktor, und befindet sich auf dem Weg nach oben. Die Aufnahme sagt, da? die Wehen schon ziemlich weit fortgeschritten sind.«

Vor der fahrbaren Trage, auf die Elizabeth aus dem Krankenwagen umgebettet worden war, konnte sie den jungen Praktikanten sehen, der sie bei ihrer Ankunft in Empfang genommen hatte. Er ging mit schnellen, aber ruhigen Schritten voraus, bahnte gelassen und methodisch durch die Menschengruppen in dem belebten Gang des Erdgeschosses den Weg. »Treten Sie zur Seite, bitte, ein eiliger Fall.« Seine Worte klangen ruhig, fast gelassen, aber sie wirkten sofort. Vorbeigehende blieben stehen, Gruppen traten zur Wand zuruck, um die kleine Prozession - den Praktikanten, die Trage und die Schwester, die sie schob - vorbeizulassen. Vom anderen Ende des Ganges hatte der Fahrstuhlfuhrer sie kommen sehen und den Fahrstuhl freigehalten.

»Warten Sie auf die nachste Fahrt, bitte. Wir brauchen den Fahrstuhl fur einen dringenden Fall.« Folgsam traten die Wartenden beiseite, und der Wagen wurde hineingeschoben.

Reibungslos lief die vielgeubte Aufnahmeprozedur des Krankenhauses ab, um einen neuen Patienten in Pflege zu nehmen.

Etwas von der Ruhe ubertrug sich auch auf Elizabeth. Obwohl sie jetzt die Schmerzen standig spurte und sich in ihrem Leib ein neuer Druck ankundigte, konnte sie beides besser ertragen. Sie entdeckte, da? sie den fast unuberwindlichen Drang, laut herauszuschreien, besser unterdrucken konnte, wenn sie in ihre Unterlippe bi? und sich in den Saum der Decke, die uber sie gebreitet war, hineinkrallte. Sie wu?te allerdings, da? die letzte Phase der |Geburt eingesetzt hatte. Unwillkurlich begann sie zu pressen und spurte zwischen ihren Oberschenkeln das herausdrangende Kind. Nun befanden sie sich im Fahrstuhl, die Turen glitten zu, und die Schwester hinter ihr beugte sich zu ihr und ergriff ihre Hand. »Jetzt dauert es nur noch ein oder zwei Minuten.« Dann wurden die Turen wieder geoffnet, und sie sah Dr. Dornberger, der schon auf sie wartete.

Als ob es eine Hoffnung gebe, da? er sie vorher falsch verstanden habe, nahm Dr. Pearson die beiden Telegramme wieder auf. Er las sie noch einmal, legte sie dann eins nach dem anderen wieder hin. »Bosartig! Gutartig! Und keiner von beiden hat einen Zweifel. Wir sind wieder da, wo wir angefangen haben.«

»Nicht ganz«, entgegnete Coleman ruhig. »Wir haben fast drei Tage verloren.«

»Ich wei?, ich wei?!« Joe Pearson schlug mit einer schweren Faust in seine andere offene Hand. Unsicherheit umhullte ihn wie ein Mantel. »Wenn es bosartig ist, mu? das Bein schnell amputiert werden, sonst kann es zu spat sein.« Er drehte sich um und sah Coleman gerade an. »Aber das Madchen ist neunzehn. Ware sie funfzig, wurde ich sagen >bosartig< und mir weiter keine Sorgen machen. Aber neunzehn! - Und womoglich ein Bein verlieren, ohne da? es notwendig ist.«

Trotz seiner Ansichten uber Pearson, trotz seiner eigenen Uberzeugung, da? die Geschwulst, von der sie sprachen, gutartig und nicht bosartig war, spurte Coleman, wie seine Sympathie fur Pearson wuchs. Der alte Mann trug in diesem Falle die letzte Verantwortung. Es war verstandlich, da? er in Bedrangnis war. Die Entscheidung, die er treffen mu?te, war ungewohnlich schwer. Er sagte langsam: »Die Diagnose verlangt in einem derartigen Fall sehr gro?en Mut.«

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