Anschlie?end waren sie in den Maisonette gegangen, einen gediegenen Nachtklub in der Fifth Avenue mit angenehmem Publikum. Dort a?en sie und tanzten spater. Als sie wieder einmal an ihren Tisch zuruckkamen, fragte Denise: »Wie lange bleibst du in New York?«
»In drei Tagen fliege ich zuruck«, antwortete er.
Sie senkte den Kopf. »Warum so bald?«
»Ich habe meine Arbeit.« Er lachelte. »Meine Patienten erwarten, da? ich bei ihnen bin, und auch im Krankenhaus ist viel zu tun.«
Denise sagte: »Ich glaube, ich werde dich vermissen.«
Er uberlegte einen Augenblick. Dann wandte er sich zu ihr. Ohne Vorbereitung sagte er: »Du wei?t, da? ich nie verheiratet war.«
»Ja.« Sie nickte ernst.
»Ich bin zweiundvierzig«, sagte er. »Wenn man allein lebt, entwickelt man in dieser Zeit Gewohnheiten und eine Lebensweise, die schwer zu andern und fur einen anderen schwer zu akzeptieren sind.« Er schwieg. »Was ich damit sagen will, ist, glaube ich, ein Versuch, darauf hinzuweisen, da? das Leben mit mir schwierig sein kann.«
Denise streckte ihre Hand aus und legte sie auf seine. »Kent, Lieber, darf ich in einem Punkt klar sehen?« Sie zeigte den schwachsten Anflug eines Lachelns. »Soll das etwa ein Heiratsantrag sein?«
O'Donnell lachelte sie voll an. Er fuhlte sich gelost, ubermutig, jungenhaft. »Da du danach fragst«, antwortete er, »es scheint mir beinahe so.«
Nach einem Augenblick des Schweigens antwortete Denise erst. Und als sie sprach, spurte er, da? sie Zeit gewinnen wollte. »Ich bin sehr geschmeichelt. Aber bist du nicht etwas - voreilig? Schlie?lich kennen wir uns kaum.«
»Ich liebe dich, Denise«, sagte er einfach. Er spurte, da? sie ihn forschend ansah.
»Ich konnte dich auch lieben«, antwortete sie, fugte dann, ihre Worte sorgsam wahlend, hinzu: »In diesem Augenblick drangt alles in mir, ja zu sagen und mit zwei gierigen Handen nach dir zu greifen, Liebster, aber da ist auch eine heimliche Warnung. Wenn man einmal einen Fehler begangen hat, spurt man die Notwendigkeit, vorsichtig zu sein, ehe man sich wieder bindet.«
»Ja, das kann ich verstehen«, antwortete er.
»Ich habe nie etwas fur die weitverbreitete Vorstellung ubriggehabt, da? man einen Partner schnell fallenlassen und dann alles von sich wegschieben kann, etwa wie das sprichwortliche Hemd. Das ist wahrscheinlich einer der Grunde, warum ich mich nicht scheiden lie?.«
»Ware die Scheidung schwierig?«
»Eigentlich nicht. Ich glaube, ich konnte dazu nach Nevada gehen oder in eine ahnliche Gegend. Aber es gibt noch mehr. Du lebst in Burlington - ich lebe in New York.«
Behutsam fragte er: »Ist das wirklich wahr, Denise, da? du nicht in Burlington leben kannst?«
Sie dachte nach, ehe sie antwortete: »Ja, ich furchte, es ist so. Ich kann dort nicht leben. Nie! Es hat keinen Sinn, da? ich mir etwas vormache, Kent, ich kenne mich selbst nur zu gut.«
Ein Kellner kam mit Kaffee und fullte ihre Tassen. O'Donnell sagte: »Ware es fur uns nicht besser, wenn wir zwei jetzt allein waren?«
Leise antwortete Denise: »Warum gehen wir dann nicht?«
Er verlangte die Rechnung, bezahlte und half Denise in ihren Umhang. Drau?en winkte der Portier ein Taxi herbei, und O'Donnell gab die Adresse ihrer Wohnung an der Fifth Avenue an. Als sie sich in die Polster zurucklehnten, sagte Denise: »Jetzt kommt eine selbstsuchtige Frage, aber hast du je erwogen, deine Praxis nach New York zu verlegen?«
»Doch«, antwortete er, »ich denke jetzt gerade daran.«
Daruber dachte er noch nach, als sie das Apartmenthaus betraten und im Fahrstuhl nach oben fuhren. Seit Denise ihre Frage gestellt hatte, fragte er sich selbst: Warum sollte ich nicht nach New York gehen? Es gibt hier gute Krankenhauser; New York ist ein medizinisches Zentrum, es kann mir nicht schwerfallen, irgendwo Anschlu? zu finden. Die Einrichtung der Praxis ware verhaltnisma?ig einfach. Seine bisherige Laufbahn sowie die Freunde, die er in New York besa?, wurden ihn empfehlen. Er uberlegte: Was fesselt mich wirklich an Burlington? Liegt dort mein Leben? Jetzt und fur immer? Ist es vielleicht nicht Zeit fur einen Ortswechsel, eine neue Umgebung? Ich bin weder mit dem Three Counties Hospital verheiratet, noch bin ich dort unentbehrlich. Gewi?, es gibt dort Dinge, die ich vermissen wurde. Das ist richtig. Das Gefuhl des Aufbauens, des Schaffens, und die Menschen, mit denen ich gearbeitet habe. Aber ich habe eine Menge erreicht. Das kann niemand bestreiten. Und New York bedeutet Denise. Ware es das nicht wert - alles zusammen?
Im zwanzigsten Stock offnete Denise mit ihrem Schlussel die Tur. Von dem Diener, den O'Donnell am fruhen Abend gesehen hatte, war nichts zu bemerken.
Wie auf Verabredung traten sie auf die Terrasse. Denise fragte: »Mochtest du etwas trinken, Kent?«
»Vielleicht spater«, antwortete er und streckte seine Arme nach ihr aus. Ohne Scheu trat sie auf ihn zu, und ihre Lippen begegneten sich. Es war ein langer Ku?. Seine Arme schlossen sich fester um sie, und er spurte, wie sie sich an ihn drangte. Dann loste sie sich behutsam von ihm.
Halb abgewendet sagte sie: »Es gibt so vieles, woran man denken mu?.« Ihre Stimme klang beunruhigt.
»Wirklich?« Sein Ton war unglaubig.
»Du wei?t nicht sehr viel uber mich«, antwortete Denise. »Zunachst, ich bin schrecklich besitzgierig. Wu?test du das?«
Er antwortete: »Das klingt nicht besonders schrecklich.«
»Wenn wir verheiratet waren«, sagte sie, »wurde ich dich ganz fur mich haben wollen, nicht nur einen Teil. Ich konnte es nicht andern. Und ich konnte dich nicht teilen - nicht einmal mit einem Krankenhaus.«
Er lachte. »Ich kann mir vorstellen, da? wir einen Kompromi? finden wurden. Andere Leute tun es auch.«
Sie wandte ihm den Rucken zu. »Wie du das so sagst, konnte ich dir fast glauben.« Denise schwieg. »Wirst du nach New York zuruckkommen - bald?«
»Ja.«
»Wie bald?«
Er antwortete: »Sobald du mich rufst.«
Als ob sie ihrem Instinkt folge, trat sie zu ihm, und sie ku?ten sich wieder, dieses Mal mit wachsender Leidenschaft. Dann horten sie hinter sich ein Gerausch, und ein Lichtstrahl fiel durch die sich offnende Tur des Wohnraums. Denise schob ihn sanft von sich ab, und einen Augenblick spater trat eine schmale Gestalt im Pyjama auf die Terrasse. Eine Stimme sagte: »Mir kam es so vor, als hatte ich hier jemand sprechen horen.«
»Ich denke, du schlafst«, antwortete Denise. »Das ist Dr. O'Donnell.« Und zu O'Donnell gewandt: »Dies ist meine Tochter Philippa.« Zartlich fugte sie hinzu: »Die eine Halfte meiner unmoglichen Zwillinge.«
Das Madchen sah O'Donnell mit unverhohlener Neugierde an. »Hallo«, sagte sie, »ich habe von Ihnen schon gehort.«
O'Donnell erinnerte sich, da? Denise ihm gesagt hatte, ihre beiden Kinder seien siebzehn. Das Madchen erschien klein fur ihr Alter, ihr Korper begann gerade erst weibliche Formen anzunehmen. Aber sie bewegte sich mit einer Anmut und Sicherheit, die unverkennbar von ihrer Mutter stammte.
»Hallo, Philippa«, sagte er, »es tut mir leid, da? wir Sie gestort haben.«
»Ich konnte nicht schlafen und habe noch gelesen.« Das Madchen sah auf ein Buch in ihrer Hand. »Herrick. Haben Sie ihn je gelesen?«
»Ich glaube nicht«, antwortete O'Donnell. »Ich mu? gestehen, da? mir das Studium nicht viel Zeit fur Gedichte gelassen hat, und spater bin ich auch nie mehr dazu gekommen.«
Philippa hob das Buch und offnete es. »Hier ist etwas fur dich, Mutter.« Mit sicherem Gefuhl fur Vers und Betonung und einer sympathischen Unbefangenheit las sie vor:
»Das sind des Lebens reichste Jahre, wenn jung und hei? die Pulse schlagen.
Einmal erschopft von schlimmen und von schlimmsten Tagen bleibt nur vergangene Jugend zu bedauern.
Sei drum nicht scheu, verfolg das Wunderbare, solang' es dir gegeben, finde Liebe, denn sind verloren erst die frischen Triebe, kannst um Versaumtes du nur trauern.«