versagende Herz unter seinen Handen zu ubertragen, sich ihm verstandlich zu machen. »Du brauchtest uns, und wir haben versagt. Du erprobtest unsere Starke, und du fandest uns schwach. Aber bitte, la? es uns noch einmal versuchen, gemeinsam. Manchmal machen wir es besser als jetzt. Verurteile uns nicht fur immer, nur weil wir einmal versagten. Unwissenheit und Torheit herrschen in der Welt, und Vorurteil und Blindheit. Das haben wir dir schon gezeigt. Aber es gibt auch andere Dinge, gute, warme Dinge, fur die es sich zu leben lohnt. Darum atme! Es ist so einfach und so wichtig!«
O'Donnells Hande bewegten sich, vor und zuruck. druckten zusammen. lockerten sich. druckten zusammen. lockerten sich. druckten zusammen.
Weitere funf Minuten waren vergangen, und der Praktikant setzte wieder das Stethoskop an, lauschte angestrengt. Jetzt richtete er sich auf. Sein Blick begegnete dem O'Donnells. Er schuttelte den Kopf. O'Donnell hielt inne. Er wu?te, jede weitere Muhe war vergeblich.
Er wandte sich zu Dornberger und sagte gefa?t: »Ich furchte, es ist vorbei.«
Die beiden sahen sich an, und beide wu?ten, da? sie das gleiche empfanden.
O'Donnell spurte, wie wei?gluhender Zorn in ihm aufstieg. Wutend ri? er Maske und Kappe ab. Er zerrte an den Gummihandschuhen und warf sie wild zu Boden.
Er bemerkte, da? die anderen ihn aufmerksam beobachteten. Seine Lippen bildeten eine schmale, grimmige Linie. Er sagte zu Dornberger: »Also gut, gehen wir.« Dann fugte er schroff zu dem Praktikanten gewendet hinzu: »Wenn jemand nach mir fragt, ich bin bei Dr. Pearson.«
XXI
In der Pathologie schrillte das Telefon auf, und Pearson griff nach dem Horer. Dann hielt er inne. Sein blasses Gesicht verriet seine Nervositat. Er sagte zu Coleman: »Nehmen Sie es an.«
Wahrend David Coleman an den Apparat ging, klingelte das Telefon ungeduldig zum zweitenmal. Gleich darauf sagte er: »Hier Dr. Coleman.« Er lauschte ausdruckslos, sagte dann »Danke« und hangte ein. Sein Blick begegnete dem Pearsons. Still sagte er: »Das Kind ist gerade gestorben.«
Pearson antwortete nicht. Er schlug den Blick nieder. In seinem Burosessel regungslos in sich zusammengesunken, das zerfurchte, schroffe Gesicht halb im Schatten, sah er alt und geschlagen aus.
Coleman sagte halblaut: »Ich glaube, ich gehe ins Labor hinuber. Einer mu? mit John sprechen.«
Er erhielt keine Antwort. Als er den Raum verlie?, sa? Pearson immer noch schweigend und regungslos, mit Augen, die nichts sahen, und Gedanken, die nur er selbst kannte.
Carl Bannister hatte das Labor verlassen, als David Coleman hereinkam. John Alexander war allein, sa? auf einem Hocker vor einem Arbeitstisch an der Wand, die Uhr unmittelbar uber seinem Kopf. Er drehte sich nicht um, als Coleman sich mit zogernden Schritten naherte, wobei das Leder seiner Sohlen knirschte.
Eine Weile herrschte Schweigen. Schlie?lich fragte Alexander, ohne sich umzudrehen, leise: »Ist es.voruber?«
Wortlos streckte Coleman seine Hand aus und legte sie auf Alexanders Schulter.
Mit verhaltener Stimme fragte Alexander noch einmal: »Er ist tot, nicht wahr?«
»Ja, John«, antwortete Coleman sanft. »Er ist tot. Es tut mir leid.«
Er zog seine Hand zuruck, ab Alexander sich langsam umwandte. Das Gesicht des jungen Mannes verriet seinen Schmerz. Tranen liefen ihm aus den Augen. Leise, aber eindringlich fragte er: »Warum, Dr. Coleman, warum?«
David Coleman suchte nach Worten, versuchte, es zu erklaren. »Ihr Baby wurde zu fruh geboren, John. Seine Chancen waren nicht gunstig, selbst wenn. das andere. nicht geschehen ware.«
Alexander sah ihm gerade in die Augen und sagte: »Aber er hatte leben konnen.«
Dies war der Augenblick, in dem er der Wahrheit nicht ausweichen konnte. »Ja«, gab Coleman zu, »er hatte leben konnen.«
John Alexander war aufgestanden. Sein Gesicht war dicht vor Colemans, sein Blick flehte. »Wie konnte es nur geschehen.? In einem Krankenhaus .? Mit Arzten.?«
»John«, entgegnete Coleman, »das kann ich Ihnen in diesem Augenblick nicht beantworten.« Leiser fugte er hinzu: »Ich kann es mir jetzt selbst nicht beantworten.«
Alexander nickte stumm. Er zog sein Taschentuch und wischte sich uber die Augen. Dann sagte er still: »Danke, da? Sie zu mir gekommen sind, um es mir zu sagen. Ich werde jetzt zu Elizabeth gehen.«
Kent O'Donnell hatte auf dem Weg durch das Krankenhaus mit Dr. Dornberger nicht gesprochen. Der wilde Zorn und die Enttauschung, die wie eine Woge uber ihm zusammengeschlagen waren, als er das tote Kind sah, machten ihn verschlossen und schweigsam. Wahrend sie durch die Gange und uber die Treppen hinuntereilten, weil sie nicht die Ruhe besa?en, auf den langsamen Fahrstuhl zu warten, warf sich O'Donnell wieder erbittert seine Passivitat gegenuber Joe Pearson und der pathologischen Abteilung des Three Counties Hospitals vor. Gott wei?, dachte er, ich bin oft genug auf die drohende Gefahr hingewiesen worden. Rufus und Reubens hatten ihn gewarnt, und er hatte es mit seinen eigenen Augen gesehen, da? Pearson immer mehr nachlie?, je alter er wurde, da? die Verantwortung fur die Pathologie in dem vielbeschaftigten, wachsenden Krankenhaus uber seine Krafte ging. Aber nein! Er, Dr. med. Kent O'Donnell, Mitglied der Koniglichbritischen Chirurgischen Gesellschaft, Mitglied der Amerikanischen Chirurgischen Gesellschaft, Chef der Chirurgie und Prasident des medizinischen Ausschusses des Three Counties Hospitals - Hut ab vor einem feinen, gro?artigen Mann! - »Lasse ihn siegreich sein, glucklich und ruhmbedeckt, lang herrsche er, Gott schutze O'Donnell!« -, er war zu beschaftigt gewesen, um sich um seine eigentliche Aufgabe zu kummern, um die Harte einzusetzen, die seine Stellung verlangte, um es mit den Ungelegenheiten aufzunehmen, die auf Taten folgen mu?ten. Darum hatte er sich lieber abgewendet, sich eingeredet, es sei alles in Ordnung, als ihm Erfahrung und Instinkt in seinem Innersten sagen mu?ten, da? er das nur hoffte. Und wo war er die ganze Zeit gewesen - er, der gro?e Mann der Medizin? Er hatte Krankenhauspolitik getrieben, hatte Eustace Swayne umschmeichelt, in der Hoffnung, wenn er nur leisetrete, wenn er den Status quo dulde, wenn er Swaynes Freund Joe Pearson vollig unbehelligt lie?e, da? dann der alte Finanzhai dankbar sein Geld fur den prachtigen Neubau des Krankenhauses spenden wurde - fur O'Donnells Traum von einem Reich, in dem er selbst Konig ware. Nun, es mochte sein, da? das Krankenhaus das Geld trotzdem bekam, vielleicht aber auch nicht. Doch ob ja oder nein, ein Preis zum mindesten war dafur schon bezahlt. Die Quittung kannst du oben finden: eine kleine Leiche in einem Operationsraum in der vierten Etage. Als sie dann vor Joe Pearsons Tur ankamen, fuhlte er, da? sein Zorn verraucht und Trauer an seine Stelle getreten war. Er klopfte und Dornberger folgte ihm hinein.
Joe Pearson sa? immer noch an seinem Platz, gerade wie Coleman ihn verlassen hatte. Er sah auf, machte aber keine Anstalten, sich zu erheben.
Dornberger sprach als erster. Er sprach ruhig, ohne Feindschaft, so, als wolle er den Ton fur die Unterhaltung bestimmen, als einen Dienst fur einen alten Freund. Er sagte: »Das Kind ist tot, Joe. Ich nehme an, du hast es schon erfahren.«
Pearson antwortete langsam: »Ja, ich habe es gehort.«
»Ich habe Dr. O'Donnell alles berichtet, was geschehen ist.« Dornbergers Stimme schwankte. »Es tut mir leid, Joe. Es blieb mir nichts anderes ubrig.«
Pearson machte eine kleine, hilflose Bewegung mit seinen Handen. Von seiner alten Aggressivitat war keine Spur ubriggeblieben. Ausdruckslos antwortete er: »Es ist gut.«
O'Donnell pa?te seinen Ton dem Dornberges an. Er fragte: »Haben Sie irgend etwas zu sagen, Joe?«
Zweimal schuttelte Pearson langsam den Kopf.
»Joe, wenn es nur dieser Fall ware.« O'Donnell suchte nach den richtigen Worten, von denen er wu?te, da? es sie nicht gab. »Wir begehen alle Fehler. Vielleicht wurde ich.« Das hatte er gar nicht sagen wollen. Er festigte seine Stimme und fuhr strenger fort: »Aber es ist eine lange Liste, Joe. Wenn ich das vor den medizinischen Ausschu? bringen mu? . Ich glaube, Sie wissen genau, was die Kollegen sagen werden. Sie wurden es sich und uns allen erleichtern, wenn morgen vormittag um zehn Uhr Ihre Rucktrittserklarung bei der Verwaltung vorlage.«
Pearson sah O'Donnell an. »Zehn Uhr«, bestatigte er. »Sie sollen sie haben.«
Es entstand eine Pause. O'Donnell wandte sich ab, drehte sich wieder um. »Joe«, sagte er, »es tut mir leid. Aber Sie wissen ja selbst, da? ich keine Wahl habe.«
»Ja.« Die Antwort kam flusternd, wahrend Pearson dumpf nickte.
»Naturlich steht Ihnen Ihre Pension zu. Das ist nach zweiunddrei?ig Jahren nur recht und billig.« O'Donnell horte deutlich, wie hohl seine Worte klangen.