»Warum denn. «
Sie bat: »Bitte, Mike, hore mich zu Ende an. Du hast es versprochen.«
Ungeduldig antwortete er: »Also weiter.«
»Du kannst sagen, was du willst, Mike, ich bin nicht die gleiche, die du kennengelernt hast, als wir uns das erstemal sahen. Ich kann es nie wieder sein.« Leise und eindringlich fuhr sie fort: »Deswegen mu? ich sicher sein. Sicher, da? du mich liebst, so, wie ich bin, nicht so, wie ich war. Verstehst du denn nicht, Liebling? Wenn wir den Rest unseres Lebens gemeinsam verbringen wollen, konnte ich den Gedanken nicht ertragen -auch spater nicht, niemals -, da? du mich aus. Mitleid geheiratet hast. Unterbrich mich nicht, hor mir nur zu. Ich wei?, da? du das nicht fur wahr haltst, und vielleicht ist es das auch nicht. Ich hoffe es jedenfalls von ganzem Herzen. Aber, Mike, du bist freundlich und gut und gro?mutig, und du konntest es tun, gerade aus diesem Grunde, ohne es dir selbst zuzugeben.«
Er entgegnete argerlich: »Willst du damit sagen, da? ich meine Gefuhle nicht kenne?«
Vivian antwortete leise: »Wer von uns kennt sie wirklich?«
»Ich kenne meine.« Er nahm zartlich ihre Hand, sein Gesicht war dicht vor dem ihren. »Ich wei?, da? ich dich liebe. Ganz oder geteilt, gestern, heute oder morgen. Und ich wei?, da? ich dich heiraten will, ganz bestimmt nicht aus Mitleid, ohne einen Tag langer warten zu wollen, als wir mussen.«
»Dann tue mir diesen einen Gefallen, weil du mich liebst. Verlasse mich jetzt, obwohl du hier im Krankenhaus bist, komme eine Woche lang nicht wieder - ganze sieben Tage.« Vivian sah ihn fest an. Ruhig fuhr sie fort: »In dieser Zeit uberlege dir alles. Denke an mich und daran, wie unser Zusammenleben sein wurde, wie es fur dich sein wurde, mit einem Kruppel zusammenzuleben. An die Dinge, die wir nicht gemeinsam haben konnen, und an die, die wir gemeinsam tragen mussen. An unsere Kinder, wie sie es beeinflussen wird, und damit auch dich. Denke an alles, Mike, an alles, was es gibt. Wenn du das getan hast, dann komme wieder und sage mir, zu welchem Ergebnis du gekommen bist. Und wenn du dann deiner immer noch sicher bist, verspreche ich dir, da? ich dich nie mehr fragen werde. Es sind nur sieben Tage, Liebling. Sieben Tage aus unserem Leben. Das ist nicht sehr viel.«
»Du bist verdammt bockbeinig«, antwortete er.
»Ich wei?.« Sie lachelte. »Du bist also einverstanden?«
»Mit vier Tagen. Keinen mehr.«
Vivian schuttelte den Kopf »Sechs. Keinen weniger.«
»Sagen wir funf«, sagte er, »und wir sind einig.«
Sie zogerte, und Mike erklarte: »Das ist mein letztes Angebot.«
Vivian lachte. Es war das erstemal. »Also gut, funf Tage von jetzt an.«
»Keineswegs von jetzt an«, antwortete Mike. »In zehn Minuten vielleicht. Erst brauche ich noch eine Rucklage. Fur einen jungen Burschen mit meinem hei?en Blut sind funf Tage eine lange Zeit.«
Er zog den Stuhl naher an das Bett und streckte die Arme nach ihr aus. Es war ein langer Ku?, in dem sich Leidenschaft und Zartlichkeit abwechselten.
Als er ein Ende gefunden hatte, zog Vivian eine Grimasse und schob ihn zuruck. Sie seufzte und schob sich in eine andere Lage.
Mike fragte besorgt: »Fehlt dir etwas?«
Vivian schuttelte den Kopf. »Nein, es ist nichts.« Dann fragte sie: »Mike, wo haben sie mein Bein? Das verlorene, meine ich.«
Er war uberrascht. Dann sagte er: »In der Pathologie. In einem Kuhlschrank vermutlich.«
Vivian holte tief Atem, lie? die Luft dann langsam wieder aus.
»Mike, Liebling«, bat sie, »gehe bitte hinunter und kratze den Fu?.«
Das Sitzungszimmer des Krankenhauses war uberfullt. Die Nachricht von der dringenden Sondersitzung hatte sich schnell in dem Krankenhaus verbreitet, und die Arzte, die an diesem Tage im Three Counties Hospital nicht anwesend waren, hatte man in ihren Sprechstunden in der Stadt oder zu Hause benachrichtigt. Geruchte uber Joe Pearsons Versagen und sein bevorstehendes Ausscheiden hatten sich ebenso schnell herumgesprochen und waren das Thema einer aufgeregten Diskussion, die abbrach, als Pearson mit dem Verwaltungsdirektor und David Coleman eintrat.
Kent O'Donnell hatte schon den Platz am Kopf des langen Nu?baumtisches eingenommen. Gil Bartletts Bart wippte lebhaft auf und ab, wahrend er sich mit Roger Hilton, dem jungen Chirurgen, der vor einigen Wochen in das Three Counties Hospital eingetreten war, unterhielt. John McEwan, der Hals-, Nasen- und Ohrenspezialist, war in eine erhitzte Debatte mit Dingdong Bell und dem dicken Lewis Toynbee, dem Internisten, verbissen. Bill Rufus, den seine grelle gelb und grune Krawatte aus der Menge heraushob, setzte sich gerade in der zweiten Reihe auf einen Stuhl. Unmittelbar vor ihm stand noch Dr. Harvey Chandler, der Leiter der inneren Abteilung, und studierte ein Blatt mit Notizen. Es waren auch verschiedene Assistenzarzte anwesend. Unter ihnen bemerkte O'Donnell McNeil von der Pathologie. Neben dem Verwaltungsdirektor sa? Mrs. Straughan, die Kuchenleiterin, die an der Sitzung auf ausdruckliche Aufforderung teilnahm. In ihrer Nahe sa? Ernie Reubens, der anscheinend belustigt den wabbelnden, umfangreichen Busen der Kuchenleiterin beobachtete. Nicht anwesend war die vertraute Erscheinung Charlie Dornbergers, der seine Absicht, sofort in den Ruhestand zu treten, bereits bekanntgegeben hatte.
Als O'Donnell zur Tur blickte, sah er Lucy Grainger, die gerade hereinkam. Sie begegnete seinem Blick und lachelte leicht. Lucys Anblick erinnerte ihn an die Entscheidung uber seine personliche Zukunft, die ihm noch bevorstand, wenn das, was jetzt vorlag, geklart und geregelt war. Dann fiel ihm plotzlich auf, da? er seit heute vormittag nicht einmal an Denise gedacht hatte. Die Arbeit im Krankenhaus hatte keinen Gedanken an sie aufkommen lassen, und er wu?te, da? es ihm jedenfalls in den nachsten beiden Tagen ebenso gehen wurde. O'Donnell fragte sich, wie Denise sich verhalten wurde, wenn sie den zweiten Platz hinter der Medizin einnehmen musse. Wurde sie Verstandnis zeigen? So verstandig sein wie Lucy etwa? So fluchtig der Gedanke auch war, es wurde ihm dabei unbehaglich, als ob er durch diesen Vergleich einen Verrat begehe. Im Augenblick zog er es vor, an die unmittelbar vorliegenden Dinge zu denken. Es war Zeit, die Sitzung zu eroffnen.
O'Donnell klopfte, um Ruhe zu gebieten, wartete geduldig, bis alle Gesprache verstummt und diejenigen, die noch standen, ihre Sitze eingenommen hatten. Mit ruhiger Stimme begann er: »Meine Damen und Herren! Ich glaube, allen von uns ist bekannt, da? Epidemien in Krankenhausern nichts Seltenes sind und tatsachlich weit haufiger auftreten, als der gro?te Teil der Offentlichkeit vermutet. In gewisser Weise kann man wohl sagen, da? Epidemien zu den standigen Gefahrdungen unseres Daseins gehoren. Wenn man berucksichtigt, wie viele Krankheiten wir in diesen Mauern behandeln, ist es eigentlich uberraschend, da? sie nicht haufiger auftreten.« Alle Augen im Raum waren auf ihn gerichtet. Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Ich habe nicht die Absicht, das, was geschehen ist, zu bagatellisieren, aber ich mochte, da? wir uns den Sinn fur Proportionen erhalten. Dr. Chandler, vielleicht sind Sie so freundlich, uns uber die Lage zu informieren.«
Wahrend O'Donnell sich setzte, erhob sich der Leiter der inneren Abteilung von seinem Platz.
»Lassen Sie mich mit einer Zusammenfassung beginnen.« Harvey Chandler hielt sein Notizblatt in der Hand, und sein Blick schweifte theatralisch durch den Raum. Das macht Harvey Spa?, dachte O'Donnell, aber er sieht sich ja immer gern im Mittelpunkt. Der Hauptling der inneren Medizin fuhr fort: »Das Bild zeigt bisher zwei eindeutige Typhusfalle und vier Falle mit Typhusverdacht. Alle Erkrankten sind Angestellte des Krankenhauses, und wir konnen uns glucklich schatzen, da? keine Patienten davon betroffen sind - jedenfalls noch nicht. Auf Grund der Zahl der Falle ist Ihnen zweifellos so offensichtlich wie mir, da? wir irgendwo in dem Krankenhaus einen Typhustrager haben mussen. Nun darf ich sagen, da? ich ebenso schockiert bin, wie es jeder sein mu?, als ich erfuhr, da? Untersuchungen des Kuchenpersonals nicht mehr durchgefuhrt wurden, seit.«
Bei der Erwahnung des Kuchenpersonals war O'Donnell aufgefahren. Jetzt unterbrach er so ruhig und hoflich wie er konnte: »Entschuldigen Sie, Doktor.«
»Ja?« Chandlers Ton machte deutlich, da? er uber die Unterbrechung ungehalten war.
Freundlich sagte O'Donnell: »Wir werden auf diesen Punkt gleich zu sprechen kommen, Harvey. Fur den Augenblick mochte ich Sie bitten, nur die klinischen Aspekte darzulegen.«
Er konnte den Arger des anderen spuren. Harvey Chandler, der praktisch in der Krankenhaushierarchie den gleichen Status wie O'Donnell einnahm, gefiel das ganz und gar nicht. Au?erdem liebte Dr. Chandler es, lange Reden zu halten. Er stand in dem Ruf, sich niemals mit einem Wort zu begnugen, wenn man zwei oder drei verwenden konnte. Jetzt murmelte er: »Also gut, wenn Sie das so wunschen, aber.«
Liebenswurdig, aber fest warf O'Donnell dazwischen: »Ich danke Ihnen.«
Chandler warf ihm einen Blick zu, der besagte: daruber werden wir uns spater noch privat unterhalten.