Hintergrund. O'Donnell sagte zu der verwirrten Frau: »Einen Augenblick, bitte«, und winkte Schwester Penfield zu, bei ihr zu bleiben.
»Nehmen Sie die Speisen, die sie ausgegeben hat«, wies er Mrs. Straughan an, »und verbrennen Sie sie. Holen Sie alles, was sie ausgegeben hat, soweit Sie konnen, zuruck. Entfernen Sie alles Geschirr, das sie beruhrt haben kann, und kochen Sie es ab.«
Die Kuchenleiterin ging zu den Ausgabeschaltern. Nach ein paar Minuten waren O'Donnells Anweisungen befolgt, und die Schlange der Kantinenbesucher bewegte sich wieder weiter. Nur die paar Leute, die in unmittelbarer Nahe standen, hatten die Szene bemerkt.
In dem Buro im Hintergrund der Kuche sagte O'Donnell zu der Frau: »Mrs. Burgess, Sie mussen sich als Patientin des Krankenhauses betrachten.« Freundlich fugte er hinzu: »Seien Sie nicht beunruhigt, wir werden Ihnen alles erklaren.«
Zu Schwester Penfield sagte er: »Bringen Sie diese Patientin in die Isolierstation. Sie darf mit niemanden in Beruhrung kommen. Ich werde Dr. Chandler benachrichtigen, und er wird die Anweisungen fur ihre Behandlung geben.«
Sanft fuhrte Elaine Penfield die erschrockene Frau fort.
Mrs. Straughan fragte neugierig: »Was geschieht jetzt mit ihr, Dr. O'Donnell?«
»Sie wird gut versorgt werden«, antwortete O'Donnell. »Sie wird isoliert bleiben, und der Internist wird sie eine Zeitlang beobachten. Manchmal kann ein Typhustrager eine Gallenblasenentzundung haben, und in diesem Falle wird sie wahrscheinlich operiert werden.« Er fugte hinzu: »Naturlich erfolgen noch Nachuntersuchungen, auch bei allen anderen, die erkrankt sind. Dafur wird Harvey Chandler sorgen.«
Am Telefon im Buro der Kuche sagte Hary Tomaselli einem seiner Untergebenen: »Sie haben richtig verstanden. Sagen Sie alles ab, und machen Sie alles ruckgangig: die Verlegungen, die Entlassungen, die nicht sowieso erfolgt waren, die bestellten Mahlzeiten, alles. Und wenn Sie das getan haben, rufen Sie die Aufnahme an.« Der Verwaltungsdirektor lachelte uber dem Schreibtisch O'Donnell breit zu. »Geben Sie bekannt, da? das Three Counties Hospital wieder Patienten aufnimmt.«
Tomaselli legte den Horer zuruck und nahm die Tasse Kaffee an, die die Kuchenleiterin ihm aus ihrer privaten Kaffeemaschine eingegossen hatte.
»Ubrigens, Mrs. Straughan«, sagte er, »ich hatte noch keine Gelegenheit, es Ihnen mitzuteilen, aber Sie bekommen Ihre neuen Geschirrspulmaschinen. Der Ausschu? hat die Ausgabe genehmigt, und der Auftrag ist schon erteilt. Ich nehme an, da? der Einbau nachste Woche erfolgt.«
Die Kuchenleiterin nickte. Offensichtlich hatte sie mit dieser Mitteilung gerechnet. Jetzt wendeten sich ihre Gedanken anderen Dingen zu. »Da ist noch etwas, das ich Ihnen gern zeigen mochte, da Sie gerade hier sind, Mr. T. Ich brauche mehr Kuhlraum.« Sie sah den Verwaltungsdirektor streng an. »Ich hoffe, da? diesmal keine Epidemie notwendig ist, um zu beweisen, da? ich recht habe.«
Der Verwaltungsdirektor seufzte und stand auf. Er fragte O'Donnell: »Haben Sie heute auch noch Fragen an mich?«
»Heute nicht mehr«, antwortete O'Donnell, »aber morgen gibt es etwas Wichtiges zu erledigen, das ich selbst in die Hand nehmen werde.«
Er dachte dabei an Eustace Swayne.
XXIV
David Coleman hatte nicht gut geschlafen. Wahrend der Nacht waren seine Gedanken standig zum Three Counties Hospital, der pathologischen Abteilung und Dr. Joseph Pearson zuruckgekehrt.
Nichts in den letzten Tagen hatte auch nur im geringsten Dr. Pearsons Schuld an dem Tod des Babys der Alexanders verringert. Seine Verantwortung war ebenso gro? wie vor einer Woche. Coleman hatte auch seine Ansicht nicht revidiert, da? die Pathologie im Three Counties Hospital verlottert, in uberholten Konzeptionen festgefahren und durch veraltete Methoden und Gerate, die schon langst hatten ersetzt werden mussen, hinter der Zeit zuruckgeblieben sei.
Trotzdem hatte David Coleman in den vergangenen vier Tagen mit Unbehagen bemerkt, wie sich seine Empfindungen gegenuber Pearson veranderten und sein Urteil uber ihn milder wurde. Vor einer Woche hatte er in Pearson einen fast senilen, unfahigen Mann gesehen, der sich zu lange an seine Stellung geklammert hatte. Seitdem war nichts Greifbares eingetreten, das diese Uberzeugung andern konnte. Welchen Grund gab es also, da? er jetzt Unbehagen daruber empfand?
Selbstverstandlich war es richtig, da? der alte Mann dem Ausbruch des Typhus und den Folgen, die sich daraus ergaben, entschlossen entgegengetreten und die erforderlichen Ma?nahmen mit einer Sachkenntnis und Fahigkeit angeordnet hatte, die Coleman selbst vielleicht nicht aufweisen konnte. Aber war das so uberraschend? Schlie?lich fiel Pearsons Erfahrung ins Gewicht, und in Anbetracht der Bedeutung der vorliegenden Situation war es nur verstandlich, da? Pearson sich ihr auch gewachsen zeigen wollte.
Aber sein eigenes Gesamtbild von Pearson war jetzt weniger klar, weniger fest. Vor einer Woche hatte er den alten Pathologen - welche Verdienste er sich auch in der Vergangenheit erworben hatte - als intellektuellen >Habenichts< klassifiziert. Jetzt war sich David Coleman seines Urteils nicht mehr sicher. Er furchtete, da? er sich in Zukunft sehr vieler Dinge nicht mehr sicher sein wurde.
Die Schlaflosigkeit hatte ihn fruh ins Krankenhaus gebracht, und es war kurz nach acht, als er in die Pathologie eintrat. Roger McNeil, der Assistent, sa? an Pearsons Schreibtisch.
»Guten Morgen«, sagte McNeil. »Sie sind der erste. Die anderen schlafen wahrscheinlich noch.«
David Coleman fragte: »Sind wir mit der anderen Arbeit sehr im Ruckstand?«
»Es ist nicht so schlimm«, antwortete McNeil. »Es hat sich eine ganze Menge nicht dringender Dinge angesammelt, aber mit dem Wichtigen bin ich auf dem laufenden geblieben.« Er fugte hinzu: »Seddons hat eine ganze Menge geholfen. Ich habe ihm geraten, bei der Pathologie zu bleiben, statt zur Chirurgie zuruckzugehen.«
Ein anderer Gedanke hatte Coleman geplagt. Er fragte den Assistenten: »Diese Lernschwester, die mit der Amputation. Ist das Bein schon seziert worden?« Er hatte nicht vergessen, da? er in der Diagnose mit Pearson nicht ubereingestimmt hatte.
»Nein.« McNeil suchte eine Krankengeschichte auf dem Schreibtisch heraus. »Vivian Loburton«, las er vor, »so hei?t das Madchen. Es war nicht dringend, darum stellte ich die Untersuchung zuruck. Das Bein ist noch im Kuhlschrank. Wollen Sie es selbst machen?«
»Ja«, antwortete Coleman, »ich habe die Absicht.«
Er nahm die Krankengeschichte und ging in das Zimmer, das an den Obduktionsraum grenzte. Aus dem Kuhlschrank der Leichenkammer nahm er das Bein und begann die Gazeumhullungen zu entfernen. Das Fleisch war kalt und weich, das Blut, wo das Glied in der Mitte des Oberschenkels abgetrennt worden war, geronnen. Er tastete nach dem Tumor und fand ihn sofort. Einen harten Klumpen an der Innenseite gerade unterhalb des Knies. Er nahm ein Messer und schnitt tief hinein. Sein Interesse wuchs bei dem, was er fand.
Der Diener nahm Kent O'Donnells Hut und Mantel entgegen, hangte beides in einen Schrank in der finsteren, vornehmen Halle. O'Donnell sah sich um und fragte sich verwundert, warum wohl jemand - reich oder nicht - in dieser Umgebung freiwillig lebte. Dann uberlegte er, da? diese kahle Weitlaufigkeit, diese schweren Deckenbalken und diese hohe Tafelung, diese Wande aus kaltem, behauenem Stein einem Mann wie Eustace Swayne vermutlich das Gefuhl einer feudalen Macht verliehen und fur ihn eine Brucke durch die Geschichte zu alten Zeiten und versunkenen Statten bildete. O'Donnell fragte sich, was aus dem Haus werden wurde, wenn der alte Mann starb. Hochstwahrscheinlich ein Museum oder eine Kunstgalerie, vielleicht wurde es auch nur leerstehen und verfallen wie viele Hauser dieser Art. Da? jemand anders die Absicht haben konnte, darin zu leben, erschien ihm unvorstellbar. Es war ein Haus, bei dessen Anblick man sich sagen mu?te, da? sein Eingang um funf Uhr nachmittags abgeschlossen wurde und bis zum nachsten Morgen verschlossen blieb. Dann erinnerte er sich, da? Denise ihre Kindheit innerhalb dieser dusteren Wande verbracht haben mu?te. Ob sie hier glucklich gewesen war? fragte er sich.
»Mr. Swayne ist heute etwas erschopft, Sir. Er la?t fragen, ob Sie etwas dagegen haben, wenn er Sie in seinem Schlafzimmer empfangt.«
»Keineswegs«, antwortete O'Donnell. Ihm kam der Gedanke, da? das Schlafzimmer fur das, was er zu sagen hatte, vielleicht der geeignetste Ort war. Falls Eustace Swayne infolge der Unterhaltung einen Schlaganfall erlitt, war wenigstens gleich der richtige Platz da, um ihn hinzulegen. Er folgte dem Diener die breite, geschwungene Treppe hinauf und einen Korridor entlang. Ihre Schritte wurden durch dicke Laufer gedampft. Der