Die Luna-rier - besonders die eingeborenen Lunarier - fuhlen sich nicht als Erdmenschen. Ich wei? nicht, wie ihre Plane aussehen, was sie vorhaben. Ich bekomme es einfach nicht heraus.'
Gottstein blickte ihn nachdenklich an. 'Aber was konnten sie denn tun? Haben Sie Grund zu der Annahme, da? sie uns schaden wollen oder da? sie der Erde schaden konnten, wenn sie wollten?' 'Auf diese Frage wei? ich keine Antwort. Die Luna-rier sind ein attraktives und intelligentes Volk. Es will mir scheinen, als gingen ihnen die Extreme des Hasses, der Erregung, der Furcht irgendwie ab. Aber vielleicht ist das auch nur mein Eindruck. Zu schaffen macht mir, da? ich es nicht wei?.'
'Die wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen auf dem Mond sind doch in terrestrischer Hand, nicht wahr?'
'Das stimmt. Zunachst das Protonensynchrotron. Dann das Radioteleskop auf der transterrestrischen Seite. Das Dreihun-dert-Inch-Optische-Teleskop ebenfalls... Ja, die gro?en Installationen, die ausnahmslos seit uber funfzig Jahren in Betrieb sind, stehen unter Aufsicht der Erde.'
'Und was ist seither getan worden?'
'Von den Erdmenschen sehr wenig.'
'Und von den Lunariern?'
'Ich bin mir nicht sicher. Die Wissenschaftler hier arbeiten in den gro?en Anlagen, aber ich habe einmal die Anwesenheitskarten gepruft. Da gibt es gewisse Lucken.'
'Lucken?'
'Zeiten, in denen sie nicht an Ort und Stelle sind. Es ist, als hatten sie eigene Laboratorien.'
'Nun, wenn sie mikroelektronische Gerate und feine Biochemikalien produzieren, ware das doch nur naturlich.'
'Ja, aber... Gottstein, ich wei? es einfach nicht. Dieses Nichtwissen macht mir Angst.'
Es folgte ein Schweigen, das Gottstein nach kurzer Zeit brach. 'Montez, ich nehme an, Sie sagen mir das alles, damit ich mich vorsehe, damit ich meinerseits herauszufinden versuche, was die Lunarier hier machen?'
'Darauf lauft es wohl hinaus', antwortete Montez bedruckt.
'Aber Sie wissen nicht sicher, da? sie uberhaupt etwas anstellen?'
'Ich habe das sichere Gefuhl.'
'Seltsam. Ich mu?te eigentlich versuchen, Ihnen dieses Angsttrauma auszureden, aber seltsam ...'
'Was ist?' fragte Montez.
'Das Raumfahrzeug, das mich auf den Mond brachte, beforderte noch jemanden. Ich meine, eine gro?e Gruppe reiste mit mir herauf, doch ein ganz bestimmtes Gesicht fiel mir auf. Ich habe mit dem Mann nicht gesprochen - dazu fehlte mir die Gelegenheit , und so ging ich der Sache nicht nach. Aber unser Gesprach la?t das Alarmlampchen wieder flackern.'
'Ja?'
'Ich gehorte einmal einem Komitee an, das sich mit Angelegenheiten der Elektronenpumpe befa?te. Mit Sicherheitsfragen.' Er lachelte kurz. 'Die Erde hat den Schwung verloren, konnte man vielleicht wirklich sagen. Standig machen wir uns Gedanken um unsere Sicherheit - was, Schwung hin, Schwung her, eine gute Sache ist, verdammt noch mal. Die Einzelheiten wei? ich nicht mehr, aber in Verbindung mit einem Hearing sah ich das Gesicht, das mir heute im Schiff auffiel. Kein Zweifel!'
'Meinen Sie, das hat irgendeine Bedeutung?'
'Ich bin mir nicht sicher. Dieses Gesicht hat fur mich etwas Beunruhigendes. Wenn ich mal richtig daruber nachdenke, fallt es mir vielleicht ein. Auf jeden Fall sollte ich mir schleunigst eine Passagierliste besorgen und nachsehen, ob mir ein Name etwas bedeutet. Es ist schade, Montez, aber ich furchte, Sie haben mich angesteckt.'
'Gar nicht schade', sagte Montez. 'Es freut mich. Und dieser Mann - vielleicht ist er nur ein unwichtiger Tourist und in vierzehn Tagen wieder verschwunden, aber ich bin froh, da? Sie die Sache einmal durchdenken.'
Gottstein schien ihn nicht zu horen. 'Er ist Physiker oder jedenfalls Wissenschaftler', murmelte er. 'Da bin ich ganz sicher. Und irgendwie la?t er mich an eine Gefahr denken ...'
'Hallo', rief Selene frohlich.
Der Mann von der Erde drehte sich um. Das Erkennen dauerte nur Sekundenbruchteile. 'Selene! Richtig? Selene?'
'Richtig! Und auch richtig ausgesprochen. Gefallt es Ihnen hier?'
Der Mann von der Erde antwortete ernst: 'Sehr sogar. Ich mache mir hier so richtig klar, wie toll unser Jahrhundert doch ist. Vor kurzem noch war ich auf der Erde, war meiner Umwelt und meiner selbst uberdrussig. Dann dachte ich mir: Nun, wenn ich vor hundert Jahren lebte, bliebe mir jetzt nur das Sterben, um die Welt zu verlassen, aber heute - kann ich zum Mond fliegen.' Er lachelte etwas freudlos.
'Und sind Sie zufriedener, nachdem Sie nun auf dein Mond sind?' fragte Selene.
'Ein wenig.' Er blickte sich um. 'Haben Sie denn heute keine Touristen zu fuhren?'
'Heute nicht', erwiderte sie frohlich. 'Ich habe frei. Wer wei?, vielleicht nehme ich noch ein paar Tage Urlaub. Meine Arbeit ist sehr langweilig.'
'Wie schade, da? Sie dann an Ihrem freien Tag ausgerechnet einem Touristen in die Arme laufen.'
'Ich bin Ihnen nicht in die Arme gelaufen. Ich habe Sie gesucht. Und das war gar nicht mal einfach. Sie sollten hier nicht so allein herumgehen.'
Der Mann von der Erde musterte sie interessiert: 'Warum sollten Sie nach mir suchen? Haben Sie etwas fur Erdlinge ubrig?'
'Nein', entgegnete sie mit selbstverstandlicher Offenheit. 'Sie hangen mir zum Halse heraus. Ich mag sie grundsatzlich nicht. Um so schlimmer, da? ich von Berufs wegen standig mit ihnen zu tun habe.'
'Und doch suchen Sie nach mir, obwohl ich keine rechte Moglichkeit sehe, mich fur jung und gutaussehend zu halten?'
'Das wurde auch nichts andern. Erdlinge interessieren mich nicht - au?er Barron wei? das jeder hier.'
'Warum haben Sie aber nach mir gesucht?'
'Weil es andere Arten des Interesses gibt, und weil Barron sich fur Sie interessiert.'
'Und wer ist Barron? Ihr junger Freund?'
Selene lachte. 'Barron Neville. Er ist gar nicht mehr so jung und weitaus mehr als ein Freund. Wir schlafen zusammen, wenn uns danach zumute ist.'
'Also, das meinte ich ja. Haben Sie Kinder?'
'Einen Jungen. Er ist zehn. Die meiste Zeit verbringt er im Jungenheim. Um Ihrer nachsten Frage zuvorzukommen: er ist nicht von Barron. Vielleicht bekomme ich ein Kind von Bar-ron, wenn wir noch zusammen sind, falls ich ein zweites Kind zugeteilt bekomme falls ich uberhaupt ein zweites Kind zugeteilt bekomme... Davon bin ich aber uberzeugt.'
'Sie sind recht offen.'
'Bei Dingen, die ich fur kein Geheimnis halte? Naturlich ... Was mochten Sie jetzt gern tun?'
Sie schritten durch einen Korridor aus milchwei?em Gestein, in dessen glasierter Oberflache matte 'Mondedelsteine' schimmerten, die es uberall auf dem Mond in Hulle und Fulle gab. Selene trug Sandalen, die kaum den Boden zu beruhren schienen; er ging in dicksohligen Stiefeln, die ihn bleiern an den Boden fesselten und dafur sorgten, da? seine Schritte nicht zur Qual wurden.
Im Korridor herrschte Einbahnverkehr. Von Zeit zu Zeit wurden sie von kleinen elektrischen Karren uberholt, die fast lautlos an ihnen voruberrollten.
Der Mann von der Erde fragte: 'Was ich gern tun wurde? Das ist eine ziemlich unbestimmte Aufforderung. Wurden Sie mir bitte die Grenzwerte sagen, damit meine Antworten Sie nicht in aller Unschuld beleidigen?'
'Sind Sie Physiker?'
Der Mann zogerte: 'Warum fragen Sie?'
'Nur um zu horen, was Sie darauf zu sagen haben. Ich wei?, da? Sie Physiker sind.'
'Woher?' 'Niemand sagt 'Grenzwerte', ohne Physiker zu sein. Besonders wenn sich jemand bei seinem Mondbesuch sofort fur das Protonensynchrotron interessiert.'
'Haben Sie deshalb nach mir gesucht? Weil ich offenbar Physiker bin?'