'Deshalb hat mich Barron auf Ihre Fahrte gesetzt. Weil er Physiker ist. Gekommen bin ich aber, weil ich Sie fur einen ziemlich ungewohnlichen Erdenmenschen halte.'
'Inwiefern?'
'Na ja, es wird Ihnen nicht weiter schmeicheln - falls Sie Komplimente horen wollten. Sie haben eben nur wenig von einem Erdling an sich.'
'Woher wollen Sie das wissen?'
'Ich habe gesehen, wie Sie die anderen Leute in der Gruppe beobachteten. Au?erdem kann ich mich auf mein Gefuhl verlassen. Gerade die Erdchen, die andere Erdchen nicht mogen, bleiben am leichtesten hier. Was mich auf meine Frage zuruckbringt... was wurden Sie gern machen? Und ich bestimme die Grenzwerte. Ich meine, soweit es die Besichtigung betrifft.'
Der Mann von der Erde sah sie offen an. 'Seltsam, Selene. Sie haben einen Tag frei. Ihre Arbeit ist Ihnen zumindest so gleichgultig oder widerlich, da? Sie sich uber den freien Tag freuen und am liebsten einen Urlaub daraus machen wurden. Und doch v/ollen Sie freiwillig nur wieder Ihre Arbeit tun -ganz allein fur mich. Nur wegen eines bi?chen Interesses.'
'Barrons Interesse. Er ist im Augenblick beschaftigt, und es kann nicht schaden, wenn ich Sie ein wenig unterhalte, bis er fertig ist... Au?erdem ist es gar nicht so. Konnen Sie sich das nicht vorstellen? Wahrend der Arbeit habe ich immer ein paar Dutzend Erdchen am Hals... Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, da? ich den Ausdruck verwende.'
'Sie meinen, da? ein Lunchen ihn verwendet?'
Selene errotete. 'Ja, so etwa', sagte sie.
'Na, sto?en wir uns nicht langer an einzelnen Worten. Erzahlen Sie weiter. Sie wollten mir etwas uber Ihre Arbeit sagen.'
'Tag fur Tag mu? ich mich um all die Erdchen kummern, damit sie sich nicht selber umbringen, ich mu? sie hierhin und dorthin fuhren und ihnen kleine Vortrage halten und dafur sorgen, da? sie auch essen und trinken und vernunftig gehen. Sie bekommen vorgefuhrt, was sie sehen wollen, und reagieren, wie man es von ihnen erwartet, und ich mu? die ganze Zeit furchterlich hoflich und mutterlich sein.'
'Schrecklich', meinte der Mann von der Erde.
'Aber Sie und ich - wir konnen tun, was uns gefallt, hoffe ich, und Sie lassen mich vielleicht gewahren und legen nicht gleich jedes Wort auf die Goldwaage.'
'Ich sagte Ihnen schon, da? Sie mich jederzeit Erdchen nennen durfen.'
'Na gut, so sieht mein Urlaub also aus. Was mochten Sie gern machen?'
'Das la?t sich leicht beantworten. Ich mochte gern das Protonensynchrotron sehen.'
'Das geht nicht. Vielleicht kann Barron etwas arrangieren, wenn Sie mit ihm gesprochen haben.'
'Nun, wenn ich an das Synchrotron nicht herankomme, wu?te ich nicht, was es sonst noch zu sehen gibt. Ich wei?, das Radioteleskop steht auf der anderen Seite, und ich nehme auch nicht an, da? es irgendwelche Neuerungen enthalt...Sagen Sie -was bekommt der Durchschnittstourist hier nicht zu sehen?'
'Eine Reihe von Sachen. Zum Beispiel die Algenraume -nicht die aseptisch sauberen Nahrungsmittelfabriken, die Sie schon besucht haben - sondern die eigentlichen Kulturen. Allerdings ist der Gestank ziemlich schlimm da drau?en, und ich kann mir nicht vorstellen, da? ein Erdchen - ein Mann von der Erde - besonderen Geschmack daran findet. Unsere Besucher haben noch genugend Probleme mit dem Essen, wenn es fertig vor ihnen steht.'
'Uberrascht Sie das? Haben Sie schon einmal Nahrungsmittel von der Erde gegessen?'
'Noch nicht. Vermutlich wurden sie mir nicht schmecken. Hangt immer davon ab, was Sie vorher gewohnt waren.' 'Das ist wohl richtig', sagte der Mann seufzend. 'Wenn Sie ein richtiges Steak a?en, kamen Ihnen wahrscheinlich das Fett und die Sehnen wieder hoch.'
'Wir konnten in die Au?enbezirke gehen, wo die neuen Korridore in den Fels getrieben werden. Aber dazu brauchten Sie einen besonderen Schutzanzug. Dann sind da die Fabriken...'
'Entscheiden Sie, Selene.'
'Das tue ich gern, wenn Sie mir mal eine Frage beantworten. Aber ehrlich.'
'Das kann ich nicht versprechen, ohne die Frage zu kennen.'
'Ich sagte vorhin, da? Erdchen, die die anderen Erdchen nicht mogen, eher auf dem Mond bleiben als andere. Sie haben mir da nicht widersprochen. Wollen Sie auf dem Mond bleiben?'
Der Mann von der Erde starrte auf die Spitzen seiner unformigen Stiefel. 'Selene, ich hatte Schwierigkeiten, uberhaupt ein Visum fur den Mond zu bekommen. Man meinte, da? ich vielleicht zu alt ware fur die Reise, da? ich uberhaupt nicht zuruckkehren konnte, wenn ich zu lange hier oben bliebe. Also habe ich allen verkundet, ich wollte gar nicht zuruckkehren.'
'Und das war keine Luge?'
'Ich wu?te es damals noch nicht. Inzwischen sieht es aber so aus, als wurde ich gern bleiben.'
'Ich hatte gedacht, da? man Sie unter diesen Umstanden erst recht nicht wurde reisen lassen.'
'Warum?'
'Im allgemeinen widerstrebt es den terrestrischen Behorden, Physiker fur immer auf den Mond zu schicken.'
Der Mann verzog den Mund. 'In dieser Hinsicht hatte ich uberhaupt keine Schwierigkeiten.'
'Nun, wenn Sie einer von uns werden wollen, sollten Sie die Turnhalle kennenlernen. Die Erdchen interessieren sich oft dafur, aber wir lassen sie im allgemeinen nicht hinein - obwohl es nicht unbedingt verboten ist. Bei Immigranten ist das etwas anderes.'
'Warum?'
'Nun, zum einen finden unsere Ubungen ohne - oder fast ohne Bekleidung statt. Warum auch nicht?' Ihre Frage klang, als sei sie es mude, die Einstellung ihres Volkes immer wieder verteidigen zu mussen. 'Die Temperatur ist geregelt, die Halle sauber. Wenn allerdings Erdchen auf Besuch kommen, hat die Nacktheit plotzlich etwas Beunruhigendes. Denn manche Erd-chen sind offen schockiert; andere lassen sich anregen - und einige sogar beides. Wir denken nicht daran, uns ihretwegen in der Turnhalle anzuziehen; und da wir auch keine Lust haben, unsere Nacktheit zu verteidigen, halten wir sie eben drau?en.'
'Aber die Immigranten?'
'Die mussen sich sowieso daran gewohnen. Irgendwann werden auch sie die Kleidung ablegen. Und sie brauchen die Turnhalle sogar noch mehr als die eingeborenen Lunarier.'
'Ich will offen zu Ihnen sein, Selene. Mit weiblicher Nacktheit konfrontiert, lasse auch ich mich anregen. So alt bin ich nun wieder nicht...'
'Also lassen Sie sich anregen', erwiderte sie gleichgultig, 'aber Sie mussen dann auch allein damit fertig werden.'
'Mussen wir uns auch ausziehen?' Er betrachtete sie mit amusiertem Interesse.
'Als Zuschauer? Nein. Moglich ware es, aber wir mussen es nicht. So fruh wurde es Ihnen bestimmt etwas ausmachen, und Sie wurden auch keinen besonders angenehmen Anblick bieten...'
'Sie sind aber wirklich brutal offen.'
'Haben Sie sich etwas eingebildet? Seien Sie doch ehrlich! Was mich angeht, so mochte ich Ihre privaten Empfindungen nicht zu sehr strapazieren: Wir bleiben also am besten beide angezogen.'
'Gibt es da keine Einwande? Ich meine, dagegen, da? ich als unschones Erdchen einfach so mitkomme?'
'Nicht wenn ich dabei bin.'
'Also gut, Selene. Ist es weit?'
'Wir sind schon da. Nur hierherum.'
'Ah, dann hatten Sie die Sache von Anfang an geplant?'
'Ich dachte, da? es Sie vielleicht interessiert.'
'Warum?' Selene lachelte plotzlich. 'Nur so ein Gedanke..
Der Mann von der Erde schuttelte den Kopf. 'Ich fange langsam an zu glauben, da? Sie nie ganz ohne Hintergedanken sind. Lassen Sie mich mal raten. Wenn ich auf dem Mond bleibe, mu? ich gelegentlich Sport treiben, um Muskeln, Knochen und vielleicht auch meine Organe in Form zu halten.'
'Jawohl. Wir alle tun das, besonders naturlich die Immigranten von der Erde. Der Tag wird kommen, da Sie taglich in die Turnhalle mussen.'