ihre Gro?e Krise. Daruber brauche ich wohl nichts weiter zu sagen.'

'Allerdings nicht', sagte Gottstein duster.

'Die Erde hat nun wieder zwei Milliarden Bewohner, nachdem die Hochstbevolkerungszahl vor der Gro?en Krise sechs Milliarden betrug.'

'Und die Erde ist damit nun viel besser dran, nicht wahr?'

'Oh, zweifellos, obwohl ich wunschte, es hatte eine andere Art der Bevolkerungsreduzierung gegeben .. . Jedenfalls hat die Epoche ein unausrottbares Mi?trauen vor aller Technologie hinterlassen; eine allseitige Tragheit, Veranderungen zu riskieren, weil das Nebenwirkungen haben konnte. Gro?e und moglicherweise gefahrliche Unternehmen wurden eingestellt, weil mehr die Gefahr gefurchtet als die Gro?e erstrebt wurde.'

'Ich vermute, Sie meinen das genetische Formungsprogramm. '

'Das ist naturlich der spektakularste Fall, doch nicht der einzige', entgegnete Montez erbittert.

'Offen gesagt kann ich mich nicht besonders uber den Abbruch des genetischen Formungsprogramms aufregen. War doch nur eine Kette von Fehlschlagen.' 'Aber wir lie?en damit unsere Chance auf den Intuitionismus fahren.'

'Es fehlt jeder Hinweis darauf, da? der Intuitionismus wirklich so wunschenswert ist - eher gibt es Anzeichen fur das Gegenteil... Was ist au?erdem mit der Lunar-Kolonie, die doch gewi? kein Symptom fur eine Stagnation auf der Erde ist?'

'O doch!' widersprach Montez heftig. 'Die Lunar-Kolonie ist ein Uberbleibsel, ein letzter Rest aus der Zeit vor der Krise; etwas, das als letzter trauriger Vorsto? der Menschheit gelten kann, ehe dann der gro?e Ruckzug einsetzte.'

'Sie sehen das zu dramatisch, Montez.'

'Ich glaube nicht. Die Erde hat sich zuruckgezogen. Die Menschheit hat sich uberall zuruckgezogen - nur nicht auf dem Mond. Die Lunar-Kolonie ist das menschliche Grenzland jetzt nicht nur physikalisch, sondern auch psychologisch. Hier haben wir eine Welt ohne Lebensfaden, die unterbrochen werden konnten; einen Lebensbereich ohne komplizierte Umwelt in empfindlichem Gleichgewicht, das gestort werden konnte. Alles hier auf dem Mond, das uberhaupt dem Menschen nutzt, ist von ihm selber hergestellt. Der Mond ist eine von Grund auf konstruierte Welt ohne jede Historie. Es gibt keine Vergangenheit.'

'Und?'

'Auf der Erde lahmt uns unsere Sehnsucht nach einer pastoralen Vergangenheit, die niemals wirklich existiert hat und die, hatte es sie gegeben, niemals wiedererstehen konnte. In vieler Hinsicht war die Okologie durch die Krise gestort worden, und wir versuchen nun die Uberreste nutzbar zu machen, so da? wir Angst haben, immer nur Angst. ... Auf dem Mond gibt es keine Vergangenheit, nach der man sich sehnen kann oder von der man traumt. Es gibt nur eine Richtung - nach vorn.'

Montez schien von seinen Worten ganz angetan. Er fuhr fort: 'Gottstein, ich habe das alles zwei Jahre lang beobachtet; Sie werden es nun mindestens noch einmal die gleiche Zeit mitansehen. Es gibt ein Feuer hier auf dem Mond; einen unruhigen Brand. Diese Menschen hier breiten sich in jeder Richtung aus. Sie expandieren physisch. Jeden Monat werden neue Korridore gegraben, neue Unterkunfte eingerichtet - Vorbereitungen fur neues Bevolkerungspotential. Sie erweitern auch ihre Moglichkeiten. Sie finden neue Baumaterialien, neue Wasserquellen, neue besondere Mineralien. Sie erweitern ihre sonnengetriebenen Batterienbanke, vergro?ern ihre elektronischen Fabriken... Ich nehme an, Sie wissen, da? die zehntausend Leute hier auf dem Mond der irdische Hauptlieferant fur mikroelektronische Gerate und feine Biochemikalien sind?'

'Ich wei?, da? sie ein wichtiger Lieferant sind.'

'Die Erde macht sich da etwas vor. Der Mond ist der Hauptlieferant. Wenn es so weitergeht, wird er in naher Zukunft auch der einzige Lieferant sein... Nicht zuletzt wachst er auch intellektuell. Gottstein, ich kann mir vorstellen, da? es keinen klugen, an der Wissenschaft interessierten jungen Mann gibt, der nicht unbestimmt - oder vielleicht gar nicht so unbestimmt -davon traumt, eines Tages auf den Mond zu gehen. Da die Erde sich von der Technologie zuruckzieht, ist der Mond in diesem Punkte plotzlich zum Zentrum aller Aktivitat geworden.'

'Sie meinen das Protonensynchrotron, nicht wahr?'

'Das ist nur ein Beispiel. Wann ist auf der Erde zum letztenmal ein Synchrotron gebaut worden? Allerdings ist es auch das gro?te und dramatischste Beispiel; nicht das einzige und nicht einmal das wichtigste. Wenn Sie den wichtigsten wissenschaftlichen Apparat hier auf dem Mond kennenlernen wollen..'

'Etwas so Geheimes, da? ich es noch nicht wei??'

'Nein, etwas so Offensichtliches, da? es niemand zu merken scheint. Ich meine die zehntausend Gehirne hier. Die zehntausend besten Menschengehirne, die es uberhaupt gibt. Die einzige lose verknupfte Gruppe von zehntausend menschlichen Gehirnen, die dem Prinzip und ihrer Einstellung nach der Wissenschaft zugewandt sind.'

Gottstein bewegte sich unruhig und versuchte seinen Stuhl herumzurucken. Der war jedoch am Boden festgeschraubt und ruhrte sich nicht von der Stelle; allerdings wurde Gottstein durch die Bewegung in die Hohe gewirbelt. Gottstein errotete. 'Es tut mir leid.'

'Sie werden sich an die Schwerkraft schon gewohnen.'

'Stellen Sie die Lage nicht viel schlimmer dar, als sie wirklich ist?' fragte Gottstein. 'Die Erde ist auch kein ganz unwissender Planet. Wir haben die Elektronenpumpe entwickelt. Sie ist eine rein terrestrische Errungenschaft. Ein Lunarier hatte damit nichts zu tun.'

Montez schuttelte den Kopf und murmelte einige Worte in seiner spanischen Muttersprache, Worte, die nicht gerade freundlich klangen. Dann fragte er: 'Sind Sie jemals Frederick Hallam begegnet?'

Gottstein lachelte: 'Ja, das bin ich allerdings. Der Vater der Elektronenpumpe. Ich glaube, er hat sich diesen Titel auf die Brust tatowieren lassen.'

'Die Tatsache, da? Sie lacheln und diese Bemerkung machen, beweist doch, da? ich recht habe. Mal ganz ehrlich: Hatte ein Mann wie Hallam die Elektronenpumpe tatsachlich zeugen konnen? Der gedankenlosen Masse genugt die Geschichte, aber es ist und bleibt doch eine Tatsache - und Sie wissen das sicher auch, wenn Sie schon daruber nachgedacht haben , da? es fur die Elektronenpumpe uberhaupt keinen Vater gibt. Die Paramenschen, die Wesen im Parauniversum, wer immer sie sind und wie immer sich ihr Universum au?ert, haben sie erfunden. Hallam wurde nur zufallig zu ihrem Instrument. Die ganze Erde ist ihr Werkzeug.'

'Wir waren aber klug genug, aus ihrer Initiative Kapital zu schlagen.'

'Ja, so wie die Kuhe klug genug sind, das Heu zu fressen, das wir ihnen vorlegen. Die Pumpe ist kein Zeichen dafur, da? der Mensch vorwartsstrebt. Ganz im Gegenteil.'

'Wenn die Pumpe ein Ruckschritt ist, dann ein Hoch auf den Ruckschritt. Ich personlich wurde ungern darauf verzichten.'

'Wer wurde das schon? Es geht aber darum, da? sie im Augenblick genau in die Stimmung da unten pa?t. Unendliche Energie bei minimalstem Kostenaufwand fur die Wartung der Anlagen und bei absoluter Umweltsauberkeit. Aber es gibt keine Elektronenpumpen auf dem Mond.'

'Ich wurde meinen, da? hier auch kein Bedurfnis besteht', entgegnete Gottstein. 'Die Sonnenbatterien reichen vollauf. Auch hier unendliche, kostenlose, saubere Energie... das sind doch die Schlagworte?'

'Ja, allerdings, doch die Sonnenbatterien sind ganzlich vom Menschen hergestellt. Darauf will ich ja hinaus. Auch fur den Mond war eine Elektronenpumpe vorgesehen; man versuchte sie zu installieren.'

'Und?'

'Es klappte nicht. Die Paramenschen nahmen das Wolfram nicht an. Nichts geschah.'

'Das wu?te ich nicht. Warum nahmen sie es nicht?'

Montez hob Schultern und Augenbrauen. 'Wie kann man das wissen? Man konnte etwa vermuten, da? die Paramenschen auf einer Welt ohne Satelliten leben, da? sie sich daher verschiedene Welten, von denen jede auch bevolkert ist, auf so kurze Entfernung gar nicht vorstellen konnen, so da? sie, nachdem sie auf die eine gesto?en waren, nach der zweiten gar nicht erst Ausschau hielten. Wer will das wissen? Tatsache ist jedenfalls, da? die Paramenschen nicht angebissen haben und wir allein absolut nichts unternehmen konnten.'

'Wir allein', wiederholte Gottstein nachdenklich. 'Damit meinen Sie die Erdmenschen?'

'Ja.'

'Und die Lunarier?'

'Die hatten nichts damit zu tun.'

'Waren sie daran interessiert?'

'Ich wei? es nicht. Hierauf grundet sich ja auch in der Hauptsache meine Unsicherheit - und meine Angst.

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