Konrad Gottstein war erst vierunddrei?ig und sah womoglich noch junger aus. Er hatte ein breites, rundes, gro?flachiges Gesicht - die Art Gesicht, die man bei den Lunariern nicht zu sehen bekam, wie sie hier aber auf jeder Erdchen-Karikatur zu sehen war. Er war nicht sonderlich fullig von Gestalt - es hatte keinen Sinn, schwere Manner auf den Mond zu schicken , und sein Kopf machte den Eindruck, als ware er zu gro? fur den Korper.
Er sagte (und er sprach die Planetarische Standardsprache mit einem merklich anderen Akzent als Montez): 'Das klingt ja fast wie eine Rechtfertigung.'
'Ist es auch', erwiderte Montez. Wahrend Gottsteins Gesicht durch und durch gutmutig wirkte, gewann Montez' Gesicht mit seinen langen dunnen Linien fast tragikomische Zuge. 'Und zwar in doppelter Hinsicht. Ich bedaure es, den Mond zu verlassen, da er eine attraktive, erregende Welt ist. Und ich bedau-re mein Bedauern; ich bin beschamt, da? es mir widerstrebt, die Burde der Erde wieder auf mich zu nehmen - die Schwerkraft und alles andere.'
'Ja, ich kann mir vorstellen, da? es nicht leicht ist, die anderen funf Sechstel wieder hinzunehmen. Ich bin erst ein paar Tage auf dem Mond, und das eine Sechstel gefallt mir schon ausgezeichnet.'
'Das wird sich andern, wenn die Verstopfung einsetzt und Sie von Rizinus leben', seufzte Montez, 'aber es geht vorbei... Und bilden Sie sich bitte nicht ein, die Gazelle spielen zu konnen, nur weil Ihnen so leichtfu?ig zumute ist. Die Sache ist eine Kunst.'
'Das habe ich schon mitbekommen.' 'Sie glauben, da? Sie es mitbekommen haben, Gottstein. Haben Sie schon einmal ein Kanguruh laufen sehen?'
'Im Fernsehen.'
'Das gibt Ihnen noch nicht das richtige Gefuhl. Sie mussen es selbst versuchen. Das ist namlich die beste Art, eine ebene Mondflache mit gro?tmoglicher Geschwindigkeit zu uberqueren. Die Fu?e bewegen sich gemeinsam nach hinten und sto?en Sie hoch - etwas, das auf der Erde ein einfacher Sprung ware. Wahrend Sie in der Luft sind, bewegen sich die Beine nach vorn, fahren aber schon wieder nach hinten, ehe sie den Boden beruhren, und halten Sie auf diese Weise oben - und so weiter. Bei der niedrigen Schwerkraft erscheint der Vorgang sehr langsam, aber mit jedem Sprung legt man uber sechs Meter zuruck, und es ist nur sehr wenig Muskelkraft erforderlich, um den Korper in der Luft zu halten - wenn es da Luft gabe. Es ist, als ob man fliegt...'
'Haben Sie's schon versucht? Konnen Sie es?'
'Ich habe es versucht, aber im Grunde bringt es kein Erdenburger fertig. Ich habe bis zu funf Sprunge hintereinander geschafft was ausreicht, um einen auf den Geschmack zu bringen , aber dann kommt die unweigerliche Fehlberechnung, eine Nachlassigkeit des korperlichen Ablaufs, und man uberschlagt sich und gleitet einige hundert Meter weit dahin. Aber die Lunarier sind hoflich und lachen Sie niemals aus. Naturlich fallt ihnen selbst das Laufen leicht. Sie erlernen es muhelos schon im jungsten Alter.'
'Es ist ja auch ihre Welt', sagte Gottstein und lachte leise. 'Uberlegen Sie nur mal, wie sie sich auf der Erde anstellen wurden.'
'Undenkbar. Sie konnen nicht auf die Erde. Das mag ein Vorteil fur uns sein. Wir konnen uns sowohl auf dem Mond als auch auf der Erde bewegen. Sie sind an den Mond gefesselt.
Wir vergessen das leicht, weil wir die Lunarier oft mit den Immis verwechseln.'
'Womit?'
'So werden hier die Immigranten von der Erde genannt; jene Menschen, die mehr oder weniger standig auf dem Mond leben, die jedoch auf der Erde geboren und gro?gezogen wurden. Die Immigranten konnen naturlich zur Erde zuruckkehren, aber die richtigen Lunarier haben weder die Knochen noch die Muskeln fur die irdische Schwerkraft. In der Geschichte des Mondes hat es darum schon einige Tragodien gegeben.'
'Oh?'
'Ja. Leute, die mit ihren mondgeborenen Kindern zuruckkehrten. Wir hatten diese Opfer schnell vergessen. Wir hatten auf der Erde immerhin unsere Krise, und angesichts der gewaltigen Verluste im spaten zwanzigsten Jahrhundert und in den folgenden Jahren waren ein paar sterbende Kinder nicht weiter wichtig. Hier auf dem Mond jedoch erinnert man sich an jeden Lunarier, der der Erdschwerkraft zum Opfer fiel.'
Gottstein runzelte die Stirn. 'Ich glaubte, ich ware wirklich gut vorbereitet, aber es sieht so aus, als hatte ich noch viel zu lernen.'
'Auf der Erde la?t sich unmoglich alles uber den Mond erfahren. Ich habe Ihnen daher einen vollstandigen Bericht hinterlassen - wie es auch schon mein Vorganger tat. Sie werden den Mond bestimmt faszinierend finden und in mancher Beziehung auch unmoglich. Ich bezweifle, da? Sie auf der Erde schon mit lunarischer Nahrung in Beruhrung gekommen sind; wenn Sie also nur durch Beschreibungen darauf vorbereitet sind, stehen Ihnen noch einige Uberraschungen bevor... Aber Sie werden es lernen mussen, das Zeug zu mogen. Es macht nur boses Blut, wenn man Dinge von der Erde heraufbringen la?t. Wir mussen schon mit den ortlichen Lebensmitteln und Getranken vorliebnehmen.'
'Wenn Sie zwei Jahre lang durchgehalten haben, werde ich es auch uberleben.'
'Es hat durchaus Unterbrechungen gegeben. In regelma?igen Abstanden bin ich auf der Erde gewesen. Das mu? sein, ob man will oder nicht. Ich bin sicher, man hat Ihnen die Grunde erklart.'
'Ja', erwiderte Gottstein.
'Trotz der Gymnastik, die Sie hier vielleicht treiben, mussen Sie sich von Zeit zu Zeit der vollen Schwerkraft aussetzen, um Ihre Knochen und Muskeln mal merken zu lassen, wie das so ist. Und bei dieser Gelegenheit schlagen Sie sich auch richtig voll. Gelegentlich wird auch etwas mit heraufgeschmuggelt.' 'Mein Gepack wurde naturlich sorgfaltig untersucht', sagte Gottstein. 'Aber es stellte sich heraus, da? da in meiner Manteltasche noch eine Dose Cornedbeef war, die ich ubersehen hatte. Die Lunarier ebenfalls.'
Montez lachelte. 'Und Sie wollen mir jetzt anbieten, die Dose mit Ihnen zu teilen?'
'Nein', antwortete Gottstein verstandnisvoll und krauselte seine Knopfnase. 'Ich wollte Ihnen mit aller tragischen Vornehmheit, die mir zu Gebote stand, die Dose anbieten und sagen: 'Hier, Montez, nehmen Sie alles! Ihre Not ist gro?er denn die meine!' '
Montez lachte und wurde wieder ernst. Er schuttelte den Kopf. 'Nein. Nachste Woche kann ich essen, soviel ich will. Sie aber nicht. In den kommenden Jahren werden Sie nur wenige gute Bissen vorgesetzt bekommen und wurden Ihre heutige Gro?zugigkeit zu sehr bedauern. Behalten Sie die Dose ruhig ... ich bestehe darauf. Ich wurde mir nur ex post facto ihren Ha? zuziehen.'
Er schien es ernst zu meinen. Er hatte Gottstein die Hand auf die Schulter gelegt und schaute ihm in die Augen. 'Au?erdem mochte ich noch etwas mit Ihnen besprechen, das ich so lange hinausgeschoben habe, weil ich nicht recht wei?, wie ich es
Ihnen beibringen soll. Das Fleisch ware nur eine Entschuldigung, weiter darum herumzureden.'
Gottstein steckte die Dose sofort weg. Seine Stimme war ernst und gemessen, als er sagte: 'Gibt es etwas, das Sie in Ihren Depeschen nicht erwahnen konnten, Montez?'
'Es gibt da etwas, das ich deutlich zu machen suchte, Gottstein, aber da ich nicht recht wu?te, wie ich es formulieren sollte und die Erde mich nicht begreifen wollte, lief es darauf hinaus, da? wir einfach keinen Kontakt fanden. Vielleicht geht es Ihnen da besser. Ich hoffe es jedenfalls. Einer der Grunde, warum ich nicht um eine Verlangerung hier oben gebeten habe, ist die Tatsache, da? ich dieses Unvermogen nicht langer verantworten kann.'
'Das hort sich aber sehr ernst an.'
'Ich wunschte, ich konnte Ihnen die wirkliche Tragweite verstandlich machen. Ehrlich gesagt klingt es wie dummes Geschwatz.
Es gibt etwa zehntausend Menschen in der Lunar-Kolonie. Weniger als die Halfte sind eingeborene Lunarier. Ihre Moglichkeiten sind gering, sie haben wenig Platz, sie stehen einer unfreundlichen Umwelt gegenuber - und doch... und doch...'
'Und doch?' fragte Gottstein aufmunternd.
'Es geht etwas vor hier oben - ich wei? nicht genau was , das gefahrlich werden kann.'
'Inwiefern kann es gefahrlich werden? Was konnten sie tun? Einen Krieg gegen die Erde anzetteln?' Gottsteins Mundwinkel zuckten am Rande eines Lachelns.
'Nein, nein, die Sache geht tiefer.' Montez legte die Hande vor das Gesicht und rieb sich ungeduldig die Augen. 'Ich mochte offen sein. Die Erde hat ihren Schwung verloren.'
'Was soll das hei?en?'
'Nun, wie wurden Sie es nennen? Etwa zu der Zeit, da die Lunar-Kolonie gegrundet wurde, erlebte die Erde