'O wirklich? Da bin ich wohl ziemlich verschwenderisch gewesen. Hab Geduld.'
'Irgendwelche Probleme heute?'
Selene zuckte die Achseln. 'Nein. Alles ganz normal. Das Ubliche - man sieht, wie sie unsicher dahinschwanken, wie sie so tun, als ob ihnen das Essen nicht zuwider ist, und man wei?, sie uberlegen, ob man nicht von ihnen verlangen wird, die Kleidung abzulegen. ... Ekelerregende Vorstellung.'
'Wirst du etwa prude auf deine alten Tage?' Er stellte die beiden kleinen Tassen auf den Tisch.
'In diesem Falle ist Pruderie durchaus angebracht. Die Erd-chen sind faltig, schwabbelig, unformig und voller Bazillen.
Quarantanevorschriften hin, Quarantanevorschriften her - sie sind voller Bakterien... Was gibt's bei dir Neues?'
Barron schuttelte den Kopf. Fur einen Lunarier war er ziemlich schwer gebaut, und bis auf ein verdrossenes Verengen seiner Augen, das er sich angewohnt hatte, waren seine Zuge ganz ebenma?ig. Selene fand ihn bemerkenswert gutaussehend.
'Nichts Besonderes', sagte er. 'Wir warten noch immer auf den Nachfolger des Hochkommissars. Mal sehen, wie dieser Gottstein ist.'
'Kann er Schwierigkeiten machen?'
'Keine, die wir nicht schon kennen. Was konnen sie schon unternehmen? Sie konnen uns nicht unterwandern. Ein Erdchen la?t sich nicht als Lunarier ausgeben.' Er machte trotzdem nicht den zufriedensten Eindruck.
Selene nippte an ihrem Kaffee und blickte ihn schrag von der Seite an. 'Es mag Lunarier geben, die im Geiste Erdchen sind.'
'Ja, und ich wurde gern ihre Namen wissen. Manchmal glaube ich niemandem mehr trauen zu konnen, nicht ein-mal...Na ja. Ich verwende unglaublich viel Zeit auf mein Synchrotron-Projekt und komme nicht weiter. Ich habe kein Gluck mit meinen Prioritaten.' 'Wahrscheinlich trauen sie dir nicht, und das kann ich ihnen nicht einmal ubelnehmen. Wenn du nur nicht so geheimnisvoll herumschleichen wurdest.'
'Nichts dergleichen! Es ware mir eine Freude, dem Synchrotron den Rucken zu kehren und mich dort nie wieder blicken zu lassen, aber dann wurden sie noch wirklich mi?trauisch . .. Wenn du so mit dem Wasser geplanscht hast, Selene, haben wir wohl nicht genug fur eine zweite Tasse, oder?'
'Nein. Und wo du schon davon anfangst - du hast mir ganz schon geholfen. In der letzten Woche hast du zweimal hier geduscht.'
'Ich gebe dir einen Wasserkredit. Ich wu?te ja gar nicht, da? du mitrechnest.'
'Ich rechne nicht - der Wasserstandsanzeiger tut's!'
Sie leerte ihre Tasse und starrte nachdenklich hinein. 'Sie verziehen immer das Gesicht beim Trinken. Die Touristen, meine ich. Ich kann mir einfach nicht denken, warum. Schmeckt doch ganz ordentlich. Hast du schon mal Erdkaffee getrunken, Barron?'
'Nein', erwiderte er kurz.
'Ich aber. Einmal. Ein Tourist hatte ein paar Pakete sogenannten Pulverkaffee heraufgeschmuggelt. Er bot mir davon im Austausch gegen du-wei?t-schon. Schien es fur ein gutes Angebot zu halten.'
'Und du hast welchen getrunken?'
'Ich war neugierig. Er schmeckte bitter und metallisch. Gefiel mir ganz und gar nicht. Dann sagte ich ihm, da? Rassenmischung gegen die lunarischen Gesetze verstie?e, und da wurde er auch ganz bitter und metallisch.'
'Das hast du mir ja noch gar nicht erzahlt. Er hat doch nicht etwa versucht...'
'Das geht dich doch wohl kaum etwas an. Aber nein, er hat nichts versucht. Es ware auch die falsche Schwerkraft fur ihn gewesen, und ich hatte ihn von hier bis in Korridor i hinuntergesto?en. Oh. Ich habe heute ein anderes Erdchen an Land gezogen', fuhr sie fort. 'Er wollte unbedingt bei mir am Tisch sitzen.'
'Und was bot er dir fur das Pimpern, das du so zartfuhlend mit du-wei?t-schon umschreibst?'
'Er sa? einfach nur da.'
'Und starrte deine Bruste an?'
'Dazu sind sie da - aber das hat er gar nicht getan. Er starrte auf mein Namensschild... Was kummern dich au?erdem seine Gedanken? Die Phantasie ist frei, und ich brauche seine Traume ja nicht wahr werden zu lassen. Was, meinst du, wunsche ich mir denn? Mit einem Mann von der Erde ins Bett zu gehen? Mit all dem Brimborium, das man von jemandem erwarten mu?, der sich in einer fremden Schwerkraft bewegt? Ich will ja nicht behaupten, da? es das noch nie gegeben hat, aber nicht mit mir, und etwas Gutes habe ich auch noch nicht daruber gehort. Ist das also erledigt? Kann ich wieder auf den Mann zuruckkommen? Der fast funfzig ist? Und der offenbar schon mit zwanzig nicht besonders gut aussah... Allerdings eine interessante Erscheinung, das mu? ich ihm zubilligen.'
'Schon gut, ich brauche deine Beschreibung nicht. Was ist denn mit ihm?'
'Er fragte nach dem Protonensynchrotron.'
Neville fuhr auf, ein wenig schwankend, wie es nach einer schnellen Bewegung in der niedrigen Schwerkraft fast unvermeidlich war. 'Was wollte er denn daruber wissen?'
'Nichts. Warum bist du so aufgeregt? Du hast mich gebeten, dich uber alles zu unterrichten, was mir bei den Touristen irgendwie auffallt - und das schien mir absonderlich genug. Bisher hat sich noch keiner nach dem Protonensynchrotron erkundigt.'
'Schon gut.' Er schwieg einen Augenblick und fuhr mit normaler Stimme fort. 'Warum interessiert er sich fur das Synchrotron?'
'Ich habe nicht die geringste Ahnung', antwortete Selene. 'Er fragte mich nur, ob er es sehen konnte. Vielleicht ist er ein Tourist, der sich zufallig auch fur die Wissenschaften interessiert. Kann genausogut sein, da? er nur mein Interesse erwek-ken wollte.'
'Nehmen wir einmal an, das hat er geschafft. Wie hei?t er?'
'Ich wei? es nicht. Ich habe ihn nicht gefragt.'
'Warum nicht?' 'Weil ich kein Interesse an ihm habe. Wie hattest du's gern? Au?erdem zeigt seine Frage, da? er wirklich Tourist ist. Als Physiker wurde er doch nicht fragen - er ware langst dort.'
'Meine liebe Selene', sagte Neville. 'La? dir mal etwas erklaren. Unter den gegebenen Umstanden ist jeder Bursche, der das Protonensynchrotron sehen mochte, interessant genug, da? wir mehr uber ihn wissen mochten. Und warum fragt er ausgerechnet dich'' Mit schnellen Schritten lief er ein paarmal hin und her, als wollte er ein wenig Energie abreagieren. Dann fuhr er fort: 'Du bist doch Expertin fur diesen Unsinn. Findest du ihn interessant?'
'Sexuell?'
'Du wei?t, was ich meine. La? deine Spielchen, Selene!'
Selene antwortete mit deutlichem Widerstreben: 'Er ist interessant, sogar irgendwie aufregend. Ich wei? nicht, warum. Er hat uberhaupt nichts gesagt oder getan.'
'Interessant und aufreizend, soso? Dann triffst du dich noch einmal mit ihm!'
'Um was zu tun?'
'Wie soll ich das wissen? Das ist deine Aufgabe. Stell seinen Namen fest. Versuch alles uber ihn herauszubekommen. Du hast doch Kopfchen, also ube es zur Abwechslung mal ein wenig in nutzlicher Neugier.'
'Na schon', sagte sie, 'Befehl von ganz oben. Schon gut, schon gut.
Schon in der Gro?e unterschied sich die Unterkunft des Hochkommissars nicht von den Wohnraumen anderer Lunarier. Es gab einfach keinen Platz auf dem Mond, nicht einmal fur die terrestrischen Abgesandten; keine luxuriose Verschwendung, nicht einmal als Geste gegenuber dem Heimatplaneten. Auch hatte sich selbst fur die Gro?ten der Erdgeschichte jene uberwaltigend klare Tatsache nicht andern lassen - da? der Mond eine Untergrundwelt mit sehr niedriger Schwerkraft war.
'Der Mensch ist noch immer das Ergebnis seiner Umgebung', seufzte Luis Montez. 'Ich bin nun zwei Jahre auf dem Mond gewesen, und es hat Augenblicke gegeben, da ich gern langer geblieben ware, aber... Die Jahre warten nicht. Ich habe gerade meinen vierzigsten Geburtstag hinter mir, und wenn ich uberhaupt wieder auf die Erde zuruck will, mu? es jetzt geschehen. Warte ich noch langer, gewohne ich mich nicht wieder an die volle Schwerkraft da unten.'