'Warum fangen Sie nicht damit an, indem Sie mich von Zeit zu Zeit ansehen - ohne da? Ihr Blick immer wieder von mir abgleitet, als ware ich mit ol eingerieben? Wie ich sehen kann, schauen Sie doch auch andere Frauen an.'
'Wenn ich Sie ansehe...'
'Dann erscheinen Sie zu interessiert und sind verlegen. Aber wenn Sie mich richtig anschauen, gewohnen Sie sich daran, und dann fallt es Ihnen gar nicht mehr auf. Sehen Sie, ich stelle mich hierhin, und Sie starren mich an. Ich ziehe auch mein Hoschen aus.' Denison stohnte. 'Selene, hier sind uberall Leute, und sie machen sich furchterlich uber mich lustig. Bitte kommen Sie weiter und geben Sie mir Zeit, mich an die Situation zu gewohnen.'
'Gut, aber ich hoffe, es fallt Ihnen auf, da? die entgegenkommenden Leute uberhaupt keine Notiz von uns nehmen.'
'Von Ihnen vielleicht nicht, aber von mir. Sie haben wahrscheinlich noch keine so alt aussehende, mi?gestaltete Person zu Gesicht bekommen.'
'Wahrscheinlich nicht', meinte Selene frohlich, 'aber sie werden sich ihrerseits daran gewohnen mussen.'
Denison wanderte bedruckt weiter; er spurte jedes graue Haar auf der Brust und jedes Zucken seines Bauches. Erst als
der Korridor enger wurde und ihnen nicht mehr so viele Leute entgegenkamen, war er etwas erleichtert.
Er blickte sich neugierig um, und Selenes wohlgeformte Bruste und glatte Schenkel traten etwas in den Hintergrund. Der Korridor schien endlos.
'Wie weit sind wir schon gegangen?' fragte er.
'Sind Sie mude?' Selene war zerknirscht. 'Wir hatten ein Wagelchen nehmen konnen. Ich habe glatt vergessen, da? Sie ja von der Erde sind.'
'So hatte ich mir das erhofft. Kann sich ein Immigrant etwas Schoneres wunschen? Ich bin uberhaupt nicht mude. Na ja, wenigstens kaum. Mir ist nur ein wenig kuhl.'
'Reine Einbildung, Ben', sagte Selene fest. 'Sie bilden sich ein, Ihnen mu?te kalt sein, weil Sie so wenig anhaben. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf.'
'Das ist leicht gesagt', seufzte er. 'Hoffentlich laufe ich wenigstens anstandig.'
'Sehr gut sogar. Ich bringe Sie schon noch zum Kanguruhspringen.'
'Und machen mich auch zum Renngleiter drau?en auf den Hangen. Vergessen Sie nicht, da? ich nicht mehr der Jungste bin. Aber ehrlich - wie weit drau?en sind wir hier schon?'
'Ich wurde sagen, etwa drei Kilometer.'
'O Himmel! Wie viele Kilometer Korridor gibt es denn uberhaupt?'
'Ich furchte, das wei? ich nicht. Die Wohnkorridore machen einen verhaltnisma?ig kleinen Teil des Ganzen aus. Da gibt es die Bergwerksstollen, die geologischen Gange, die Industriekorridore, die Pilzkundehohlen... Ich meine, das mu?ten zusammen mehrere hundert Kilometer sein.'
'Haben Sie Karten davon?'
'Naturlich. Wir konnen doch nicht blind arbeiten.'
'Ich meine, Sie personlich?'
'Na ja, nicht hier, aber ich brauche keine Karten fur dieses Gebiet; ich kenne es ziemlich gut. Hier habe ich mich als Kind immer herumgetrieben. Es sind alte Gange. Die meisten neuen Korridore im Durchschnitt kommen in jedem Jahr drei bis vier Kilometer hinzu - liegen im Norden. Dort kame ich ohne Karte nicht zurecht. Vielleicht nicht mal mit Karte.'
'Wohin wollen wir eigentlich?'
'Ich habe Ihnen einen ungewohnlichen Anblick versprochen nein, nicht mich, sprechen Sie es nicht aus! - und den sollen Sie auch bekommen. Es handelt sich um das ungewohnlichste Bergwerk des Mondes, das naturlich au?erhalb der normalen Touristenrouten liegt.'
'Nun sagen Sie nur nicht, Sie hatten Diamanten auf dem Mond.'
'Viel besser.'
Die Korridorwande wirkten roh und unbehauen; graue Felswande, die durch Flecke elektrischer Leuchtfarbe schwach, aber ausreichend beleuchtet wurden. Die Temperatur war angenehm und die Ventilation des Ganges zugfrei. Es war kaum vorstellbar, da? sich etwa zweihundert Meter daruber die Mondoberflache befand, wechselnder Hitze und Kalte ausgesetzt, wahrend die Sonne ihre gewaltige vierzehntagige Wanderung von einem Horizont zum anderen vollfuhrte und dann untertauchte und zuruckkehrte.
'Ist das alles luftdicht?' wollte Denison wissen, dem plotzlich bewu?t wurde, da? ihn nur zweihundert Meter Felsgestein von einem Vakuum trennten, das sich bis in alle Unendlichkeit erstreckte. 'O ja. Die Wande sind dicht. Auch ist alles abgesichert. Wenn der Luftdruck nur um zehn Prozent fallt, werden im betroffenen Korridorteil Sirenen und Alarmglocken ausgelost, die einen unvorstellbaren Larm machen. Dazu blitzen Pfeile und Schilder auf und dirigieren Sie schleunigst in Sicherheit. So etwas haben Sie noch nicht erlebt.'
'Wie oft passiert das denn?'
'Nicht oft. Ich glaube, es ist seit funf Jahren niemand mehr an Luftmangel gestorben.' Dann, abwehrend: 'Auch auf der Erde gibt es Naturkatastrophen! Bei gro?en Erdbeben oder Sturmfluten konnen Tausende umkommen.'
'Ich sage ja gar nichts, Selene.' Er warf die Hande hoch. 'Ich ergebe mich.'
'Gut', sagte sie. 'Ich wollte mich auch gar nicht aufregen. Horen Sie das?'
Sie blieb stehen und lauschte.
Denison folgte ihrem Beispiel und schuttelte den Kopf. Plotzlich sah er sich um. 'Es ist so still. Wo sind die anderen? Sind Sie sicher, da? wir uns nicht verlaufen haben?'
'Wir sind hier nicht in einer naturlichen Hohle mit unbekannten Durchgangen. Die gibt es doch auf der Erde, nicht wahr? Ich habe Aufnahmen davon gesehen.'
'Ja, meistens handelt es sich um Kalksteinhohlen, die durch Wasserstrome gebildet wurden. Aber das durfte es auf dem Mond kaum geben, nicht wahr?'
'Also konnen wir uns auch nicht verirren', erwiderte Selene lachelnd. 'Und da? wir allein sind, konnen wir dem Aberglauben zuschreiben.'
'Dem was?' Denison starrte sie verblufft an, und sein Gesicht verzog sich unglaubig.
'Lassen Sie das', sagte sie. 'Sie bekommen ja uberall Falten. So ist's recht. Glatten Sie Ihr Gesicht. Sie sehen ubrigens viel besser aus als bei Ihrer Ankunft. Das macht die niedrige Schwerkraft und die viele korperliche Bewegung.'
'Und der Versuch, mit nackten jungen Damen Schritt zu halten, die ungewohnlich viel Freizeit haben und erstaunlich wenig anderes zu tun wissen, als in ihrer Freizeit ihrem Beruf nachzugehen.'
'Jetzt behandeln Sie mich wieder als das Touristenmadchen, und ich bin nicht nackt.'
'Na ja, genau genommen ware Nacktheit sogar noch weniger beangstigend als Intuitionismus... Aber was soll Ihre Bemerkung uber den Aberglauben?'
'Kein wirklicher Aberglaube, nehme ich an, aber die meisten Leute aus der Stadt meiden diesen Teil des Korridorkomplexes.' 'Wieso?'
'Wegen der Sache, die ich Ihnen zeigen will.' Sie gingen weiter. 'Horen Sie es jetzt?'
Sie blieb stehen, und Denison lauschte angestrengt. Er fragte: 'Sie meinen das leise klopfende Gerausch? Taptap... Meinen Sie das?'
Mit langsamen Sprungen - die Zeitlupenbewegung eines Lu-nariers, der es nicht sonderlich eilig hat - lief sie voraus. Er folgte ihr und versuchte ihren Gang nachzuahmen. 'Hier... hier...'
Denisons Blick folgte Selenes eifrig ausgestrecktem Finger. 'Himmel', sagte er. 'Wo kommt das her?'
Aus der Wand tropfte etwas - eindeutig Wasser. Ein Tropfen nach dem anderen platschte herab - in eine kleine Keramikwanne, die in die Felswand fuhrte.
'Aus dem Gestein. Wir haben namlich Wasser auf dem Mond. Das meiste konnen wir aus dem Gips herausholen - jedenfalls in ausreichender Menge, da wir sparlich damit umgehen.'
'Ich wei?. Ich wei?. Ich habe bisher noch kein Duschbad zu Ende gebracht. Wie die Lunarier uberhaupt sauber bleiben, kann ich mir nicht vorstellen.'
'Ich hab's Ihnen doch gesagt. Sie mussen sich zuerst benetzen. Dann drehen Sie das Wasser ab und