nicht erwahnen, wenn ihr es so wunscht.«
Eadulf kochte vor Zorn, bezwang sich aber, so gut er konnte.
»Dann konntest du uns, statt da? wir hier in der Kalte der Nacht herumstehen, eure Gasteunterkunft zeigen, damit wir uns waschen und aufwarmen konnen. Denn ich mu? dir sagen, da? wir, was dein Abt auch meint, diese Nacht den Schutz dieses Hauses nicht verlassen werden - jedenfalls nicht, solange der Sturm uns um die Ohren heult.«
Bruder Willibrod neigte den Kopf. Er schien innerlich mit sich zu ringen. Schlie?lich siegte die Logik.
»Ich bringe euch zu den Gastezimmern quer uber den Hof. Macht euch erst einmal frisch. Dann wird der Abt dich sicherlich sprechen wollen, Bruder Eadulf. Er wird wissen wollen, welche Botschaft du fur ihn aus Canterbury hast.«
»Botschaft?« fragte Eadulf verblufft.
»Du bist doch ein Abgesandter von Erzbischof Theodor von Canterbury. Abt Cild wird horen wollen, wozu Theodor dich hergeschickt hat, und dir viele Fragen stellen.«
Eadulf hatte Theodors Namen nur benutzt, um Einla? in die Abtei zu finden, und merkte nun, da? sein Bluff geplatzt war.
»Also, zuerst einmal ...«, setzte er an.
»Zuerst einmal bringe ich euch zu den Gasteraumen«, erklarte Bruder Willibrod rasch, wandte sich um und ging mit schnellen Schritten uber den Hof. Sie mu?ten fast laufen, um mit ihm mitzuhalten. Er bewegte sich mit erstaunlicher Sicherheit fur einen Einaugigen. Sein Tempo war so, da? sie kaum Atem fanden, etwas zu sagen, bis der hochgewachsene
»Wartet hier!« wies er sie an und verschwand im dunklen Inneren des Gebaudes. Gleich darauf kam er mit einer umhullten Kerze zuruck. »Ich leuchte euch.«
Sie schritten durch einen langen, mit Steinplatten belegten Gang. An der ersten Tur hielt Bruder Willi-brod an.
»Du kannst dich in diesem Zimmer waschen und erfrischen, Schwester. Das Feuer brennt schon, und Wasser steht bereit. Einen solchen Raum halten wir immer bereit fur Reisende. Dein Zimmer, Bruder, ist noch nicht fertig. Ich werde einen Bruder beauftragen, darin Feuer zu machen, aber .«
»Wir konnen uns diesen Raum teilen«, sagte Eadulf und wies auf das warme Zimmer, in dem Fidelma jetzt vor dem lodernden Kamin stand.
Bruder Willibrod blickte entsetzt drein. »Ich sagte doch schon, da? dies kein gemischtes Haus ist, und Verbindungen zwischen Monchen und Nonnen sind nicht .«
Fidelma wandte sich um und sagte in der Sprache von Eireann rasch zu Eadulf: »La? uns der Einfachheit halber die Regeln dieses Hauses befolgen, bis wir es wieder verlassen konnen.«
Eadulf pa?te das nicht, doch er mu?te einsehen, da? Fidelma recht hatte. Sie hatten schon genug Probleme und mu?ten keine neuen schaffen.
»Wahrend du dich von der Reise erholst, Fidelma, kummere ich mich um das, was uns hergefuhrt hat.« Dann wandte er sich in Sachsisch an Bruder Willi-brod. »Wahrend mein Zimmer hergerichtet wird, mochte ich gern Bruder Botulf sehen.«
Bruder Willibrods unruhiges Auge weitete sich leicht. »Bruder Botulf?«
»Er ist doch der Verwalter der Abtei, nicht wahr?«
»So wei?t du es also schon?« Willibrod klang uberrascht.
»Ich wei? was?« stutzte Eadulf. Dann sagte er ungeduldig: »Ich mochte Bruder Botulf sofort sehen.«
»Du willst Bruder Botulf sofort die Ehre erweisen?« wiederholte Bruder Willibrod, als habe er Muhe, ihn zu verstehen. Er zogerte einen Moment und meinte dann: »Wenn du darauf bestehst, Bruder ...?«
»Ja, das tue ich«, fauchte Eadulf, gereizt durch das seltsame Verhalten des anderen.
»Also komm mit, Bruder Eadulf.«
Mit einem ratlosen Blick zu Fidelma wandte sich Eadulf um und folgte Bruder Willibrod zuruck uber den tief verschneiten Hof. Die Abtei lag fast vollig im Dunkeln. Nur wenige Lichter blinkten hier und dort, doch es war niemand zu sehen. Die Gebaude schienen wie verlassen.
Bruder Willibrod ging voran durch eine uberwolbte Tur in einen Raum, der offensichtlich der Vorraum der Kapelle war, schuttelte drinnen den Schnee von den Sandalen und lie? Eadulf nachkommen. Eadulf hatte kaum Zeit, sich vom Schnee zu befreien, da ri? Bruder Willibrod die innere Tur auf und trat ein.
Der Geruch von warmem, muffigem Weihrauch verschlug Eadulf beinahe den Atem, so sehr stach er von der frischen, kalten Luft drau?en ab. Der
Unwillkurlich machte Eadulf es ihm nach und fragte sich, wohin er wohl gefuhrt wurde. Dann blieb er plotzlich stehen. Sein Herz schlug schneller.
Vor dem Hochaltar stand auf zwei Bocken eine einfache Holzkiste. An ihren beiden Schmalseiten brannte je eine Kerze in einem hohen Kerzenstander. Ihre Flammen flackerten in der Zugluft, die durch die Kapelle wehte, und wurden beinahe ausgeloscht.
Auf einmal schien der Wind zu ersterben, sein Fauchen senkte sich zu einem klagenden Flustern. Von Furcht gepackt, lie? sich Eadulf von Bruder Willibrod an die Holzkiste fuhren. Er hatte schon erkannt, da? es ein Sarg war.
Bruder Willibrod trat zur Seite und blieb mit gesenktem Blick stehen. Eadulf schaute den
Er trat an den Sarg und blickte hinein.
Wie er gefurchtet hatte, ruhte darin der Leichnam seines Freundes Bruder Botulf, die Hande auf der Brust gefaltet, ein holzernes Kruzifix in seinem leblosen Griff. Er trug schon die Grabkleidung. Eadulf zwang sich dazu, sich niederzubeugen und das blutleere Gesicht seines toten Freundes aus der Kindheit anzuschauen.
Man brauchte keine besonderen medizinischen Kenntnisse, um festzustellen, da? Bruder Botulfs Schadel mit einem schweren, stumpfen Gegenstand eingeschlagen worden war. Eadulf wu?te, da? eine solche Wunde nur von jemandem zugefugt werden konnte, der in boser Absicht handelte. Sein Freund war ermordet worden, und seit der Tat konnten hochstens ein paar Stunden vergangen sein.
In dem Moment erhob sich der Wind erneut und kreischte wie ein Chor gepeinigter Seelen; er heulte, als wolle er Ubeltaten vorhersagen.
Kapitel 3
»Du bist gerade zur rechten Zeit gekommen, Bruder«, versicherte ihm Bruder Willibrod leise.
»Zur rechten Zeit?« murmelte Eadulf verwirrt und starrte auf den Leichnam seines Kindheitsfreundes. »Wie meinst du das -
»Wir begraben die sterblichen Uberreste unseres lieben Bruders um Mitternacht, wie es der Brauch der Abtei vorsieht.«
»Um Mitternacht!«
Eadulf fuhr herum und schaute Bruder Willibrod entgeistert an. In seiner Botschaft hatte sein Freund ihn eindringlich gebeten, er solle an diesem Tage vor Mitternacht in der Abtei sein. Sollte Botulf gewu?t haben .? Doch wohl nicht?
»Du scheinst uberrascht, Bruder Eadulf«, sagte Bruder Willibrod ruhig und erwiderte Eadulfs besorgten Blick. »Ich habe gehort, da? es in vielen Landern ublich ist, die teuren Verstorbenen um Mitternacht zu begraben. Warum siehst du so verstort aus?«
Eadulf bemuhte sich, seine wirbelnden Gedanken zu beruhigen. Er wandte sich rasch wieder dem Leichnam zu, denn er wollte seine Gefuhle nicht verraten, ehe er nicht Antworten gefunden hatte, und begann die Wunden mit sorgfaltigem Blick zu untersuchen.
»Botulf beging doch wohl nicht Selbstmord?« Die Frage hatte sich ihm zuerst gestellt als Antwort auf das Drangen seines Freundes, er solle vor Mitternacht in Aldreds Abtei sein. Er verwarf den Gedanken jedoch im selben Moment, in dem er ihn aussprach, denn die Wunden konnte sich Bruder Botulf unmoglich selbst zugefugt