von ihr angesprochen zu werden.
»Du brauchst dich nicht zu beunruhigen«, versicherte ihm Fidelma.
»Der Abt ...«, setzte der Junge an. Dann machte er den Mund fest zu.
»Wir haben schon gehort, da? dem Abt Frauen in der Abtei nicht willkommen sind«, antwortete Fidelma ernst. »Mach dir keine Sorgen, du wirst keinen Arger bekommen, nur weil du deinen Dienst tust.«
Der Junge nickte rasch. »Dann gehe ich jetzt an meine Arbeit, Schwester.«
Er war bereits aus der Tur, als Eadulf ihn mit einer scharfen Frage zuruckholte.
»Kanntest du Bruder Botulf?«
Der Junge wandte sich schnell um. Seine Miene war beinahe angstvoll, und einen Moment schaute er Eadulf voll ins Gesicht, dann senkte er wieder den Blick.
»Jeder kannte Bruder Botulf. Er war der Verwalter der Abtei und war schon dabei, als sie gegrundet wurde. Er war einer der Begleiter des heiligen Aldred, dessen Gebeine hinter dem Hochaltar in der Kapelle ruhen. Unsere Abtei ist nach ihm benannt.«
»Kanntest du Bruder Botulf gut?«
»Bruder Botulf war nett zu mir.«
»Ist nicht jeder hier nett zu dir?« fragte Fidelma sanft.
Bruder Redwald seufzte, sah sie aber nicht an und gab keine Antwort.
»Wei?t du, was mit Bruder Botulf geschah? Ich meine, wie er getotet wurde?« drangte ihn Eadulf.
Der Junge schuttelte den Kopf, ohne Eadulf anzusehen. »Sein Leichnam wurde heute fruh gefunden. Es hei?t, jemand sei in die Abtei eingebrochen, um etwas aus der Kapelle zu stehlen, und Bruder Botulf habe ihn entdeckt. Der Dieb hat ihn erschlagen.«
»Was wurde denn gestohlen?« erkundigte sich Fidelma .
»Gestohlen wurde nichts. Ich horte, wie Bruder Willibrod sagte, da? Bruder Botulf den Diebstahl verhindert hat und der Morder mit leeren Handen floh.«
»Die Abtei sieht aus wie eine Festung, in die la?t sich wohl nicht so leicht einbrechen«, bemerkte Eadulf. »Hast du gehort, wer der Dieb war?«
Der Junge verzog das Gesicht, als lehne er alle Verantwortung ab. »Es soll einer aus der Bande von Geachteten gewesen sein, die im Moor lebt. Die mogen keine Monche. Ich horte, wie Abt Cild ihrem Anfuhrer die Schuld am Tod Bruder Botulfs gab und erklarte, er werde ihn bestrafen.«
»Wie hei?t ihr Anfuhrer?« fragte Eadulf.
»Sein Name ist Aldhere. Jetzt la? mich bitte an meine Arbeit gehen, Bruder.«
Eilig verlie? er den Raum. Sie horten, wie er nebenan Feuerholz aufschichtete.
Fidelma nieste zweimal.
»Reich mir das hei?e Getrank, Eadulf«, bat sie sanft. »Vielleicht erwarmt mich das.«
»Irgend etwas stimmt hier nicht«, meinte Eadulf nachdenklich und gab ihr den Becher. »In dieser Abtei herrscht eine merkwurdige Stimmung, die mir nicht gefallt. Sie ist irgendwie sehr belastend. Spurst du das auch?«
Fidelma lachelte dunn. »Ich wurde sagen, da? der Tod deines Freundes schon belastend genug ist.«
»Das meine ich nicht. Ich trauere um ihn, aber starker als meine Trauer ist mein Bestreben, die Umstande seines Todes aufzuklaren.«
Fidelma nippte an ihrem Getrank und schaute ihn besorgt an. »Was soll es sonst sein als ein Zufall, da? er dich aufgefordert hat, vor Mitternacht hier zu sein?«
»Vor Mitternacht«, wiederholte Eadulf mit Betonung, »und dann stelle ich fest, da? dies die Stunde ist, in der sein Leichnam zur Ruhe gebettet werden soll. Ist das ein Zufall? Warum wollte er, da? ich genau zu der Zeit hier eintreffen sollte?«
»Ein paar diskrete Erkundigungen konnten uns kluger machen«, meinte Fidelma.
Eadulf schien nicht begeistert. »Viel hangt davon ab, ob der Abt hier mir auch erlaubt, diese Erkundigungen einzuziehen. Nach Bruder Willibrods Worten glaube ich nicht, da? man uns zu einem langeren Aufenthalt einladt.«
Fidelma mu?te wieder niesen.
»Ich hoffe, ich habe mir auf dieser anstrengenden Reise keine Erkaltung geholt«, murmelte sie. Dann fugte sie hinzu: »Abt Cild scheint nicht viel Nachstenliebe zu besitzen, wenn Bruder Willibrod ihn richtig beschrieben hat. Hast du schon uberlegt, wie es weitergehen soll, wenn man uns zur Abreise auffordert?«
Eadulf schuttelte den Kopf. »Wir konnen nur nach Seaxmund’s Ham gehen, naher finden wir keine Unterkunft.«
»Nun, ehrlich gesagt, ich ware nicht traurig, wenn wir diese Abtei verlassen, Eadulf. Ich bin nicht nur korperlich unterkuhlt, ich war selten an einem Ort, der so eisig auf meine Seele wirkte.«
In diesem Moment wurde an die Tur geklopft, und der einaugige Bruder Willibrod trat ein. Er sah beunruhigt und besorgt aus.
»Abt Cild mochte dich sofort sprechen, Bruder Eadulf. Kommst du mit?«
Eadulf schaute Fidelma entschuldigend an. Sie blickte nicht auf, sondern sa? zusammengekauert am Feuer und hielt den Becher in beiden Handen.
Eadulf folgte Bruder Willibrod durch die dunklen gemauerten Gange der Abtei, bis der
Der Abt sa? am anderen Ende eines langen Eichentischs, auf dem zwei verzierte Kerzenhalter standen, deren flackernde, zischende Talgkerzen ein eigenartiges Licht in dem dusteren Raum verbreiteten. Der Abt wirkte hochgewachsen, wie er da aufrecht in dem geschnitzten Eichensessel sa?, die Handflachen auf der Tischplatte, und aus dunklen Augen vor sich hin starrte.
Der Abt hatte ein langes, blasses Gesicht mit scharfen, ausgepragten Zugen. Die hohe Stirn wurde von langem dunklem Haar umrahmt. Es war ein Gesicht voller energischer Zielstrebigkeit, wie es Eadulf selten bei Geistlichen, haufiger bei Kriegern gesehen hatte. Die Nase war dunn und hatte einen hohen Rucken und seltsam geschwungene Nustern. In den dunklen Augen spiegelte sich das Licht der flackernden Kerzen und lie? sie rotlich glanzen. Die Wirkung war bedrohlich. Der schmale Mund war fest und grausam.
»Man sagt mir, du seist ein Abgesandter von Theodor, dem neuen Erzbischof von Canterbury, und zugleich erblicher
»Ich bin Eadulf von Seaxmund’s Ham.«
»Das gewahrt dir keine besonderen Vorrechte, jedenfalls nicht in meiner Abtei. Anscheinend hast du Bruder Willibrod nicht davon in Kenntnis gesetzt, da? du deinen Rang als
»Vielleicht hat Bruder Willibrod zuviel vermutet. Ich habe jedenfalls den Ausdruck >ich war< benutzt«, entgegnete Eadulf lebhaft. »Und welche besonderen Vorrechte meinst du? Das verstehe ich nicht.«
»Eine Frau in diese Abtei mitzubringen. Meinen
Eadulf errotete vor Zorn. »Meine Reisegefahrtin ist Fidelma von Cashel, die Schwester des Konigs von Muman und eine angesehene Anwaltin in ihrem Land.«
»Sie ist aber nicht in ihrem Land, und dies ist meine Abtei, in der ich die Regeln bestimme.«
»Wenn du aus dem Fenster schaust, wirst du sehen, da? bei diesem Wetter unmoglich jemand seine Reise noch heute fortsetzen kann«, gab Eadulf zuruck.
Der Abt lie? sich nicht beirren.
»Ihr hattet die Reise gar nicht erst antreten sollen, ohne euch zu versichern, ob ihr auch willkommen seid«, erwiderte er ebenso bestimmt.
»Entschuldige. Ich dachte, wer zu einem christlichen Haus kommt, findet auch christliche Nachstenliebe«, antwortete Eadulf spottisch. »Hier ist mein Land und mein Volk, und der Verwalter dieser Abtei war mein Freund, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich hatte nicht erwartet, ein christliches Haus anzutreffen, das eine unbeugsame, mitleidlose und kleinliche Regel aufstellt.«
Der Abt betrachtete ihn mit unveranderter Miene. Er ging nicht auf die Beleidigung ein.
»Du warst langere Zeit im Ausland, habe ich gehort. Du wirst feststellen, da? sich in diesem Land vieles