...«
Eadulf unterbrach sie. »Hab Geduld. Sobald du es vertragen kannst, gebe ich dir einen Uberblick uber die Ereignisse seit unserer Ankunft. Sie sind nicht angenehm.«
Fidelma betrachtete ihn mit einem schwachen Lacheln.
»Es geht mir schon ganz gut«, antwortete sie ruhig. »Erzahl mir, was dich bedruckt.«
Eadulf begann zu berichten, erst langsam, dann mit muhsam beherrschter Bewegung, als er auf die verbohrte Haltung Abt Cilds zu sprechen kam.
Fidelma lag still da und horte ihm zu. Sie brauchte ihn nicht zu unterbrechen, denn Eadulf verstand es, die Ereignisse ausgezeichnet wiederzugeben, ohne eine Einzelheit auszulassen.
Dem Schlu? seiner Erzahlung lauschte sie mit finsterem Gesicht.
»Also soll ich den Angsten dieses seltsamen Abts geopfert werden? Cild hei?t er?«
»Dazu wird es nicht kommen. Ich habe den Plan, dich von hier fortzuschaffen, sobald du dich dazu in der Lage fuhlst.«
Fidelma verzog spottisch das Gesicht.
»Ich glaube, die Vorstellung, mit dem Gesicht nach unten feierlich lebendig begraben zu werden, wird meine Gesundheit sehr schnell verbessern und meinen Elan wieder aufleben lassen.«
Eadulf schaute sie mitfuhlend an. »Der Nachteil liegt darin, da? es nicht mehr schneit und der Himmel klar ist, was bedeutet, da? strenger Frost herrscht. Es wird ein langer Weg, ganz gleich, in welche Richtung wir gehen.«
Fidelma war anscheinend mit den Gedanken woanders, denn sie fragte: »Du bist ganz sicher, da? du diese Frau gesehen hast, die sie fur Gelgeis halten?«
»Absolut sicher«, antwortete Eadulf. »Sie war so wirklich und greifbar wie du und ich.«
»Dann mu? das Offenkundige auch wahr sein. Es gibt eine wirkliche Frau in dieser Abtei. Hat man schon nach ihr gesucht?«
Eadulf lachelte nachsichtig und schuttelte den Kopf.
»Man ist ziemlich in Aufregung wegen der angeblichen Geister. Nur Bruder Higbald, der Apotheker, scheint normal zu sein und sieht die Sache einigerma?en rational.«
»Besteht denn keine Moglichkeit, die Angelegenheit zu untersuchen?« forschte Fidelma.
»Uberhaupt keine. Mit Abt Cild ist nicht leicht umzugehen. Seine Machtstellung hier scheint absolut zu sein. Er hat sich bereits seine Meinung gebildet.«
»Ich habe keine Lust, ein Opfer seiner Furcht und Unwissenheit zu werden. Aber nach dem, was du sagst, Eadulf, verbirgt sich hier ein gro?es Geheimnis. Anscheinend hatte dein Freund Botulf einiges davon entdeckt, und deshalb mu?te er sterben.«
»Bevor diese Geisterfurcht aufkam, wollte ich Garb in Tunstall aufsuchen, wo er sich meiner Meinung nach versteckt halt. Er oder sein Vater konnten vielleicht etwas zur Losung beisteuern.«
Fidelma nickte beifallig. »Eine gute Art des Vorgehens, Eadulf, dem stimme ich zu. Ich werde wohl bald in der Lage sein, mit eigenen Nachforschungen zu beginnen.«
Eadulf hustelte verlegen.
»Was ist, Eadulf? Hast du etwas anderes vor?«
»Ich will dir nur sagen, da? du, abgesehen von allen anderen Uberlegungen, daran denken mu?t, da? du im Land der Angelsachsen bist und da? unbeschadet der Achtung, die dir auf der Synode in Whitby erwiesen wurde, das Gesetz hier deine Autoritat nicht anerkennt.«
»Das verstehe ich.«
»Ich meine damit, da? Frauen bei uns nicht dieselbe Stellung einnehmen wie in deinem Land, Fidelma. Sei vorsichtig, wenn du Leute befragen willst. Man halt es fur unschicklich, wenn Frauen Autoritat ausuben.«
Fidelma verzog das Gesicht. »Ich kann mich nicht verstellen.«
»Ich meine nur, da? du dich umsichtig verhalten solltest.«
»Wenn ich es nicht tue, wirst du mich sicher warnen.« Sie lachelte frohlich.
»Nun, die Klugheit gebietet, da? wir uns vor allem aus der Reichweite des Abts Cild bringen sollten.«
»Aber du willst doch das Ratsel losen, das den Tod deines Freundes umgibt?«
»Das will ich«, versicherte Eadulf mit ruhiger Entschlossenheit.
»Dann werden wir es auch tun. Wenn du mir nun noch einige deiner gra?lichen Aufgusse gegen eine wunde Kehle und gegen Kopfschmerzen brauen kannst, werde ich mich vielleicht bald imstande fuhlen, dich auf dem Weg nach Tunstall zu begleiten.«
Kapitel 10
Der Tag verging fur Eadulf qualend langsam. Fidelma ruhte und schlief die meiste Zeit. Ab und zu schritt Eadulf im Zimmer auf und ab und versuchte damit die Spannung zu mindern, unter der er litt. Nur die Tatsache, da? Bruder Higbald ihm einen Fluchtweg gezeigt hatte, bewahrte ihn davor, da? sein Arger in unbezahmbare Wut umschlug. Bruder Higbald und Bruder Redwald waren die einzigen Besucher im Laufe des Tages. Bei diesen Gelegenheiten war Fidelma wach, stellte sich aber schlafend, wenn sie eintraten, damit ihre fortschreitende Genesung nicht dem Abt Cild gemeldet wurde.
Bruder Redwald, der ihnen die Mahlzeiten brachte, blieb gerade lange genug, um die dampfenden Schusseln mit Bruhe und die Teller mit kaltem Fleisch, Kase und Brot abzustellen oder die leeren Tabletts mitzunehmen. Bruder Higbald war bei seinem Besuch lok-kerer und mitteilsamer, was die Ereignisse in der Abtei anging. Er berichtete Eadulf, da? Abt Cild Vorbereitungen fur das Gericht traf, vor dem Fidelma der Geisterbeschworung angeklagt werden sollte. Der Abt wurde sowohl als Anklager als auch als Richter auftreten. Er hatte Bruder Willibrod gesagt, er gebe Fidelma nur noch einen Tag, sich von ihrer Krankheit zu erholen. Danach habe sie, ganz gleich in welcher Verfassung, vor ihm zu erscheinen und sich zu verantworten. Bruder Higbald riet ihnen nochmals dringend, die Abtei so bald wie moglich zu verlassen.
Eadulf horte aufmerksam zu, nickte zustimmend, doch er legte sich nicht fest. Fidelma hatte ihm empfohlen, sich nicht zu au?ern, niemandem in der Abtei zu trauen, auch nicht Bruder Higbald. Als Eadulf meinte, Bruder Higbald habe sein volles Vertrauen, hatte Fidelma ihn getadelt.
»Unter diesen Umstanden solltest du niemandem trauen. Woher wei?t du, da? er nicht vom Abt geschickt wird, um uns zum Handeln zu verleiten?«
Eadulf befolgte ihren Rat, und als der Apotheker wissen wollte, zu welcher Zeit sie aufbrechen wurden, wich Eadulf aus und meinte, das hange davon ab, wann Fidelma sich hinreichend erholt habe.
Eadulf verbrachte die Nacht in unbequemer Stellung. Er hatte sich entschlossen, in Fidelmas Zimmer zu bleiben und auf dem Stuhl am Feuer zu schlafen. Er nickte immer nur fur eine kurze, unruhige Zeit ein und schaute inzwischen nach Fidelma, die in einem ungestorten Schlummer lag; ihre Temperatur war normal.
Er erwachte schlie?lich, als das graue Morgenlicht ins Zimmer drang. Im Winter kam die Dammerung spat, und nach den Gerauschen ringsum zu urteilen, hatten die Mitglieder der Abtei ihre Morgenandacht bereits beendet und waren bei der Arbeit. Es klang ungewohnlich geschaftig. Dann fiel ihm ein, welcher Tag heute war: der Heilige Abend, der Vorabend der Geburt des Heilands. Er fuhlte sich schuldig, weil er nicht fruher daran gedacht hatte.
Besorgt stand er auf und stellte zu seiner Uberraschung fest, da? Fidelma sich schon gewaschen und angezogen hatte.
»Du mu?t vorsichtig sein«, sagte er ohne Vorrede. »Wenn Abt Cild dich so sahe, wurde er merken, da? du vollstandig genesen bist.«
Eadulf wollte gerade zu dem Wandteppich gehen, um ihn ihr zu zeigen, da klopfte es zaghaft an der Tur. Gleich darauf trat Bruder Redwald ein. Er brachte wie ublich ein Tablett mit Essen.
Er machte gro?e Augen, als er Fidelma aufrecht und angezogen sah.
»Es ist schon, da? du wieder gesund bist, Schwester«, murmelte er verlegen und setzte das Tablett ab.