Lord Sigeric erhob sich, die Hande an den Huften.

»Ich bin ein alter Hund, dem man keine neuen Kunststucke mehr beibringen kann, Eadulf. Ich werde auf meine Art vorgehen, und das ist die Art der Wuf-fingas. Ich habe alles angehort, was du zu sagen hattest. Jetzt werde ich es erwagen und mir mein Urteil bilden.« Er entlie? sie mit einer Handbewegung.

Seine Manner schoben Fidelma und Eadulf hinaus, doch nicht auf grobe Weise. Bruder Willibrod schritt voran und zeigte ihnen die Zelle, die er als ihr Gefangnis vorgesehen hatte.

Als die Tur hinter ihnen zuschlug, standen sie da und musterten den winzigen Raum, in den man sie gebracht hatte. Er war nicht mehr als zwei Schritte breit und drei Schritte lang und gerade so hoch, da? man aufrecht darin stehen konnte. An einem Ende befand sich ein kleines vergittertes Fenster, durch das man weiter nichts als ein Stuck Himmel sah. Das ganze Mobiliar bestand aus einem Bett und einem Schemel. Die Zelle war eiskalt.

»Na«, seufzte Eadulf und sank auf den Schemel, »unsere Muhe hat kaum jemandem genutzt.« Es klang verbittert.

Fidelma dachte nicht daran, mit dem Jammern uber ein Mi?geschick viel Zeit zu vergeuden. Sie trat zum Fenster und schaute hinaus.

»Die Zeit ist schnell vergangen«, murmelte sie. »Mul mu? uns schon lange aufgegeben haben. Die Dammerung bricht bereits herein.«

»Mein Magen hat mir auch gesagt, da? es spat ist«, beklagte sich Eadulf.

Fidelma kam zuruck und betrachtete die winzige Zelle.

»Ich nehme an, das war einmal die Zelle eines einzelnen Bruders. Der Raum reicht kaum fur zwei, und das Bett ist sehr schmal.« Sie buckte sich, schaute darunter und wandte sich angeekelt ab. »Ich hoffe, wir bleiben hier nicht lange eingesperrt.«

Eadulf sah ihr trubsinnig zu.

»Sigeric war unsere einzige Chance«, sagte er zornig, »und er hort dich nicht einmal an. Blindes Vorurteil kann ich das nur nennen.«

Zu seiner Uberraschung schuttelte Fidelma den Kopf.

»Er handelte nach seinem Gewissen. Du kannst nicht verlangen, da? er mehr tun sollte«, antwortete sie. Sie regte sich nicht auf.

»Du willst doch wohl nicht sagen, da? du sein Vorgehen unterstutzt?« Eadulf war entgeistert uber ihre scheinbare Passivitat.

»Versetz dich in seine Lage, Eadulf. Was hattest du denn anders gemacht?«

»Ich kann mich nicht in seine Lage versetzen. Ich bin nicht Sigeric.«

»Genau. Und Sigeric ist nicht du. Er handelt nach dem, was er wei?.«

»Wie sollen wir dann hier herauskommen? Abt Cild wird uns nicht ein zweites Mal aus seinen Fangen lassen. Er schreit schon jetzt nach unserem Blut.«

Sie setzte sich auf das Bett. »Wenigstens hat Sigeric offenbar seine Zweifel an der Beschuldigung der Hexerei«, meinte sie und lehnte sich entspannt zuruck. Dann fuhr sie auf und rief: »Ach!«

Eadulf zuckte nervos zusammen und blickte sich um.

»Was ist?« fragte er.

»Ich mu?te jemandem sagen, wo wir unsere Ponys gelassen haben. Die Nacht wird kalt, und sie konnten erfrieren.«

Eadulf seufzte. Es sah Fidelma so ahnlich, selbst in ihrer Notlage noch an das Wohlergehen von Tieren zu denken.

Sie stand auf und schaute sich noch einmal um.

»Nun, ich glaube nicht, da? wir von hier fliehen konnen, bevor Sigeric uns herausla?t, also ist es auch nicht notig, die Ponys in einem Versteck bereitzuhalten, und morgen, na, wir werden sehen ...«

Sie ging zur Tur und rief nach der Wache.

Die Riegel rasselten, und der hochgewachsene Krieger Werferth stand mit gezogenem Schwert in der Tur.

»Sprich, Frau«, knurrte er.

Fidelma erwiderte seinen finsteren Blick mit einem Lacheln und erklarte ihm, wo sie ihre Ponys angebunden hatten.

»Schick jemanden hin, der sie in die Abtei hereinholt, wo sie Warme und Futter finden«, wies sie ihn an. »Sonst erfrieren sie da drau?en in der Nacht.«

Der Krieger starrte sie uberrascht an, wahrscheinlich ebenso verblufft wie Eadulf, da? sie in einem solchen Moment an das Schicksal der Ponys denken konnte.

»Das soll geschehen, Frau«, sagte Werferth schlie?lich. »Ist das alles?«

»Das ist alles, au?er da? mein Freund hier gern etwas hatte, um seinen Hunger zu stillen.«

»Das Essen wird euch bald gebracht«, antwortete Werferth barsch und schlo? die Tur. Sie horten, wie die Riegel vorgeschoben wurden.

Fidelma setzte sich wieder auf das Bett.

Langsam verging die Zeit, und schlie?lich brachte ihnen Werferth eine Mahlzeit. Er war streng und sachlich und lie? sich auf kein Gesprach ein. Sein Ge-fahrte stand mit gezogenem Schwert in der Tur, wahrend er das Tablett auf dem Schemel abstellte. Danach ging er wortlos wieder hinaus.

Sie a?en schweigend.

Sie hatten die Mahlzeit gerade beendet, als sie entferntes Schreien horten. Dann trat wieder Stille ein.

»Was meinst du, was das war?« fragte Eadulf.

Fidelma zuckte mit den Schultern. Sie gab keine Antwort. Es wurde ruhig, die Zeit verging. Schlie?lich wurde ihnen klar, da? sie wahrscheinlich uber Nacht eingesperrt bleiben wurden, also zwangten sie sich zusammen in das schmale Bett und versuchten zu schlafen.

Sie waren eingenickt. Keiner wu?te, ob es vor oder nach Mitternacht war. Schon lange herrschte Dunkelheit in ihrer Zelle, und es gab keine Moglichkeit, sie zu erhellen, denn sie besa?en weder eine Kerze noch eine Ollampe. Sie hatten es sich in dem Bett so bequem gemacht, wie es eben ging, und so hatte sie schlie?lich ein unruhiger Schlaf uberwaltigt.

Es waren das Quietschen der Riegel und scharfe Befehlsworte, die sie wachruttelten und ihnen kaum ein paar Sekunden Zeit gaben, bevor die Tur aufgerissen wurde.

Eadulf hatte sich aus dem Bett gerollt, blinzelte und versuchte, die Lage zu erfassen.

Werferth und sein Gefahrte standen mit gezogenen Schwertern innerhalb der Tur.

Gleich darauf trat Sigeric ein, eine Lampe in der Hand. Sein Gesicht war bla?, und er sah erschuttert aus.

Er wartete, bis Fidelma sich erhob und mit noch getrubten Augen zur Besinnung kam.

»Was ist los?« fragte Eadulf, der sich als erster gefa?t hatte.

Sigeric schaute ihn einen Moment aus seinen hellgrauen Augen an und sagte dann: »Kommt mit. Ihr beide.« Abrupt wandte er sich um.

Drau?en reihten sich die beiden Krieger hinter Fidelma und Eadulf ein. Eadulf langte instinktiv nach Fidelmas Hand und hielt sie fest.

»Hab keine Angst«, flusterte er. »Wenn sie uns toten wollen, zeigen wir ihnen, wie wenig uns ihre Freude daran bedeutet.«

Fidelma bi? bei diesen Worten die Zahne zusammen, sagte aber nichts.

Sigeric hielt die Lampe hoch und marschierte mit raschen Schritten die Gange der Abtei entlang - uberraschend schnell fur einen Mann seines Alters.

Er ging geradewegs zur Kapelle der Abtei, durch die Kreuzgange und uber den Hof, und betrat sie durch die Haupttur.

Kleine Gruppen von Brudern standen hier und da in der Kapelle beisammen. Sie wandten sich um, als Sige- ric hereinkam. Fidelma und Eadulf fiel auf, da? ihre Gesichter im Kerzenlicht angstvoll aussahen, wahrend sie beobachteten, wie der Alte seine Gefangenen an den Gruppchen vorbei zum Hochaltar fuhrte.

Fidelma und Eadulf schlossen sich wie zum eigenen Schutz instinktiv enger zusammen und druckten ihre Hande noch fester. Sollte dies ein mitternachtlicher Proze? werden, bei dem sie im voraus verurteilt waren?

Als sie sich dem Altar naherten, erblickte Eadulf Bruder Willibrod, der in einer nahen Bank

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