zuzuwenden. Als Pere mit frohlicher Miene in seine Richtung winkte, nickte Bernat ihm zum wiederholten Male zu. Dann schaute er sich nach den Brudern seiner Braut um und entdeckte sie unter den Gasten. Vom ersten Moment an hatten sie ihn mit einem gewissen Argwohn behandelt, sosehr sich Bernat auch bemuht hatte, sie fur sich zu gewinnen.

Er sah hinuber zu seinem Hof, dann wieder zu den Leuten, und verzog ein wenig den Mund. Plotzlich kam er sich trotz des heiteren Treibens alleingelassen vor. Es war noch kein Jahr her, dass sein Vater gestorben war, und was seine Schwester Guiamona anging, die seit ihrer Hochzeit in Barcelona lebte, so hatte sie nicht auf die Nachrichten geantwortet, die er ihr geschickt hatte – obwohl er sie so gerne wiedergesehen hatte. Sie war die einzige nahe Angehorige, die ihm nach dem Tod seines Vaters geblieben war.

Ein Todesfall, der den Hof der Estanyols fur die ganze Gegend interessant gemacht hatte. Ein nicht enden wollender Strom von Kupplerinnen und Vatern mit Tochtern im heiratsfahigen Alter setzte ein. Vorher hatte sie nie jemand besucht, doch der Tod des Vaters, dem seine aufruhrerische Art den Beinamen ›der verruckte Estanyol‹ eingetragen hatte, weckte wieder die Hoffnungen jener, die ihre Tochter mit dem reichsten Bauern der Region verheiraten wollten.

»Es ware an der Zeit fur dich zu heiraten«, sagten sie zu ihm. »Wie alt bist du?«

»Siebenundzwanzig, glaube ich«, war seine Antwort.

»In diesem Alter solltest du beinahe schon Enkel haben«, warfen sie ihm vor. »Was willst du alleine auf diesem Hof? Du brauchst eine Frau.«

Bernat nahm die Ratschlage geduldig entgegen, wohl wissend, dass sie unweigerlich von dem Vorschlag einer Kandidatin gefolgt wurden, die starker war als ein Ochse und schoner als der unglaublichste Sonnenuntergang.

Das Thema war nicht neu fur ihn. Schon der verruckte Estanyol, der seit Guiamonas Geburt Witwer war, hatte versucht, ihn zu verheiraten. Doch samtliche Vater mit heiratsfahigen Tochtern hatten den Hof unter Verwunschungen wieder verlassen, denn niemand konnte die Forderungen des verruckten Estanyol bezuglich der Mitgift erfullen, welche die zukunftige Schwiegertochter mitbringen sollte. So hatte das Interesse an Bernat nachgelassen. Im Alter war der Vater noch schlimmer geworden und seine Tobsuchtsanfalle hatten sich in Raserei verwandelt. Bernat hatte sich ganz der Bestellung des Landes und der Pflege seines Vaters gewidmet, und dann plotzlich, mit siebenundzwanzig Jahren, war er auf einmal allein und wurde formlich belagert.

Der erste Besuch jedoch, den Bernat erhalten hatte, als er den Toten noch nicht begraben hatte, war der des Verwalters des Herrn von Navarcles gewesen, seines Feudalherren. »Wie recht du doch hattest, Vater!«, dachte Bernat, als er den Verwalter mit mehreren berittenen Soldaten kommen sah.

»Wenn ich sterbe«, hatte der Alte in seinen klaren Momenten immer wieder gesagt, »werden sie kommen. Dann musst du ihnen das Testament zeigen.«

Und mit diesen Worten hatte er auf den Stein gedeutet, unter dem, in Leder eingeschlagen, das Schriftstuck mit dem letzten Willen des verruckten Estanyol lag.

»Warum, Vater?«, wollte Bernat beim ersten Mal wissen.

»Wie du wei?t, besitzen wir dieses Land als Erbpacht. Aber ich bin Witwer, und wenn ich kein Testament gemacht hatte, hatte der Grundherr bei meinem Tod ein Anrecht auf die Halfte unseres gesamten Hausrats und des Viehs. Dieses Recht nennt sich Intestia . Es gibt noch viele andere solcher Rechte zugunsten der Herren, und du solltest sie alle kennen. Sie werden kommen, Bernat, sie werden kommen, um mitzunehmen, was uns gehort, und nur wenn du ihnen das Testament zeigst, kannst du sie loswerden.«

»Und wenn sie es mir wegnehmen?«, fragte Bernat. »Du wei?t ja, wie sie sind …«

»Selbst wenn sie es taten – es ist in den Buchern registriert.«

Der Zorn des Verwalters und des Grundherrn hatte sich in der ganzen Gegend herumgesprochen und den Sohn noch attraktiver gemacht, der den gesamten Besitz des Verruckten erbte.

Bernat erinnerte sich sehr gut an den Besuch, den ihm sein jetziger Schwiegervater vor dem Beginn der Ernte abgestattet hatte. Funf Sueldos, eine Matratze und ein wei?linnenes Hemd, das war die Mitgift, die er fur seine Tochter Francesca bot.

»Was soll ich mit einem wei?linnenen Hemd?«, wollte Bernat wissen, wahrend er weiter das Stroh in der ebenerdigen Scheune des Hofes verteilte.

»Schau doch«, antwortete Pere Esteve.

Auf die Heugabel gestutzt, blickte Bernat zum Eingang hinuber, zu dem Pere Esteve deutete. Das Gerat fiel ihm aus der Hand. Im Gegenlicht stand Francesca. Sie trug das wei?leinene Hemd und ihr gesamter Korper zeichnete sich darunter ab.

Ein Schauder war Bernat den Rucken hinabgelaufen und Pere Esteve hatte gelachelt.

Bernat war auf das Angebot eingegangen, gleich dort im Heuschober, ohne sich dem Madchen auch nur zu nahern. Aber er hatte kein Auge mehr von ihm gewendet.

Es war eine ubersturzte Entscheidung gewesen, das wusste Bernat, aber er konnte nicht behaupten, dass er sie bereute. Dort druben stand Francesca, jung, schon, stark. Sein Atem beschleunigte sich. Noch heute … Was das Madchen wohl dachte? Empfand sie genauso wie er? Francesca beteiligte sich nicht an der frohlichen Unterhaltung der Frauen. Sie stand schweigend und mit ernstem Gesicht neben ihrer Mutter und quittierte die Scherze und das Gelachter der anderen mit einem gezwungenen Lacheln. Ihre Blicke begegneten sich fur einen Moment. Sie errotete und sah zu Boden, doch Bernat beobachtete, wie sich ihre Bruste unruhig hoben und senkten. Die Erinnerung an das wei?leinene Hemd und den darunter durchschimmernden Korper beflugelte erneut Bernats Phantasie und Verlangen.

»Herzlichen Gluckwunsch!«, horte er hinter sich, wahrend ihm jemand kraftig auf den Rucken klopfte. Sein Schwiegervater war zu ihm getreten. »Gib gut auf sie acht«, setzte er hinzu, wahrend er Bernats Blick folgte und auf das Madchen deutete, das nicht mehr wusste, wohin es schauen sollte. »Moge das Leben, das du ihr bietest, wie dieses Fest sein … Es ist der beste Festschmaus, den ich je gesehen habe. Mit Sicherheit kommt nicht einmal der Herr von Navarcles in den Genuss solcher Kostlichkeiten!«

Bernat hatte seine Gaste gut bewirten wollen und siebenundvierzig Laibe Wei?brot aus Weizenmehl vorbereitet – keine Gerste, kein Roggen oder Dinkel, wie sie die Bauern fur gewohnlich a?en. Helles Weizenmehl, wei? wie das Hemd seiner Frau! Mit den Laiben beladen, war er zur Burg von Navarcles gegangen, um sie im Backhaus des Grundherrn zu backen, in der Annahme, dass zwei Laibe, wie sonst auch, als Bezahlung ausreichen

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