»Wir sind durstig, Estanyol«, gab der Herr de Bellera zur Antwort.

Die Pferde setzten sich in Bewegung, ohne dass die Reiter ihnen die Sporen geben mussten. Bernat ging mit gesenktem Haupt neben seinem Herrn zum Gehoft zuruck. Am Ende des Weges hatten sich samtliche Gaste versammelt, um sie zu begru?en. Die Frauen blickten zu Boden, die Manner hatten die Kopfbedeckungen abgenommen. Ein leises Raunen erhob sich, als Llorenc de Bellera vor ihnen anhielt.

»Los, los!«, befahl er, wahrend er vom Pferd stieg. »Das Fest soll weitergehen.«

Die Leute gehorchten und machten schweigend kehrt. Mehrere Soldaten traten zu den Pferden und kummerten sich um die Tiere. Bernat geleitete seine neuen Gaste zu dem Tisch, an dem zuvor Pere und er gesessen hatten. Ihre Schusseln und ihre Glaser waren verschwunden.

Der Herr de Bellera und seine beiden Begleiter nahmen Platz. Bernat trat einige Schritte zuruck, wahrend sie sich zu unterhalten begannen. Die Frauen trugen eilig Weinkruge, Glaser, Brot, Schusseln mit Gemuseeintopf und Teller mit gepokeltem Schweinefleisch und frisch gebratenem Lamm auf. Bernat sah sich nach Francesca um, konnte sie aber nirgends entdecken. Sie befand sich nicht mehr unter den Frauen. Sein Blick begegnete dem seines Schwiegervaters, der bei den ubrigen Gasten stand, und Bernat deutete mit dem Kinn in Richtung der Frauen. Pere Esteve schuttelte fast unmerklich den Kopf und wandte sich ab.

»Feiert weiter!«, rief Llorenc de Bellera, eine Lammhaxe in der Hand. »Los, macht schon!«

Schweigend gingen die Gaste zu den Feuerstellen, uber denen das Lamm gebraten hatte. Nur eine Gruppe ruhrte sich nicht vom Fleck, unbemerkt von den Blicken des Herrn und seiner Freunde. Es waren Pere Esteve, seine Sohne und einige weitere Gaste. Bernat entdeckte das wei?leinene Hemd seiner Braut in ihrer Mitte und trat zu ihnen.

»Verschwinde, du Dummkopf«, fuhr ihn sein Schwiegervater an.

Bevor er etwas sagen konnte, druckte ihm Francescas Mutter einen gefullten Teller in die Hand und wisperte: »Kummere du dich um den Herrn und halte dich von meiner Tochter fern.«

Die Bauern begannen, schweigend das Lamm zu verzehren, wahrend sie verstohlen zu dem Tisch hinubersahen. Im Hof waren nur das Gelachter und das Johlen des Herrn von Navarcles und seiner beiden Kumpane zu horen. Die Soldaten ruhten sich abseits des Festes aus.

»Vorher hat man euch lachen horen«, schrie der Herr de Bellera, »so laut, dass ihr uns das Wild erschreckt habt. Lacht, verdammt nochmal! Nun lacht schon!«

Niemand lachte.

»Bauerntolpel«, sagte er zu seinen Begleitern, die ihrerseits die Bemerkung mit lautem Gelachter quittierten.

Die drei stillten ihren Hunger mit dem Lammbraten und dem Wei?brot. Das gepokelte Schweinefleisch und den Gemuseeintopf lie?en sie stehen. Bernat a? etwas abseits im Stehen, wahrend er aus den Augenwinkeln zu der Gruppe hinubersah, in deren Mitte Francesca sich verbarg.

»Mehr Wein!«, forderte der Herr von Bellera und hob sein Glas. »Estanyol!«, brullte er dann, wahrend er sich unter den Gasten nach ihm umsah. »Nachstes Mal, wenn du deine Pacht zahlst, bringst du mir von diesem Wein, nicht dieses Gesoff, mit dem dein Vater mich bisher betrogen hat«, horte ihn Bernat hinter sich schreien. Francescas Mutter kam mit einem Krug herbeigelaufen.

»Estanyol, wo steckst du?«

Der Mann hieb mit der Faust auf den Tisch, als die Frau gerade neben ihm stand, um sein Glas zu fullen. Einige Tropfen Wein spritzten auf die Kleider von Llorenc de Bellera.

Bernat stand bereits neben ihm. Die Freunde des Grundherrn lachten uber das Missgeschick und Pere Esteve hatte die Hande vors Gesicht geschlagen.

»Du alte Eselin! Wie kannst du es wagen, den Wein zu verschutten?« Die Frau senkte unterwurfig den Kopf, und als der Grundherr Anstalten machte, sie zu ohrfeigen, wich sie zuruck, stolperte und fiel hin. Llorenc de Bellera wandte sich seinen Freunden zu und brach in schallendes Gelachter aus, als er sah, wie die Frau davonschlich. Dann wurde er wieder ernst und wandte sich an Bernat.

»Ah, da bist du ja, Estanyol. Sieh nur, was das alte Tatterweib angerichtet hat! Willst du deinen Herrn beleidigen? Bist du so blod? Wei?t du etwa nicht, dass die Gaste von der Herrin des Hauses bewirtet werden sollten? Wo ist die Braut?«, fragte er dann, wahrend er seinen Blick uber den Platz schweifen lie?. »Wo ist die Braut?«, brullte er noch einmal, als Bernat schwieg.

Pere Esteve nahm Francesca am Arm und ging hinuber zum Tisch, um sie an Bernat zu ubergeben. Das Madchen zitterte.

»Eure Herrschaft«, sagte Bernat, »dies ist meine Frau Francesca.«

»Das ist schon besser«, bemerkte Llorenc, wahrend er sie schamlos von oben bis unten musterte, »schon viel besser. Von nun an wirst du uns den Wein einschenken.«

Der Herr von Navarcles nahm wieder Platz und hielt dem Madchen sein Glas hin. Francesca ging einen Krug holen und eilte zuruck, um ihn zu bedienen. Ihre Hand zitterte, als sie versuchte, den Wein einzuschenken. Llorenc de Bellera packte sie am Handgelenk und hielt sie fest, wahrend sich der Wein ins Glas ergoss. Dann zog er sie am Arm zu sich und notigte sie, auch seine Begleiter zu bedienen. Die Bruste des Madchens streiften sein Gesicht.

»So serviert man Wein!«, rief der Herr von Navarcles, wahrend Bernat neben ihm die Fauste ballte und die Zahne zusammenbiss.

Llorenc de Bellera und seine Freunde zechten weiter und riefen immer wieder nach Francesca, um die Szene ein ums andere Mal zu wiederholen.

Die Soldaten fielen jedes Mal in das Lachen ihres Herrn und seiner Kumpane ein, wenn das Madchen sich uber den Tisch beugen musste, um den Wein einzuschenken. Francesca versuchte, ihre Tranen zuruckzuhalten, und Bernat stand ohnmachtig daneben und merkte, wie ihm das Blut uber die Handflachen zu laufen begann, weil sich seine Fingernagel ins Fleisch gegraben hatten. Die Gaste sahen jedes Mal schweigend weg, wenn das Madchen Wein nachschenken musste.

»Estanyol!«, grolte Llorenc de Bellera, wahrend er aufstand und Francesca am Handgelenk packte. »In Ausubung des Rechts, das mir als deinem Herrn zusteht, habe ich beschlossen, die erste Nacht mit deiner Frau zu

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