Jemand packte ihn bei der Schulter. Seine Brust schrammte uber die Muschelsplitter. Dann wurde er nach hinten gerissen.

Er lie? sich treiben. Ein zweites Paar Hande griff nach seinen Armen. Blinzelnd sah er, wie der Felsen sich entfernte.

Endlich wurde er uber die Reling ins Boot gezogen. Jemand rieb ihn mit einer groben Wolldecke ab. Einer der Manner reichte ihm einen Tonbecher mit kaltem Wasser.

»Du wirst nicht mehr tauchen. Wir haben gesehen, da? du Mut hast, Grieche. Du brauchst uns nichts mehr zu beweisen. In deinem Alter taugt man nicht mehr als Schneckentaucher.«

»Meine Muschel«, stammelte der Arzt erschopft.

»Sie ist zerbrochen. Begreifst du, Grieche? Du hast dein Leben fur eine Muschel eingesetzt, die fast nichts wert ist!

Wir konnen sie hochstens noch als Koderfleisch verwerten. Auf meinem Boot wirst du nicht noch einmal dein Leben fur eine Muschel riskieren«, schnaubte Abimilku wutend.

Philippos war zu erschopft, um dem Tyrener noch zu widersprechen.

Der Mittag war schon weit vorangeschritten, und die Eimer mit Meerwasser im Boot waren fast bis an den Rand mit lebenden Muscheln gefullt, als ein gellender Schrei das Gerausch der Brandung ubertonte. Der Kopf Abimilkus tauchte zwischen den Wellen auf. Einen Moment lang winkte der Schiffer mit einem blutuberstromten Arm, dann war er wieder zwischen den Wogen verschwunden.

Sofort sprangen zwei der Taucher ins Wasser und schwammen zu der Stelle, wo ihr Kapitan verschwunden war. Ein etwas alterer Seemann hob einen langen Speer auf und stellte sich nach vorne in den Bug des Bootes, um von dort aufmerksam die Wellen zu beobachten. Keiner sprach an Bord. Alle Blicke waren gespannt auf das Meer gerichtet.

Auch Philippos hatte sich zur Reling gewandt und starrte auf das schimmernde dunkle Wasser. Einen Moment lang glaubte er, bei den Kuppen eine Wolke von Blut dicht unter der Wasseroberflache zu erkennen, doch mochte es auch nur ein Schatten gewesen sein.

Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, bis die beiden Taucher endlich wieder zu sehen waren. Zwischen ihnen trieb der leblos wirkende Korper des Kapitans.

»Unser Boot ist verflucht«, murmelte der Bartige mit dem Speer und spuckte in die See. »Das ist jetzt schon der dritte in diesem Jahr. Keinen Fu? werde ich mehr auf diesen Kahn setzen.«

»Still!« zischte ein anderer. Der alteste unter den Mannern hatte einen Korb an das Ende eines Seils gebunden und schleuderte ihn den beiden Tauchern entgegen. Dankbar griffen sie nach dem Korb und wurden dann an Bord gezogen.

»Was ist passiert?«

»Ein ... Schlangenfisch ...«, stammelte Abimilku und pre?te seine Rechte auf eine klaffende Wunde am linken Unterarm. »Ich mu? ... seiner Hohle ... zu nahe ... gekommen .«

»Wickelt ihm ein Leinentuch um den Arm. Seht nur, wie er blutet!« Die Taucher legten den Kapitan zwischen den Korben nieder.

Philippos konnte sehen, wie das Blut pulsend in kleinen Fontanen aus der Wunde scho?. Ein einfacher Leinenverband wurde hier nicht mehr helfen! »La?t mich an ihn heran. Ich kenne mich mit so etwas aus!«

»Warum sollten wir dir trauen, Fremder?« Der Bartige hatte sich vor Philippos aufgebaut. »Du hast doch keinen Grund, Abimilku zu helfen. Er hatte dich mit Schimpf von seinem Boot gejagt, wenn wir im Hafen angekommen waren.«

»Thanatos wird euren Kapitan in den Hades hinabtragen, bevor wir den Hafen uberhaupt erreichen, wenn ich ihm jetzt nicht helfen. Ich war Soldner. Ich habe mehr Wunden geschlagen und auch verbunden, als du in deinem ganzen Leben zu sehen bekommen wirst. Ich wei?, was zu tun ist. Also la? mich zu ihm!«

Der Bartige tauschte einen Blick mit den anderen Mannern.

Dann nickte der Alte, der den Tauchern das Seil zugeworfen hatte, und Philippos wurde an die Seite des Kapitans gelassen.

Die Wunde am Unterarm sah ubel aus. Eine der gro?en Adern war durchtrennt. Er brauchte eine Klemme oder Presse. Hatte er nur sein Arztbesteck dabei, dachte Philippos verzweifelt.

Er blickte zu dem Bartigen, der sich zum Wortfuhrer im Boot aufgeschwungen hatte.

»Wenn Abimilku stirbt, dann wirst du nicht mehr lebend in die Stadt zuruckkehren.«

»Gib mir dein Stirnband!«

»Was willst du damit?«

»Dein Stirnband, beim Zeus! Jetzt ist keine Zeit zu reden. Und ein Messer brauche ich!«

Widerwillig streifte der Bartige sein ledernes Stirnband ab.

Einer der anderen Manner gab Philippos ein Messer. Der Arzt knupfte aus dem dunnen Band eine Schlinge und zog sie uber den Arm des Verletzten. Dann schob er das Messer durch die Schlinge und drehte sie zu, bis das Leder tief ins Fleisch des Kapitans einschnitt und die Wunde zu bluten aufhorte.

»Habt ihr Honig an Bord?« Philippos blickte sich fragend unter den Seeleuten um.

»Wozu sollte das nutzen? Wir nehmen nur das mit aufs Meer, was wir auch brauchen.«

Resignierend zuckte der Arzt mit den Schultern. »Dann gebt mir einen Eimer mit Salzwasser und ein helles Leinentuch. Ich mu? die Wunde saubern, oder sie wird bose Safte anziehen.«

Der alteste unter den Tauchern schuttelte den Kopf. »Das wirst du nicht verhindern konnen. Er ist von einem Schlangenfisch gebissen worden. Ihre Zahne sind so giftig wie die der Schlangen, die du in der Wuste findest. Er wird bei lebendigem Leib verfaulen, wenn wir ihn an Land nicht sofort in den Eshmun- Tempel bringen. Die heilkundigen Zauberpriester werden Abimilku vielleicht noch helfen konnen. Sie mussen ihm den Arm abschneiden, bevor das Gift tiefer in den Korper eindringt und beginnt, ihn von innen zu zerfressen. Glaube mir, Grieche, ich habe schon oft gesehen, was mit den Mannern geschieht, die vom Schlangenfisch gebissen werden. Er ist der Wachter der Klippen. Er hat entschieden, da? Abimilku nie wieder tauchen soll.«

Philippos horte sich schweigend die Rede des Tauchers an. Er wu?te nicht, wie stark das Gift dieses seltsamen Fisches sein mochte, doch war der Arzt der Uberzeugung, da? die Wunde allein eine Amputation nicht rechtfertigen wurde. Jedenfalls nicht, solange sich das Fleisch nicht entzundete und dunkler Eiter begann, den ganzen Korper zu vergiften. Er sollte mit den Fischern zum Tempel gehen und versuchen, mit den Heilkundigen zu reden. Wenn es ihm gelingen sollte, Abimilkus Arm zu retten, dann ware der Kapitan ihm zu Dank verpflichtet. Vielleicht wurde er dann doch noch unter den Purpurfischern aufgenommen. Auf jeden Fall wurde sein Wort in Zukunft unter diesen Mannern Gewicht haben, und es wurde ihm leichter fallen, sie nach den Handelsverbindungen der Purpurhandler auszuhorchen.

Den ganzen Nachmittag uber hatte Samu im Schatten einer der Hafenmauern gesessen und auf die heimkehrenden Boote der Purpurfischer gewartet. Auch wenn sie Philippos nicht sonderlich leiden konnte, so hatte sie doch zu Isis gebetet und die Gottin angefleht, den Griechen zu verschonen. Ganz auf sich allein gestellt, wurde sie es in dieser fremden Stadt schwer haben. Sie dachte daran, wie der Arzt sie in Italien gepflegt hatte, als ein schweres Fieber sie zu verzehren drohte. Wenn man wu?te, wie er zu nehmen war, dann konnte man mit ihm auskommen. Er gierte nach Macht und Gold. Das hie? im Grunde, da? ihre Interessen sich nicht kreuzten. Wenn er das erst einmal begriffen hatte, dann lie?e sich sicherlich besser mit ihm zurechtkommen. Hoffentlich war es nicht schon zu spat! Wie hatte Philippos dem Judaer nur trauen konnen? Welche Beweise gab es schon, da? Simon tatsachlich treu zum gottlichen Pharao stand? Irgendwo in dieser Stadt lauerte ein feiger Giftmorder, und so wie die Dinge lagen, war jeder Bewohner von Tyros verdachtig, der ein Interesse daran haben konnte, sich in die Intrigenspiele der Machtigen einzumischen.

Wahrend sie ihren dusteren Gedanken nachgehangen hatte, war ein kleines Segelboot in den Hafen eingelaufen. Es steuerte auf die Anlegestellen zu, die von den Purpurfischern genutzt wurden. Ein langer Kai, auf dem sich holzerne Reusen und Netze turmten. Auch Dutzende von Eimern standen dort, in denen Muscheln und kleinere Fische in Meerwasser gehalten wurden. Das ganze Dock war mit einer Schicht aus zertretenen Schneckenhausern und Muschelschalen bedeckt, so da? es bei jedem Schritt, den man machte, leise unter den Sohlen der Sandalen knirschte. Vor allem aber stank es nach fauligem Fisch.

Hin und wieder versuchte eine besonders freche Mowe, zwischen den Eimern zu landen, um einen Fisch zu stehlen, doch eine Schar kleiner, mit Lederschleudern bewaffneter Jungen bewachte den Fang und vertrieb die

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