kleinen, tonernen Wasserkrug, aus dem er getrunken hatte. Dankbar lachelnd nahm der Arzt ihn an. 

Seine Kehle war wie ausgedorrt. Es war Stunden her, seit er zum letzten Mal etwas getrunken hatte.

»Man sagte mir, du seist Soldner ...« Der Priester blinzelte Philippos freundlich an. Sein Gesicht wirkte offen, und er schien ein aufrechter Mann zu sein. Wie alle Priester im Tempel hatte auch er seinen Kopf kahlrasiert. Seine Augen waren mit dunkler Schminke umrandet. Er trug ein mit dicken Fransen geschmucktes Wickelgewand, das ganz ahnlich wie eine Toga geschnitten war.

Der Grieche nickte. »Das stimmt. Doch ich habe genug Tod und Unheil gesehen. Ich bin auf der Flucht vor dem Krieg und suche nach einer Heimat, in der ich ein Leben in Frieden fuhren kann.«

Der Priester wiegte den Kopf hin und her. »Ich habe schon viele Soldaten gesehen, doch bei dir scheint es mir, als konntest du besser Wunden verbinden, als sie schlagen. Das ist eine ungewohnliche Begabung fur einen Soldner. Nicht nur, da? du vorhin wu?test, da? man eine Blutung mit einem Brandeisen stillt, du wu?test auch genau, wo es anzusetzen war, um die Brandwunde moglichst klein zu halten. Du bist ein wurdiger Gast im Haus des Eshmun. Manch ein Priester hier versteht sein Handwerk schlechter als du.«

Philippos musterte sein Gegenuber verstohlen. Was wollte der Priester? Wozu diese Fragen?

Der Eshmun-Priester lachelte, ganz so, als habe er Philippos’ Gedanken gelesen. »Mich interessiert es nicht, warum du dich als Soldner ausgibst. Vielleicht verstehst du ja auch etwas vom Kriegshandwerk, doch vor mir brauchst du dich nicht zu verstellen. Du bist ein Heilkundiger, Grieche, und als solcher bist du immer willkommen in diesem Tempel. Wu?test du, da? manche Gelehrte Eshmun mit dem griechischen Gott Asklepios gleichsetzen? Du bist hier unter Gleichgesinnten, und ich wurde mich glucklich schatzen, einen Mann wie dich im Tempel zu Gast zu haben. Wenn du also jemals eine Zuflucht brauchst oder einfach nur jemanden suchst, mit dem du reden kannst, dann komm’ hierher und frage nach Chel-bes. Deine Kunst macht dich zu meinem Bruder, und ich schwore vor dem Angesicht Eshmuns, da? ich niemals einen Verrat an dir begehen wurde.«

»Dein Angebot ehrt mich, Chelbes, doch furchte ich, da? du mein Konnen uberschatzt. Auch wenn du Zweifel haben magst, so kann ich bei Zeus schworen, da? ich zwanzig Jahre lang Soldat gewesen bin.« Das war ja auch nicht gelogen, dachte Philippos bei sich. Er war in der Legion gewesen und hatte als Soldat lediglich eine besondere Aufgabe erfullt, wenn er als Arzt gedient hatte. Trotzdem war er oft genug in Kampfe verwickelt gewesen und hatte das Handwerk des Kriegers gelernt, noch bevor seine Begabung als Heilkundiger aufgefallen war.

Chelbes musterte ihn mit gerunzelter Stirn und schuttelte den Kopf. »Sollte ich mich in dir so getauscht haben? Wie dem auch sei, vor den Toren des Tempels wartet ein bartiger Taucher auf dich. Er soll dich zum Haus von Abimilku bringen. Den Kapitan haben seine Freunde schon nach Hause gebracht. Sorge dafur, da? man sich dort gut um seine Wunde kummert. Du sollst wissen, da? der Bi? des Schlangenfisches sehr gefahrlich ist. Meistens zieht eine solche Verletzung uble Safte an. Die Wunde kann brandig werden und zum Tode fuhren. Deshalb ziehen meine Bruder es vor, bei einer Verletzung durch diesen Fisch das betroffene Korperglied zu amputieren. Ich habe mich von dir uberreden lassen. Nun sorge dafur, da? die Angelegenheit auch gut ausgeht.«

»Ich werde meine ganze Kunstfertigkeit in den Dienst des Schiffers stellen.«

»Ich habe nichts anderes von dir erwartet, Philippos. Moge Eshmun seine Kraft in deine geschickten Hande legen.« Der Priester verneigte sich und verlie? dann den Tempelhof.

Besorgt blickte Philippos ihm nach. Ein falsches Wort des Priesters, und keiner wurde die Geschichte uber seine Vergangenheit als Soldner mehr glauben. Aber hatte er zulassen sollen, da? die Priester Abimilku den Arm amputierten? Er war Heilkundiger und hatte einmal geschworen, sein Wissen immer zum Besten der Menschen einzusetzen und Leid zu mildern, wo es in seiner Macht stand. Abimilku war noch ein junger Mann. Philippos hatte einfach nicht zulassen konnen, da? ein paar ubereifrige Priester ihn zum Kruppel machten.

Falls sich uble Safte in der Wunde bildeten, konnte man den Arm immer noch amputieren. Doch seiner Meinung nach waren die Aussichten gut, da? dem Kapitan dieses Schicksal erspart bleiben wurde.

Mit einem Seufzer erhob sich der Grieche. Wenn er sich durch seine Hilfe verraten hatte, dann war es der Wille der Gotter! Die Unsterblichen hatten ihn in diese schwierige Lage gebracht! Warum nur konnte sein Leben niemals einfach sein? Er dachte an Neaira. Wie es ihr wohl ergangen war? Ob sie jetzt Hunger und Not litt? Philippos hatte ein Gefuhl, als wolle eine unsichtbare Faust ihm den Hals zudrucken. Er wunschte, er ware jetzt an ihrer Seite. Alles Gold des Pharaos wurde er dafur geben! Voll hilfloser Wut ballte er die Fauste. Er sollte besser in das Haus des Kapitans gehen. Jetzt wurden ihm die Fischer freundlich gesonnen sein! Es wurde kein Problem sein, sie uber die Purpurhandler auszuhorchen. Wenn er Abimilkus Arm rettete, dann wurden sie ihn als einen der ihren aufnehmen. Und er, er wurde sie hintergehen und benutzen, grubelte Philippos. Doch das war ihm gleichgultig! Alles, was zahlte, war so schnell wie moglich den Giftmorder zu finden und dann nach Ephesos zuruckzukehren. Wenn nicht zu viel Zeit bis zu seiner Ruckkehr verging, dann mochte es ihm vielleicht gelingen, herauszufinden, wohin Neaira gegangen war, nachdem man sie aus der Stadt vertrieben hatte. Sie war ihm wichtiger als ein Posten als Hofarzt! Warum hatte er das nicht schon vor zwei Wochen begreifen konnen? Dann ware alles ganz anders gekommen!

Als Philippos durch das Tempelportal trat, wurde er bereits vom bartigen Taucher erwartet. Der gro?e Mann lachte ihn an und schlo? ihn ubermutig in die Arme. »Du hast meinem Schwager das Leben gerettet. Ich wei?, da? er sich umgebracht hatte, wenn sie ihm den Arm abgeschnitten hatten. Man sagt, da? die Priester es nur deinetwegen nicht getan haben, Grieche.«

»Gerede.« Philippos befreite sich aus der Umklammerung des Hunen und winkte mude ab. »Ware der Priester Chelbes nicht im Grunde derselben Meinung gewesen wie ich, dann hatte ich einen ganzen Tag reden konnen, ohne da? es etwas genutzt hatte.«

»Du hast sogar den Hohepriester des Eshmun uberzeugen konnen?« Der Taucher pfiff durch die Zahne und schlug dem Griechen auf die Schulter. »Bei Melkart, du tauchst zwar so schlecht wie eine alte Katze, aber die Gotter scheinen dir eine goldene Zunge geschenkt zu haben, wenn du sogar Chelbes uberzeugen konntest.«

»Ich habe mit keinem Hohepriester gesprochen«, ent-gegnete der Arzt argerlich. »Chelbes hat nicht anders ausgesehen als die anderen Priester auch.«

»Du kannst mir erzahlen, was du willst, Grieche! Sei doch nicht so bescheiden! Es gibt nur einen Priester im Tempel des Eshmun, der Chelbes hei?t, und das ist der Hohepriester.« Philippos schluckte. Das durfte nicht wahr sein! Warum zum Zeus hatte er ausgerechnet an den Hohepriester des Tempels geraten mussen? Als Vorsteher des Tempels mu?te Chelbes zu den einflu?reichsten Mannern in der Stadt zahlen. Vielleicht gehorte er am Ende gar zu den Verschworern, die Ptolemaios das Gift geschickt hatten. Als Hohepriester des Gottes der Heilkunst kannte er sich vermutlich besser als jeder andere Tyrener in Giften aus. Wer immer sich mit der Heilkunde befa?te, der lernte auch von den verderblichen Kraften der Pflanzen und Mineralien. Wenn Chelbes seinem Gott wirklich so treu ergeben war, wie es den Anschein hatte, wurde er sich dann dazu hinrei?en lassen, auf so heimtuk-kische Weise ein Leben zu zerstoren? Philippos wu?te nichts uber den Kult des Eshmun, doch konnte er sich nicht vorstellen, da? ein Gott der Heilkunde einen Giftmord billigen wurde.

»Was ziehst du nur fur ein Gesicht, Grieche! Du hast meinen Schwager gerettet. Heute ist ein Festtag! Komm mit mir, es wird Wein geben, und wir werden ein Lamm schlachten. Wir werden feiern wie die persischen Satrapen!«

Der Arzt nickte mude. Vielleicht war es das beste, Dionysos zu huldigen und alle Sorgen im Weinrausch zu ertranken. Fur die Purpurtaucher war er heute ein Held. Er sollte das genie?en! Zeus allein wu?te, wie viele Feste er noch feiern konnte, wenn Chelbes tatsachlich zu den Verschworern gehorte und ihn verdachtigte, ein Spitzel zu sein.

Das Haus des Elagabal lag inmitten eines kleinen Gartens, den jahrelange Sklavenarbeit dem felsigen Boden der Insel abgetrotzt haben mu?te. Der Kaufmann hatte Samu am Abend eine Sanfte geschickt und sie zu einem Festmahl eingeladen.

Einige Augenblicke lang hatte die Priesterin gezogert, die Einladung anzunehmen. Die Nachstellungen des jungen Mannes machten sie verlegen. Zugleich fand sie seine aufdringliche Art absto?end. Doch war das Festmahl bei Elagabal nicht ein Geschenk der Gottin? Auf diese Weise wurde sie unter den Handelsherren der Stadt eingefuhrt und hatte vielleicht sogar Gelegenheit, den einen oder anderen unter ihnen auszuhorchen, uberlegte Samu.

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