Obwohl die Trager auf sie warteten, nahm sich die Priesterin eine ganze Stunde Zeit, um sich zu schminken, ihr Haar kunstvoll zu flechten und ihr bestes Kleid anzulegen. Auch trug sie die wenigen Schmuckstucke, die sie besa?. Die prachtige, breite Halskette aus roten Karneol und himmelblauen Lapislazuli und den goldenen Schlangenarmreif, den ihr einst ihr Liebster geschenkt hatte, bevor er zur unsicheren Nabataergrenze im Osten abkommandiert worden war. Was aus Hophra wohl geworden sein mochte? Gedanken, von dunklen Schwingen getragen, zogen ihr durch den Sinn. Ob Hophra tot war? Und konnte sie Elagabal trauen? War es ein Zufall, da? sie sich getroffen hatten, oder hatte der reiche Kaufmann nach ihr gesucht? Vielleicht hatte er durch Abdoubast, den Kapitan des Lastenseglers, mit dem sie nach Tyros gekommen war, erfahren, da? eine Gesandte des Ptolemaios in der Stadt weilte. Falls Elagabal in den Anschlag auf den Pharao verwickelt war, wurde es ihm kaum schwerfallen, zu erraten, weshalb sie gekommen war.

Samu bekampfte die aufsteigende Angst. Wenn sie herausfinden wollte, wer das Gift geschickt hatte, mu?te sie zwangslaufig mit den Kaufleuten verkehren. Einem von ihnen hatte das Schiff gehort, mit dem die falschen Geschenke nach Ephesos gekommen waren. Es nutzte also nichts, davonzulaufen!

Schlie?lich war sie in die Sanfte gestiegen und hatte sich zum Haus des Handelsherren bringen lassen. Im Garten erwartete sie ein prachtig gewandeter Diener, der sie durch das Haus auf einen Innenhof fuhrte, dessen Wande mit bunt glasierten Ziegeln geschmuckt waren. Die Ziegelreliefs zeigten stilisierte Palmen und Blumen, so da? man, obwohl in diesem Hof nichts wuchs, die Illusion haben mochte, erneut in einem Garten zu stehen.

»Ah, meine schone Priesterin! Mein Herz geht uber vor Freude, Euch in meinem bescheidenen Haus zu sehen.« Elagabal war durch eine der gegenuberliegenden Turen auf den Hof getreten. »Darf ich Euch zu meinen anderen Gasten geleiten?«

Mit beschwingtem Schritt fuhrte der Kaufmann sie durch sein gro?es Haus, zeigte ihr Wandreliefs, die er aus verfallenen syrischen Palasten mitgebracht hatte, kostbare, rotfigurige Amphoren aus Athen und Korinth sowie Elfenbeinschnitzereien aus dem fernen Indien. Endlich betraten sie das Triclinium, wo sich die anderen Gaste des Kaufmanns aufhielten. Es war ein Saal, dessen nordliche Seite von Saulen getragen wurde und sich zum Garten hin offnete. Mehr als zwanzig Gaste, die es sich auf Klinen an niedrigen Tischen bequem gemacht hatten, waren zu dem Fest gekommen. Es waren allesamt Manner. Die meisten von ihnen starrten die Priesterin mehr oder weniger unverhohlen an, als sie mit Elagabal eintrat.

»Ihr werdet den Ehrenplatz an meiner Seite erhalten«, erklarte der Kaufmann lachelnd, fuhrte sie zu einem Tisch, der ein wenig abseits stand, und lie? sich auf der breiten Kline nieder.

So blieb Samu nichts anderes ubrig, als sich zu dem feisten jungen Mann zu legen. Auf den linken Arm aufgestutzt, streckte sie sich auf die mit purpurnem Stoff bezogene Liege. Elagabal lag leicht versetzt hinter ihr, so da? er mit seiner Rechten ihren linken Arm streifte, als er zum ersten Mal nach den Datteln auf dem Tisch vor der Kline griff. Er war ihr so nah, da? Samu trotz des schweren Parfums, das der Phonizier benutzte, den sauren Schwei? unter seinen Achseln riechen konnte.

»Meine Liebe, darf ich Euch unsere Tischgefahrten vorstellen?« Elagabal wedelte wieder auf die ihm eigene, affektierte Art mit seiner Rechten und wies dann auf den Mann, der ihnen gegenuber lag. »Dies ist der ehrwurdige Archelaos, der Hohepriester der Theokratie von Comana und ein besonderer Freund des Gnaeus Pompeius.« Archelaos runzelte verargert die Stirn, doch Elagabal fuhr ungeruhrt fort. »Eigentlich ist er der Gast meines Rivalen Iubal, aber fur diesen Abend hat er sich dazu durchringen konnen, mir die Ehre zu erweisen. Zu seiner Rechten liegt Iubal, der mich eigentlich nicht leiden mag. Doch offenbar mochte er seinen erlauchten Gast nicht allein an meiner Tafel speisen lassen. Man sagt, er sei der reichste Kaufmann in Tyros, doch ich habe meine Zweifel.«

Iubal, ein kleiner, schlaksiger Mann von vielleicht vierzig Jahren, hob seinen Weinpokal, so als wolle er Elagabal zuprosten.

»Aber, aber, mein Freund! Du kennst doch meinen Wahlspruch. Wer wirklich reich ist, hat es nicht notig, daruber zu reden. Lassen wir dieses leidige Thema doch fur den Abend.«

»Wie man hort, ist er einer der geschicktesten Rhetoriker in der Boyie, dem Rat der Hundert, der uber das Schicksal unserer Stadt bestimmt.« Die Stimme des Gastgebers war einen Moment lang kuhler geworden, doch dann verfiel er wieder in seinen frechen Plauderton. »Der unverschamt gutaussehende junge Mann dort vorne ist Oiagros, mein bester Kapitan. Er behauptet, da? seine Urahnin eine Nymphe gewesen sei und da? er vom altesten thrakischen Konigsgeschlecht abstamme, doch ich bin eher der Meinung, da? seine Stammutter eine Nereide gewesen sein mu?, denn kein Sturm vermag ihm etwas anzuhaben, und selbst bei widrigster See hat er meine Schiffe bisher stets unbeschadet in den Hafen gebracht. Der ehrwurdige Greis an seiner Seite aber ist Azemilkos, der Hohepriester des Melkart, des Schutzgottes unserer Stadt. Wo so viele Priester um einen Tisch versammelt sind, werden die Gotter unserem kleinen Fest heute abend sicher wohl gesonnen sein.« Elagabal lachte als einziger uber seinen Scherz und griff nach den Datteln auf dem Tisch.

»Mir scheint, Ihr habt schon reichlich getrunken«, entgegnete der greise Priester eisig. »Sonst wurdet Ihr wohl nicht auf diese respektlose Art von den Gottern sprechen. Ich hoffe, Ihr habt dem Melkart ein Opfer gebracht, bevor Ihr Euer Haus den Gasten geoffnet habt.« Das Gesicht des Alten sah zum Furchten aus. Sein Schadel war kahlgeschoren, und seine welke Haut spannte sich so straff uber die Knochen, da? sein Antlitz Samu an die Zuge alter Mumien erinnerte. Anstelle von Augen klafften zwei rote, vernarbte Hohlen in seinem Kopf.

»Seid Ihr die Priesterin, die heute morgen im Tempel war, um dem Melkart eine Wachtel zu opfern?«

»So ist es«, entgegnete Samu und hoffte, da? er ihrer Stimme nicht den Ekel anhorte, den sie vor ihm empfand. »Ich sehe, da? Eure Priester Euch wohl unterrichten, Eure Erhabenheit.«

»Nur weil ich blind bin, hei?t das nicht, da? ich nicht wu?te, was um mich herum geschieht. Ich selbst habe mir mit einem Opferdolch das Augenlicht genommen, um meinem Gott naher zu sein und nicht durch all das schnode Blendwerk, das geschaffen ward, die Sinne der Sterblichen zu verwirren, von der Erkenntnis des wahrhaft Gottlichen abgelenkt zu werden. Doch genug davon! Im ubrigen wurde ich vorschlagen, da? wir darauf verzichten, einander mit Ehrennamen und Titeln anzusprechen, denn auch dies sind nur leere Hullen, die fast nichts uber das Wesen der vermeintlichen Wurdentrager aussagen. Oder sollte es jemanden in dieser Runde geben, der darauf beharrt, da? wir die Formlichkeiten beibehalten?«

Samu musterte die Gesichter der Anwesenden verstohlen, wahrend sie sich vorbeugte, um nach den Datteln auf dem Tisch zu greifen. Iubal und der Priesterkonig Archelaos tauschten Blicke aus. Offenbar war der Hohepriester und Herrscher von Comana von der Rede des Alten einigerma?en verblufft. Fur das hohe Amt, das Archelaos bekleidete, war er noch sehr jung. Er hatte dunkle Haut, und ein kurzgeschorener Bart rahmte sein Gesicht. Sein schwarzes Haar war leicht gelockt und fiel ihm bis weit uber die Schultern hinab.

Fast jeden seiner Finger schmuckte ein Ring, und um seinen Hals hing eine schwere goldene Kette. Sein Gewand bedeckte seine Arme nicht, so da? man erkennen konnte, wie erstaunlich muskulos er fur einen Priester war. Wahrscheinlich stand er dem wettergegerbten Oiagros kaum an Kraft nach.

»Nun, da mir keiner widerspricht, gehe ich davon aus, da? es keine Einwande gegen meinen Vorschlag gibt.« Azemilkos lachelte, was seinem Gesicht eine erstaunliche Ahnlichkeit mit einem grinsenden Totenschadel verlieh. »Wurdest du mir die Ehre erweisen, mir deine rechte Hand zu reichen, Priesterin?«

Samu blickte verblufft zu Elagabal, doch dieser schien genauso verwundert zu sein wie sie. Mit einem unguten Gefuhl folgte sie der Aufforderung des Hohepriesters. Wie die Kralle eines Raubvogels schnappte seine Hand nach ihr. Azemilkos hatte lange, gelbe Fingernagel. Mit ihnen strich er Samu uber den Handrucken.

»Wende deine Hand bitte, so da? ihre Innenflache zur Decke weist, sonst kann ich nicht in ihr lesen.«

Stumm gehorchte Samu. Sie hatte das Gefuhl, als krieche ihr eine gro?e Spinne uber die Hand, als Azemilkos uber ihre Finger tastete.

Der Hohepriester lachte leise. »Hast du Angst vor mir, Priesterin? Deine Hand ist ganz feucht.«

»Sollte ich das?« Samu starrte in seine vernarbten Augenhohlen und betete stumm zu Isis, da? die Zauberreiche sie vor der Macht des Hohepriesters schutzen moge.

»Die Gottin ist stark in dir, Samu. Da ist ein Schatten, den das Licht des Melkart nicht zu durchdringen vermag.

Ich sehe eine Frau in einem wei?en Gewand und einen Mann, der einen Kopf wie ein Schakal hat. Sie beide ringen um dich, Samu! Ein ...«

Mit einem Aufschrei ri? Azemilkos seine Hand zuruck.

»Was ist geschehen?« Elagabal war aufgesprungen und kniete neben der Kline

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