zuruckzulegen? Die Lage schien hoffnungslos. Doch ich hatte eines vergessen: die au?ergewohnliche lauferische Fahigkeit des alten Zulu.
Ohne ein Wort zu verlieren, sprang er aus dem Sattel und begann, mich hineinzuhieven.
»Was willst du tun?« fragte ich.
»Laufen«, antwortete er und ergriff meinen Steigbugelriemen.
Und wieder machten wir uns auf den Weg; wir kamen fast so schnell voran wie vorher. Und was fur eine Erleichterung es erst fur mich war, jetzt auf dem anderen Pferd zu sitzen! Jeder, der schon einmal gegen die Zeit geritten ist, wird es mir nachfuhlen konnen.
Daylight jagte in langgestrecktem Galopp dahin, und mit jedem Schritt zog er den hageren Zulu ein Stuck voran. Es war ein herrlicher Anblick, wie der alte Zulu vorwartssturmte. Meile fur Meile, mit leicht geoffnetem Mund. Seine Nustern waren weit geblaht und bebten wie die des Pferdes. Ungefahr alle funf Meilen hielten wir fur ein paar Minuten lang an, damit er wieder zu Atem kommen konnte, und dann sturmten wir weiter.
»Kannst du noch weiterlaufen«, fragte ich ihn, als wir zum dritten Male anhielten, »oder soll ich voraus- reiten und auf dich warten?«
Er zeigte mit seiner Axt auf eine verschwommene Masse weit in der Ferne. Es war der Tempel der Sonne. Ungefahr funf Meilen trennten uns noch von ihm.
»Entweder erreiche ich ihn, oder ich sterbe!« brachte er keuchend hervor.
Oh, was waren das fur schreckliche, unendlich lange funf Meilen, dieses letzte Stuck bis zum Stadttor! Die Innenseiten meiner Schenkel waren wundgerieben, und jede Bewegung meines Pferdes bereitete mir wahre Hollenqualen. Doch das war noch nicht alles! Ich war vollig erschopft vor Anstrengung, Hunger und Mudigkeit, und die Wunde auf meiner linken Seite schmerzte entsetzlich. Ich hatte das Gefuhl, als bohre sich ein Knochensplitter ganz langsam in meine Lunge. Auch der arme Daylight war fast am Ende - kein Wunder nach diesem irrsinnigen Hollenritt. Aber schon lag der Geruch des Morgengrauens in der Luft, und wir wollten um jeden Preis durchhalten. Besser, wir starben alle drei auf dem Wege, als da? wir aufgaben, solange auch nur ein Funkchen Leben in uns flackerte. Die Luft war dick und schwer, wie es haufig der Fall ist, kurz bevor der Morgen anbricht. Und dann kundigte sich der bevorstehende Sonnenaufgang durch ein weiteres, unverkennbares Zeichen an, dem ich in Zu- Vendis schon haufig begegnet war: Hunderte von kleinen Spinnen, die an den Enden ihrer langen Faden und Gewebe klebten, schwebten mit einem Mal durch die Morgenluft. Diese kleinen Tiere, oder vielmehr ihre Netze, legten sich zu Dutzenden uber uns, und da wir weder die Zeit noch die Kraft dazu hatten, sie wegzubursten, sturmten wir dahin, uber und uber mit Hunderten von langen, grauen Faden bedeckt, die bis zu mehreren Yards hinter uns herflatterten - wir mussen wirklich furchterregend ausgesehen haben.
Und nun tauchen die riesigen Messingtore der Au?enmauer von Milosis vor uns auf, und eine neue, schreckliche Sorge ergreift mich: Was sollen wir tun, wenn sie uns nicht einlassen?
»Offnet, offnet!« rufe ich mit gebieterischer Stimme und gebe das konigliche Losungswort. »Macht das Tor auf! Hier ist ein Bote, der Nachricht vom Kriege bringt!«
»Was fur eine Nachricht?« rief der Wachtposten. »Und wer bist du, der du geritten kommst wie ein Rasender? Und wer ist der, dessen Zunge so weit heraushangt« - das tat sie auch wirklich - »und der neben dir einherrennt wie ein Hund neben dem Streitwagen?«
»Es ist Furst Macumazahn, und bei ihm ist sein Hund, sein schwarzer Hund.
Die gro?en Tore glitten auf ihren Rollen zur Seite, und die Zugbrucke fiel mit lautem Gerassel herunter, und schon waren wir hinuber und sturmten weiter.
»Welche Kunde, Herr, welche Kunde bringst du?« schrie der Wachtposten.
»Incubu treibt Sorais zuruck wie der Wind die Wolken«, antwortete ich noch, und dann waren wir schon au?er Sichtweite.
Noch eine letzte Anstrengung, braves Pferd, und noch braverer Mann!
Strauchle nun nicht in letzter Minute, Daylight, und du, altes Zulu-Kriegsro?, halte dein Leben noch in dir, nur funfzehn kurze Minuten, und beide werdet ihr fur ewig in die Annalen dieses Volkes eingehen!
Weiter, in wildem Galopp durch die schlafenden Stra?en, vorbei jetzt am Blumentempel - noch eine Meile, nur noch eine winzige Meile - halte aus, nimm deine letzte Kraft zusammen, schau, wie die Hauser fast wie von selbst an uns voruberfliegen! Vorwarts, braves Pferd, vorwarts - nur noch funfzig Yards! Ja, du siehst deinen Stall vor Augen und wankst tapfer weiter!
»Dem Himmel sei gedankt - endlich - der Palast!« Und siehe da, die ersten Pfeile der Morgendammerung treffen auf die goldene Kuppel des Tempels![17] Werde ich eintreten konnen, oder ist die Bluttat schon vollbracht und das Tor verriegelt?
Erneut gebe ich das Losungswort und rufe laut:
Keine Antwort, und der Mut sinkt mir.
Und wieder rufe ich, und dieses Mal antwortet eine einzelne Stimme, und zu meiner Freude erkenne ich in ihr die Stimme von Kara, einem Offizier aus Nylephtas Garde, einem Mann, von dem ich wei?, da? er treu wie Gold ist - es ist jener Mann, den Nylephta gesandt hatte, Sorais zu verhaften an dem Tage, als sie zum Tempel geflohen war.
»Bist du es, Kara?« rufe ich. »Hier ist Macumazahn. Gib der Wache den Befehl, die Brucke herunterzulassen und das Tor weit zu offnen! Rasch, rasch!«
Die darauffolgenden Minuten schienen mir endlos. Doch endlich fiel die Brucke, ein Torflugel schwang auf, und wir sturmten in den Hof. Und hier brach der arme Daylight unter mir zusammen, tot, wie ich vermutete. Ich rappelte mich muhsam auf, lehnte mich erschopft gegen einen Pfosten und schaute mich um. Au?er Kara war niemand zu sehen. Er machte einen verstorten Eindruck; seine Kleider hingen ihm in Fetzen vom Leibe. Er hatte allein das Tor geoffnet und die Brucke heruntergelassen, und nun war er dabei sie wieder hochzuziehen (was ein einzelner Mann dank eines genial konstruierten Mechanismus aus Hebeln und Winden auch ohne Schwierigkeiten konnte und in der Tat gewohnlich auch machte).
»Wo ist die Leibwache?« fragte ich, noch immer schwer atmend. Ich hatte eine solche Furcht vor seiner Antwort, wie noch nie vor etwas in meinem ganzen Leben.
»Ich wei? es nicht«, erwiderte er. »Vor zwei Stunden, als ich noch schlief, ergriff man und fesselte mich, und erst jetzt ist es mir gelungen, mich mit den Zahnen meiner Fesseln zu entledigen. Ich furchte, ich furchte sehr, da? wir verraten wurden.«
Seine Worte gaben mir neuen Mut. Ich griff ihn beim Arm und humpelte, gefolgt von Umslopogaas, der wie ein Betrunkener hinter uns hertorkelte, uber den Hof, durchquerte die gro?e Halle, die jetzt still war wie ein Grab, und naherte mich dem Schlafgemach der Konigin.
Wir kamen in das erste Vorzimmer - kein Wachtposten war zu sehen; dann ins zweite - immer noch kein Wachtposten! Allmachtiger! Sicher war es schon geschehen! Nun waren wir doch zu spat gekommen! Die Stille und die Einsamkeit der gro?en leeren Gemacher waren bedruckend; sie lasteten auf mir wie ein boser Traum. Und dann kamen wir an Nylephtas
Schlafgemach. Wir sturzten hinein, das Schlimmste befurchtend. Doch da - ein Licht, ja, und eine Gestalt, eine weibliche Gestalt, die das Licht tragt. Oh, Gott sei Dank, es ist die Konigin selbst, die Wei?e Konigin; sie ist unverletzt! Da steht sie vor uns in ihrem Nachtgewand. Der Larm unserer Ankunft hat sie geweckt, und sie ist aus ihrem Bette aufgestanden. Sie ist noch benommen vom Schlafe, und die Rote der Furcht und der Scham bedeckte wie ein Tuch ihre liebliche Brust und ihre Wange.
»Wer ist da?« ruft sie voller Angst. »Was hat dies zu bedeuten? Oh, Macumazahn, du bist es. Warum siehst du so verwirrt und erschopft aus? Du scheinst mir wie einer, der schlimme Kunde bringt - und mein Gebieter - oh, bitte, sage mir nicht, da? mein Gebieter tot ist!« Sie brach in Tranen aus und rang ihre wei?en Hande.
»Als ich Incubu verlie?, war er zwar leicht verwundet, aber er fuhrte dennoch den Vorsto? unseres Heeres gegen Sorais gestern abend bei Sonnenuntergang; darum mag dein Herz sich beruhigen. Sorais ist auf ganzer Linie zuruckgeschlagen, und deine Streitmacht hat die Oberhand gewonnen.«
»Ich wu?te es!« rief sie triumphierend. »Ich wu?te, er wurde obsiegen; doch sie nannten ihn einen Auslander und schuttelten ihre weisen Haupter, als ich ihm das Kommando ubertrug! Gestern abend bei Sonnenuntergang, sagst du, und noch hat der Morgen nicht gegraut. Gewi? ... «
»Wirf einen Mantel uber deine Schultern, Nylephta«, unterbrach ich sie, »und gib uns Wein zu hinken; ja, und rufe schnell deine Zofen herbei, wenn dir dein Leben lieb ist. Saume nicht! Rasch nun!«
Solcherma?en inbrunstig gebeten eilte sie zum Vorhang ihres Gemaches und rief etwas in einen