dahinterliegenden Raum. Dann schlupfte sie hastig in ihre Sandalen und warf sich einen warmen Mantel uber. Mittlerweile hatte sich der Raum schon mit etwa einem halben Dutzend halbbekleideter Frauen gefullt.

»Folgt uns und gebt keinen Laut von euch«, sagte ich zu ihnen. Sie starrten mich verwundert an und hielten sich aneinander angstlich fest. Dann gingen wir in das erste Vorzimmer.

»Nun«, sagte ich, »gebt uns Wein zu trinken und Nahrung so ihr welche habt, denn wir sind dem Hungertode nahe.«

Der Raum diente als Messe fur die Offiziere der Leibgarde. Man brachte uns schnell mehrere Flaschen Wein aus einem Schrank und ein wenig kaltes Fleisch. Hungrig fielen Umslopogaas und ich daruber her, und bald fuhlten wir, wie mit dem guten Wein auch wieder neues Leben in unsere Venen rann.

»Horche, Nylephta«, sagte ich, als ich das leere Seidel absetzte. »Hast du hier unter deinen Zofen solche, die zuverlassig und verschwiegen sind?«

»Gewi?.«

»Dann hei?e sie, durch eine Seitentur den Palast zu verlassen, auf die Stra?e hinauszugehen und jeden Burger, von dem du wei?t, da? er dir treu ergeben ist, zu bitten, da? er bewaffnet hierherkomme. Sie sollen alle ehrenhaften Leute versammeln, um dich vor dem Tode zu erretten. Nein, stelle mir keine Fragen; tu, wie ich dir sage, rasch! Kara wird die Madchen hinauslassen.«

Sie blickte in die Runde, wahlte zwei aus dem Kreise der Zofen aus und wiederholte meine Worte. Dann nannte sie ihnen die Namen der Manner, zu denen sie gehen sollten.

»Eilet schnell und lasset euch nicht erblicken; eilet, als ginge es um euer eigenes Leben«, fugte ich hinzu.

Im nachsten Moment verschwanden sie schon zusammen mit Kara, den ich beauftragt hatte, uns an dem Tor, das den gro?en Hof mit der Treppe verband, zu erwarten, sobald er die Tur hinter den Madchen geschlossen hatte. Dann gingen auch Umslopogaas und ich zu dem vereinbarten Treffpunkt, gefolgt von der Konigin und ihren Dienerinnen. Wahrend wir gingen, bissen wir gierig gro?e Stucke von dem kalten Fleisch ab. Zwischen den einzelnen Bissen erzahlte ich der Konigin, was ich von der Gefahr wu?te, die ihr drohte, und in welchem Zustand wir Kara vorgefunden hatten, und da? alle Gardisten und Diener fortgelaufen waren, und da? sie ganz alleine mit ihren Zofen und Dienerinnen im Palast war. Daraufhin berichtete sie mir, in der ganzen Stadt hatte sich das Gerucht verbreitet, da? unsere Armee vollig vernichtet worden sei, und da? Sorais im Triumphe auf Milosis marschiere. Daraufhin seien alle Manner von ihr, Nylephta, abgefallen.

Auch wenn es eine ganze Weile dauert, all dies zu erzahlen, so waren doch kaum mehr als sechs oder sieben Minuten vergangen, seit wir den Palast betreten hatten. Zwar glanzte die hehre goldene Kuppel des Tempels bereits hell in den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, doch noch hatte der Tag nicht begonnen. Ich wu?te, zehn Minuten wurden uns noch bleiben. Wir befanden uns inzwischen auf dem gro?en Hofe des Palastes. Meine Wunde bereitete mir jetzt solche Schmerzen, da? ich Nylephtas Arm als Stutze nehmen mu?te. Umslopogaas ging hinter uns her und schlang hei?hungrig Fleisch in sich hinein.

Jetzt hatten wir den Hof uberquert und standen vor dem schmalen Durchgang in der Palastmauer, hinter dem die riesige Treppe begann, die hinunter zum Wasser fuhrte.

Ich blickte durch die schmale Offnung hindurch und stutzte. Ich blickte erneut hindurch und glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. Was ich sah, lie? mir fast das Blut in den Adern gefrieren - die Tur war verschwunden; ebenso das gro?e Au?entor aus Bronze - einfach fort, wie vom Erdboden verschwunden. Sie waren einfach aus den Angeln gehoben worden und, wie wir spater erfuhren, von der gro?en Treppe herab in die Tiefe geworfen worden und zweihundert Fu? weiter unten zerschellt. Vor uns befand sich nur noch eine Offnung von etwa der doppelten Gro?e eines ovalen E?tisches; dahinter schlossen sich direkt die zehn runden schwarzen Marmorstufen an, die zur Haupttreppe fuhren - das war alles.

22

Wie Umslopogaas die Treppe verteidigte

Wir schauten uns an.

»Du siehst«, sagte ich, zu Nylephta gewandt, »sie haben die Tur entfernt. Gibt es irgend etwas, womit wir die Lucke fullen konnen? Besinne dich rasch; denn sie werden noch vor dem Tageslicht hier sein!« Ich wu?te, diesen Platz oder keinen galt es zu verteidigen, gab es doch nirgends feste Turen innerhalb des Palastes. Alle Raume waren lediglich durch Vorhange voneinander getrennt. Ich wu?te ebenso, da?, wenn es uns gelange, diesen Eingang zu halten, die Morder nirgends sonst in den Palast eindringen konnten. Denn der Palast ist absolut uneinnehmbar, um so mehr, seit der geheime Zugang, durch den Sorais in jener denkwurdigen Nacht, da sie ihre Schwester meucheln wollte, eingedrungen war, auf Nylephtas Gehei? hin zugemauert worden war.

»Ich habe es!« rief Nylephta, die im entscheidenden Moment in bewundernswerter Weise uber sich hinauswuchs. »In der hinteren Ecke des Hofes befinden sich mehrere Blocke gehauenen Marmelsteins - die Arbeiter trugen sie dorthin; sie sind bestimmt fur den Sockel der neuen Statue meines Gebieters Incubu. La?t uns mit ihnen den Zugang verschlie?en!«

Vor Freude uber diese gro?artige Idee hatte ich einen Luftsprung machen konnen. Sofort schickte ich eine der restlichen Zofen hinunter, um Hilfe von den gro?en Hafenanlagen zu holen. Ihr Vater, ein reicher Handelsmann, der viele Leute beschaftigte, wohnte dort unten. Eine zweite lie? ich als Wache an der Toroffnung zuruck. Sie sollte in regelma?igen Abstanden durch die gro?e Offnung blicken, um zu sehen, ob der Feind schon nahte. Alsdann gingen wir wieder zuruck durch den Hof, um zu der Stelle zu gelangen, wo die Marmorplatten lagen. Unterwegs trafen wir Kara, der gerade die beiden Botinnen losgeschickt hatte. Und da lagen sie vor uns, die gro?en Marmorblocke; es waren breite, massive Klotze. Einige von ihnen waren wohl an die sechs Zoll stark und wogen gut achtzig Pfund. Zum Gluck fanden wir neben ihnen zwei Gerate, die die Form kleiner Tragbahren hatten. Auf ihnen pflegten die Arbeiter die Blocke zu schleppen. Unverzuglich legten wir einige der Blocke auf die Tragbahren, und vier der Madchen trugen sie sogleich zu der Toroffnung.

»Hore, Macumazahn«, sagte Umslopogaas, »wenn diese nichtswurdigen Burschen kommen, dann werde ich die Treppe gegen sie verteidigen, bis das Loch mit Marmor gefullt ist. Nein, nein widersprich mir nicht, alter Freund! Ich werde sie abwehren, auch wenn ich dabei mein Leben verliere! Es war ein guter Tag, und nun la? es auch eine gute Nacht werden! Siehe, ich lege mich nieder auf den Marmor, um auszuruhen. Wenn ihre Schritte nahen, dann wecke mich; doch nicht vorher, denn ich brauche alle meine Kraft.« Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging er hinaus und legte sich auf den Marmor; und in Sekundenschnelle war er eingeschlafen.

Auch ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Mir wurde wieder schwarz vor den Augen, und ich mu?te mich nahe der Toroffnung hinsetzen und mich damit begnugen, die Arbeit zu dirigieren.

Die Madchen trugen die Blocke heran, und Kara und Nylephta schichteten sie vor der sechs Fu? breiten Toroffnung auf. Sie mu?ten drei Reihen hintereinander stapeln - weniger wurde nicht ausreichen; das wu?te ich. Doch die Madchen mu?ten jedesmal vierzig Yards mit den schweren Blocken laufen, und dann vierzig Yards zuruck, und obwohl sie sich bis zum Umfallen verausgabten - manche wankten sogar alleine, mit einem riesigen Block bepackt, zum Tor, wuchs die Mauer nur sehr langsam, erschreckend langsam.

Es wurde nun immer heller. Plotzlich vernahmen wir, wie aus weiter Ferne, vom unteren Ende der Treppe her, das leise Klirren von Waffen erklang. Der Wall war erst zwei Fu? hoch, obwohl wir schon seit acht Minuten damit beschaftigt waren, ihn aufzuschichten. Nun waren sie also gekommen; Alphonse hatte richtig gehort.

Das klirrende Gerausch kam naher. Ich blickte durch die Offnung, und in dem gespenstischen Licht des Morgengrauens sah ich, wie etwa funfzig Manner in langer Reihe langsam die Treppe heraufkamen. Sie befanden sich jetzt auf der Plattform zwischen den beiden Fluchten, die auf dem gro?en, freischwebenden Bogen ruhte. Auf einmal blieben sie stehen; sie schienen zu bemerken, da? oben irgend etwas im Gange war. Wir gewannen kostbare Minuten. Mehr als drei Minuten verharrten sie unschlussig und berieten sich, bevor sie langsam und vorsichtig weiterstiegen.

Inzwischen war etwa eine Viertelstunde vergangen, seit wir mit der Arbeit begonnen hatten. Die Mauer war jetzt knapp drei Fu? hoch.

Es war Zeit, Umslopogaas zu wecken. Der gro?e Mann stand auf, reckte sich und schwang Inkosi-kaas uber seinem Haupte.

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