Flecken auf dem groben Kleidungsstoff.
Einem der anderen Manner – einem riesigen kahlkopfigen Schlagertypen – schien das Getue auf die Nerven zu gehen. An einem Riemen hing von seinem Gurtel eine brennende Ollaterne herab. Ihr Licht lie? auf seinen Armen eindrucksvolle Tattoos aufleuchten, die sich wie zwei Armel bis zu den Handgelenken hinunterzogen. Hohnisch musterte er seinen Kumpan.
»Na, genie?te deinen kleinen Ausflug?«
»Hey, ich hab auch was getan«, erwiderte der erste Mann.
»Also, was war nun los in Wints Bude?«
Der Neuankommling schuttelte den Kopf. »Der Baron hatte recht. Wint hat hier heimlich Zeugs geklemmt und versucht, das zu verscherbeln. Neben dem Bett hab ich einen riesen Haufen Jacken und Hosen gefunden.«
»Hat dich jemand gesehen?«
»Niemand. War unsichtbar wie ein Geist.«
»Haste alles erwischt?«
Der Mann wies nickend auf den Leinensack. »Hab alles zusammengerafft und da reingestopft.«
»In Ordnung. Schmei? das Zeugs auch noch auf den Wagen.«
Als der Neuankommling sich in Bewegung setzte, um den Sack aufzuheben, rief ihm sein bulliger Komplize hinterher: »Haste Wints Bude abgefackelt?«
Der Neuankommling schuttelte den Kopf.
Der bullige Mann zuckte die Achseln. »Das kannst du dann dem Baron selbst erklaren, wenn du ihn triffst.«
»Hey, Clem. Die andere Karre da brauchen wir nicht mehr, oder?«, rief plotzlich einer der Manner und wies mit dem Kopf auf den anderen Wagen.
Der Tatowierte wandte sich halb zu den Arbeitern um. »Lass ihn stehn«, sagte er. »Wahrscheinlich brauchen wir den nicht mehr. Aber mit ›Wahrscheinlich‹ hat es der Baron nicht so. Is namlich ’n vorsichtiger Mann, der Baron.« Er wandte sich wieder dem Neuankommling zu und zeigte auf die gelben Puderflecken auf dessen Weste.
»Du hast da noch was von ihrem Zeugs an dir. Wints Bude ist bestimmt auch damit beschmiert. Der Baron wird wollen, dass du sie abfackelst. Genauso wie diese Hutte hier. Sieh zu, dass du alle Beweise vernichtest.«
Der Neuankommling blickte an seiner Weste hinab. »Was ist das fur ein Zeugs?«, fragte er.
Sein Kumpan gab ein Lachen von sich, das wie eine Mischung aus Schnauben und Husten klang. »Besser man wei? nicht alles«, erwiderte er.
Der Neuankommling betrachtete zunachst seine Hande. Dann sah er wieder den Mann an. Sein Gesicht war auf einmal verkrampft und kreidebleich. »Hey, Clem, hei?t das, dass das mit Wint auch mir passiert?«
Clem schuttelte den Kopf. »Nicht wenn de es ordentlich abwaschst, wie der Baron gesagt hat.« Er blickte zu den anderen Mannern hinuber, die nun, nachdem alle Kisten auf dem Wagen verstaut waren, untatig herumstanden und sich miteinander unterhielten. »In Ordnung, Leute. Zeit abzuhauen. Martin und Joe, ihr fahrt den Wagen. Ihr wisst, wo ihr hinmusst. Stouffer und Flynn, ihr macht euch zum Baron auf.« Er drehte sich zu dem Neuankommling um. »Denny, wir beide kummern uns um die Bude hier. Brenn sie ab. Sie ist viel zu gro?, um hundertprozentig auszuschlie?en, dass wir vielleicht nicht doch die ein oder andere Spur hinterlassen haben.«
Der Neuankommling – Denny – sah sich in der Scheune um. »Muss das sein?«, fragte er mit Bedauern in der Stimme. »Denk doch mal dran, was sich aus dem Schuppen hier machen lie?e, sobald der Baron ihn nicht mehr braucht. Konnten zum Beispiel Geschafte hier abziehen oder vielleicht die gro?te Kneipe im ganzen Umkreis aufmachen. Wir konnten Madels zum Singen und Tanzen herholen und so was. Ist irgendwie ’ne Schande, das Ding einfach so abzufackeln.«
Clems Gesicht nahm einen bedrohlichen Ausdruck an. Finster starrte er seinen Kumpan an. »Wenn du zum Baron gehen und ihm das verklickern willst, nur zu. Was mich anbelangt, werde ich einfach meine Anweisungen befolgen.«
Denny schien unter dem drohenden Blick des anderen formlich zu schrumpfen. »Hab ja nur gefragt«, antwortete er kleinlaut.
Einer von den Mannern, die am Wagen herumstanden, hob seinen Arm, um Clem auf sich aufmerksam zu machen. »Wann werden wir bezahlt?«, wollte er wissen.
»Wenn die Klamotten abgeliefert worden sind«, knurrte Clem. »Wir treffen uns morgen in Mollys Kneipe. Ich krieg das Geld vom Baron und verteil’s dann.«
»Und woher wissen wir, dass du da sein wirst?«, fragte ein anderer Mann, der halbherzig die Hand gehoben hatte.
Clem starrte den Fragenden an, bis er den Blick abwandte. »Weil der Baron unser Schweigen kauft«, antwortete er dann. »Eures und meins, vergesst das nicht. Wenn ihr nicht bezahlt werdet und dann jemandem erzahlt, was wir gemacht haben, wird sich der Baron meine Wenigkeit vorknopfen. Und das ist etwas, was ich absolut nicht will. Jeder wird bezahlt. Fair und anstandig, kapiert?«
Der Mann nickte zufriedengestellt. »In Ordnung.«
Sherlock drangte sich noch dichter an den Kistenstapel, als die Manner sich zerstreuten. Zwei stiegen auf den Wagen und zwei andere offneten die beiden massiven Torflugel, damit der Wagen hinausfahren konnte. Clem hingegen blieb zuruck, um die Leute zu beaufsichtigen, wahrend Denny verloren in der Gegend herumstand. Der Mann, der den Wagen lenkte, schnalzte mit der Zunge und gab dem Pferd mit einer langen Gerte einen Klaps auf den Rucken. Immer noch Heu aus dem Nasenbeutel vor sich hinfutternd, setzte sich das Tier langsam in Bewegung.
Clem ging auf die gro?en Torflugel zu und storte sich nicht daran, dass die Ollaterne, die an seinem Gurtel hing, permanent gegen seinen Oberschenkel stie?. Ohne sich umzusehen, wies er mit dem Daumen nach hinten zu der Stelle, wo Sherlock sich versteckt hielt. »Schlie? die Seitentur ab«, knurrte er. »Dann komm nach vorn zum Tor.«
Sherlock blieb vor Entsetzen das Herz stehen, als Denny auf sein Versteck zusteuerte. Wenn er um den Kistenstapel herumkam, wurde er Sherlock zwangslaufig entdecken. Und wenn das geschah, war es um seine Uberlebenschancen schlecht bestellt. Sherlock nahm eine andere Korperstellung ein und spannte die Muskeln an, bereit loszurennen. Konnte er es zur Seitentur schaffen, bevor Denny ihn erwischen wurde? Sherlock war sich da nicht so sicher, aber noch weniger sicher war er, ob er uberhaupt eine Alternative hatte.
Denny war nun fast auf gleicher Hohe mit dem Kistenstapel, und Sherlock kam in den Genuss des sauren Schwei?geruchs, den seine Kleidung verstromte. Sherlock warf rasch einen Blick auf Clem, um zu sehen, ob der korpulente Riese noch nahe genug war, um Denny eventuell dabei helfen zu konnen, ihn zu schnappen. Clem hatte jetzt fast das Eingangstor erreicht. Sherlock glitt schnell um den Stapel herum. Als Denny an den Kisten vorbeiging, ruckte Sherlock noch einmal ein Stuck weiter herum. Wenn Clem sich noch einmal umdrehte, bevor er aus dem Tor hinausging, wurde er Sherlock sehen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber er tat es nicht. Mit stockendem Atem beobachtete Sherlock, wie Clem drau?en in der hellen Nachmittagssonne verschwand. Einen Augenblick spater schwang der erste Torflugel langsam nach innen. Seine raue Holzunterkante schleifte durch den Dreck und die rostigen Angeln gaben ein nervenzerrei?endes Quietschen von sich.
Sherlock blickte uber den Kistenstapel hinweg. Denny hatte sich gerade davon uberzeugt, dass die Tur, durch die Sherlock gekommen war, richtig geschlossen war. Nun machte er sich daran, die Riegel vorzuschieben. Niemand wurde dann mehr von au?en reinkommen konnen. Aber sobald Denny weg war, wurde es kein Problem sein, die Riegel wieder rauszuziehen, die Tur zu offnen und zu verschwinden.
Doch es sollte anders kommen. Denn Denny hob ein Vorhangeschloss vom Boden auf. Dann fuhrte er den Bugel des Schlosses zunachst durch eine Ose am obersten Turriegel und anschlie?end durch einen Eisenring, der am Turrahmen angebracht war. Mit einem unmissverstandlichen
Sherlock spurte, wie ihm das Herz bis zum Hals klopfte und seine Handflachen ganz feucht wurden. Er warf einen kurzen Blick uber die Schulter zuruck und musterte das Schloss. Es sah ziemlich stabil aus. Auf diesem Weg wurde er nicht mehr herauskommen. Zumindest nicht schnell und ohne eine Menge Krach zu machen. Er wurde eben einfach warten mussen, bis Denny und Clem verschwunden waren, vorsichtshalber noch funf Minuten verstreichen lassen und dann auf demselben Weg hinausgehen, den die beiden Schurken genommen hatten.