Denny erreichte das Tor gerade in dem Moment, als der zweite Flugel nach innen schwang. Der Lichtstreifen, der drau?en vom Hof hereinschien, wurde schmaler und schmaler, schrumpfte zu einem Balken, zu einer Linie und dann … Schwarze und ein dumpfer Rums, als sich die Torflugel endgultig schlossen.

Sherlock rutschte das Herz in die Hose und seine Stimmung wurde noch truber als das Licht, als er einen unmissverstandlichen Laut vernahm. Drau?en wurde ein Sperrbalken in die dafur vorgesehene Halterung geschoben. Es gab keinen Weg mehr hinaus!

Einige Augenblicke konnte er horen, wie sich die beiden Manner drau?en unterhielten, ohne dass er mitbekam, was genau sie sprachen. Er richtete sich auf, um zum verschlossenen Tor hinuberzugehen. Vielleicht konnte er ja ein paar Worte aufschnappen. Aber ein plotzliches Gerausch lie? ihn erstarren.

Clem hatte seine Ollaterne gegen das Tor geschmettert.

Glas zerbrach und Flussigkeit spritzte uber das Holz. Stille. Dann ein Unheil verkundendes Knistern, als die Dochtflamme auf das olgetrankte Holz ubergriff.

Clem und Denny hatten die Scheune tatsachlich angesteckt.

Panik drohte Sherlock zu uberwaltigen. Er wollte wegrennen, aber er wusste nicht wohin, was dazu fuhrte, dass er sich am Ende einfach nur mit zuckenden Gliedern auf der Stelle vor und zuruck bewegte. Ein bitterer metallener Geschmack machte sich in seinem Mund breit, und sein Herz hammerte so heftig, dass er seinen Pulsschlag in den Schlafen und dem Hals spurte. Einen Moment lang war er au?erstande, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn einen Fluchtplan zu schmieden. Doch nach und nach gelang es ihm, die Panik zu unterdrucken, indem er sich gebetsmuhlenartig vorhielt, dass es einfach irgendeinen Weg hinaus geben musste. Er musste nur herausfinden, welcher das war. Er spurte, wie sich sein Herzschlag allmahlich normalisierte und das Zucken in Armen und Beinen nachlie?.

Rauch begann sich in der Scheune auszubreiten und erste Flammchen wanden sich wie neugierige Finger zwischen den Bretterspalten hervor. Denk nach!, ermahnte er sich. Denk scharfer nach als jemals zuvor.

Aufmerksam blickte er sich in der Scheune um. Die meisten Kisten waren von Clem und seinen Mannern abtransportiert worden, ohne dass er herausbekommen hatte, was in ihnen war. Die Kisten, hinter denen er sich versteckt hatte, standen immer noch druben an der verschlossenen Seitentur. Aber so leicht, wie sie sich hatten bewegen lassen, als er gegen sie gekommen war, waren sie vermutlich leer.

Er sturmte auf eine Seitenwand zu und warf sich mit der Schulter gegen die Bretter. Das Holz erzitterte unter dem Aufprall, aber nicht ein Brett zersplitterte oder verbog sich. Er versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Wollte er die Wand einrei?en, wurde er mit der Schulter nicht weit kommen, sondern eine Axt oder einen Hammer oder so etwas brauchen.

Verzweifelt blickte er sich in der Scheune nach irgendeinem Werkzeug um, mit dem er eventuell die Wand zertrummern oder die Bretter auseinanderbiegen konnte. Da fiel sein Blick plotzlich auf den unbenutzten Wagen, den man achtlos zuruckgelassen hatte. Er sah intakt aus, und der Mann namens Clem hatte zu verstehen gegeben, dass man ihn benutzt hatte, waren noch mehr Kisten zu transportieren gewesen. Konnte er vielleicht mit Hilfe des Wagens irgendwie entkommen? Und wurde er sich uberhaupt von der Stelle bewegen lassen?

Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Sherlock flitzte zum Wagen hinuber und packte eine der beiden Deichseln, zwischen denen man sonst das Zugpferd anspannte. Obwohl die Deichselstange einiges wog, konnte Sherlock sie ohne allzu gro?e Muhe anheben.

Versuchsweise zog er daran, doch der Wagen ruhrte sich nicht. Er zog noch einmal. Diesmal fester. Der Wagen bewegte sich leicht, aber die andere Deichsel lag immer noch auf dem Scheunenboden, und Sherlocks Versuche druckten sie nur noch tiefer in den Dreck, so dass sich der Wagen nicht weiter von der Stelle bewegte.

Logik. Hier war Logik gefragt! Wenn er schon nicht in der Lage war, den Wagen zu ziehen, wurde er ihn vielleicht schieben konnen. Sherlock lie? die Deichsel fallen und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Frontseite, wo normalerweise der Kutscher sa?. Er bewegte sich! Der Wagen rollte ein paar Zentimeter nach hinten.

Welche Schutzgottin auch immer uber ihn wachen mochte, Sherlock dankte ihr jedenfalls, dass sie ihm gegen den mysteriosen Baron beiseite stand. Dem Baron, der seine Arbeiter mit seiner Manie, nichts dem Zufall zu uberlassen, so beeindruckt hatte, dass sie nicht nur einen Ersatzwagen besorgt, sondern daruber hinaus auch dessen Achsen sorgfaltig geschmiert hatten. Sherlock machte ein paar Schritte zuruck und sturmte dann wieder auf den Wagen zu. Heftig krachte er mit der Schulter gegen das Gefahrt. Es war dieselbe Seite, mit der er sich gegen die Scheunenwand geworfen hatte, und er spurte, wie ihm ein stechender Schmerz in Arm und Nacken schoss. Aber der Wagen rollte ein paar Meter weiter, ehe er wieder stehenblieb.

Rauch wehte ihm ins Gesicht und brachte seine Augen zum Tranen. Er drehte sich um und sah, dass nun schon Flammen am Eingangstor emporzungelten. Logischerweise wurde das Feuer die Widerstandsfahigkeit des Tores schwachen und es somit zur idealen Stelle machen, um dort mit dem Wagen durchzubrechen. Das hie?, wenn er ihn denn weit und schnell genug bewegen konnte. Au?erdem musste er ihn erst wenden, um auf das Tor zuzusteuern, und zu allem Uberfluss machten ihm auch die Flammen ziemlich Angst. Seine einzige realistische Chance, schnell rauszukommen ohne gegrillt zu werden, bestand darin, den Wagen durch die hintere Scheunenwand krachen zu lassen.

Den scharfen Schmerz ignorierend, der ihm erneut durch die Schulter fuhr, stemmte sich Sherlock mit beiden Handen gegen den Wagen. Er ging in die Knie und druckte beide Fu?e fest in den weichen Boden. Sein Korper befand sich nun fast in der Waagerechten, und er quetschte jedes bisschen Energie aus seinem Korper, das er hatte – mehr als er es jemals beim Rugbyspielen auf dem Schulsportplatz oder bei den Boxkampfen in der Turnhalle getan hatte. Eine Ewigkeit lang schien es so, als wurde sein Korper zwischen zwei unbeweglichen Objekten in der Schwebe hangen, aber dann begann sich der Wagen zu bewegen. Eines der Rader stie? gegen einen Gegenstand – vielleicht einen Stein oder einen Dreckhaufen – und der Wagen drohte wieder zum Ausgangspunkt zuruckzurollen. Aber Sherlock stemmte seine Beine in den Boden und druckte sich so heftig gegen das Gefahrt, dass seine Muskeln kreischten. Das Rad uberwand das Hindernis und der Wagen begann, nach hinten zu rollen. Sherlock hob seinen linken Fu?, machte einen gro?en Schritt nach vorn und lie? dann den rechten Fu? folgen. Der raue, schmutzige Boden gab seinen Fu?en Halt und mit aller Kraft bewegte er das Fuhrwerk Zentimeter fur Zentimeter voran. Ahnlich wie eine Lokomotive nahm der Wagen allmahlich Fahrt auf. Aus einem lahmen Kriechtempo wurde innerhalb weniger Sekunden langsame Schrittgeschwindigkeit, die alsbald in einen zugigen Marsch und schlie?lich in einen strammen Trab uberging. Sherlock spurte, wie es Ping in seiner Schulter machte, als eine Sehne uber einen Knochen flutschte, wie eine Violinensaite, an der ein Finger zupfte. Sein Arm drohte einfach kraftlos herunterzugleiten, aber mit einer gewaltigen Willensanstrengung schaffte er es, die Hand oben am Wagen zu behalten, und einen Augenblick spater lie? das taube Nadelstichgefuhl nach.

Der Wagen rollte weiter. Sherlock wagte es nicht, aufzublicken, um sich zu vergewissern, wie weit die Wand noch entfernt war. Denn er furchtete, dass sich durch die veranderte Korperhaltung die Antriebskraft auf den Wagen verringern und das Gefahrt womoglich an Fahrt verlieren konnte. Alles, was er jetzt noch tun konnte, war, seine Schritte zu zahlen: eins, zwei … vier … sechs … neun – und jeder war schneller als der vorige. Musste er nicht schon langst an der Wand sein? Er konnte die Warme des Feuers in seinem Nacken spuren. Offensichtlich brannte das Tor hinter ihm nun lichterloh. Vor sich sah er den rot gerandeten flackernden Schatten seiner eigenen Gestalt auf dem Holz des Karrens tanzen.

Im nachsten Augenblick krachte das Wagenende auch schon gegen die Ruckwand. Angetrieben durch die Wucht des eigenen Gewichtes bewegte sich das Gefahrt noch ein Stuckchen weiter voran. Latten zersplitterten und Nagel wurden mit schrecklichem Quietschen aus dem Holz gerissen. Die frische Luft, die Sherlock entgegenblies, wehte den Rauch davon, schurte aber leider auch das Feuer hinter ihm, das sich nun noch schneller voranfra?. Die Hinterrader hatten sich im Holz verhakt, doch hinter den klotzigen Kanten des Wagenkastens konnte er das Tageslicht schimmern sehen. Er kletterte auf den Kutschbock hinauf, krabbelte weiter uber die Ladeflache nach hinten und kam schlie?lich in der herrlich frischen Luft wieder zum Vorschein.

In seiner Naivitat war er irgendwie davon ausgegangen, drau?en jede Menge Menschen, darunter mit Handpumpen und Eimern bewaffnete Angehorige der lokalen Feuerbrigade anzutreffen. Aber der Hof lag einsam und verlassen da. Sogar der Hund hatte sich verzogen. Vermutlich war er den Schlagertypen durch das Haupttor nach drau?en gefolgt. Auch wenn in der Scheune schon fast ein Inferno getobt hatte, waren die Flammen gegen den klaren blauen Himmel von au?en kaum auszumachen. Lediglich ein dunner Rauchfaden stieg in die Hohe. Kaum mehr, als ein Herdfeuer in der Kuche verursachen wurde.

Irgendwann wurde naturlich jemand aufmerksam werden und nachsehen. Aber vorlaufig war noch nicht damit

Вы читаете Death Cloud
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату