die Ringmitte zuruckzuweichen.

Der andere Kampfer blickte grimmig entschlossen mal hier mal dort in die Menge und kam Applaus heischend zu ihm hinuberstolziert. Er war mindestens funfzehn Zentimeter gro?er als Sherlock und hatte ein viel breiteres Kreuz.

Seine Hande sahen aus wie zwei riesige, mit Walnussen gefullte Lederbeutel. »An die Linie«, grunzte er.

»Was?«

Der Kampfer zeigte auf zwei parallele Linien, die man ins Gras gestampft hatte und etwa einen Meter voneinander entfernt waren. »Du stehst hinter der einen, ich steh hinter der anderen. Wenn der Gong ertont, kampfen wir. So funktioniert das.«

»Ich will nicht kampfen«, protestierte Sherlock.

»Is’ deine Entscheidung, Junge«, knurrte der Kampfer. »Hab trotzdem dafur zu sorgen, dass das Ganze funf Minuten dauert, und deine Birne wird wie Hackfleisch aussehen, wenn de dich nicht verteidigst.« Kritisch beaugte er Sherlock. »Wird vermutlich sowieso so aussehen, selbst wenn de das tust«, fugte er hinzu. Er schob Sherlock auf die nachste Linie im Gras zu. »Nimm die Hande hoch, schutz dein Gesicht. Und bleib aufrecht stehen. Wenn de fallst, tret ich dich, bis du wieder stehst.«

»Ich dachte, der Schiedsrichter hat gesagt, dass man den Gegner nicht schlagen darf, wenn er am Boden liegt.«

Der Kampfer zuckte die Achseln. »Aber von Treten hat er nix gesagt.«

Unglaubig ging Sherlock zu seiner Linie. Mit seinen gestiefelten Fu?en stand der Kampfer an der anderen Linie. Sherlock sah sich um und hielt nach jemandem Ausschau, der ihm helfen konnte. Nach irgendjemandem. Aber er blickte nur in rote, verschwitzte und vor Aggressivitat verzerrte Gesichter.

Ein Gong ertonte.

Sherlock trat erst einmal zuruck, doch im gleichen Augenblick sauste auch schon die Faust seines Gegners knapp an seiner Nase vorbei.

Er riss die Hande hoch, um sich zu verteidigen, und wich noch weiter zuruck, als sein Gegner auf ihn zukam. Die Menge brullte. Er hatte Bilder von Boxern in Buchern gesehen. Au?erdem hatte er sich ein paar Kampfe in der Deepdene-Schule angeschaut und sogar selbst ein wenig geboxt. Also nahm er die Stellung ein, an die er sich erinnerte, und hielt die zu Fausten geballten Hande vor seinen Korper. Aber ganz offensichtlich hatte sein Gegner nicht die gleichen Bucher gelesen. Denn der kam einfach auf Sherlock zugetrottet und holte mit beiden Armen seitlich aus, um sie dann in Schulterhohe mit geballten Fausten auf Sherlock niedersausen zu lassen. Sherlock kassierte einen Treffer an der linken Schulter – derjenigen, die jungst erst von Clem maltratiert worden war –, und augenblicklich schoss ihm der Schmerz wie flussiges Metall den Arm hinab. Seine Hand fiel nutzlos zur Seite herunter. Wie hatte das alles nur passieren konnen? Noch vor einer Minute war er ein anonymer Zuschauer in der Menge gewesen, und nun stand er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit! Es war fast so, als hatte etwas, nein jemand, die Menge so gelenkt, dass er in diese Situation geraten war.

Sein Gegner machte wieder ein paar Schritte auf ihn zu, offenbar bereit, ihm einen Aufwartshaken ins Gesicht zu verpassen. Also trat Sherlock zuruck und lie? seine rechte Faust vorschnellen. Wie durch ein Wunder traf er den Mann genau auf die Nase. Sherlock spurte, wie etwas unter seinen Fingern knackte und dann lief seinem Gegner auch schon Blut an Kinn und Brust hinab. Der Mann zuckte zuruck, atmete explosionsartig durch die Nase aus und bespruhte Sherlocks Hemd dabei mit einem Schwall von Blut. Fast gleichzeitig fuhrte er eine gerade Rechte gegen Sherlocks Brust. Der Treffer lie? Sherlock nach hinten taumeln. Ein heftiger Schmerz durchfuhr seine Rippen. Einen Moment lang dachte er, sein Herz ware stehengeblieben. Er versuchte Luft zu holen, aber wie es schien, hatte seine Lunge ihre Arbeit eingestellt. Zusammengekrummt stand er da und versuchte verzweifelt, etwas Luft einzusaugen.

Eine Hand packte ihn hinten am Nacken und schleuderte ihn uber die Grasflache. Der Aufprall auf den Boden quetschte ihm das letzte bisschen Atemluft aus dem Korper, woraufhin jedoch sich sein Brustkorb reflexartig weitete und schlagartig wieder Luft in die Lunge stromte. Er rollte sich zur Seite – einen Wimpernschlag bevor sich ein Fu? an der Stelle in den Boden rammte, an der eben noch sein Kopf gewesen war. Taumelnd rappelte sich Sherlock wieder hoch.

Das Gesicht seines Gegners war eine einzige blutverschmierte Maske, die nur von zwei schmalen, wutend blitzenden Augen und einer Reihe gefletschter Zahne unterbrochen wurde. Der Mann machte ein paar Schritte auf Sherlock zu und schlug eine Links-Rechts-Kombination. Die Linke landete in den Rippen, die Rechte an der Schlafe. Grellroter brutaler Schmerz erfullte Sherlocks Welt und auf einmal schien alles ganz weit entruckt. Er fiel, aber er spurte den Aufprall schon nicht mehr, als er auf den Boden aufschlug.

Dunkelheit umfing ihn und Sherlock lie? sich bereitwillig von ihr verschlingen.

10

Als Sherlock wieder aufwachte, hatte er das Gefuhl, ihm wurde der Schadel platzen. Der Schmerz schien sich um die rechte Schlafe herum zu konzentrieren und pulsierte auf unertragliche Weise in Einklang mit seinem Herzschlag. Er hatte das irrationale Empfinden, als sa?e ein riesiger weicher pochender Klumpen mitten in seinem Kopf, an dem er nicht vorbeisehen oder vorbeiklettern konnte. Eine Weile lag er einfach nur so im Dunkeln. Er dachte an nichts, sondern lie? sich von dem Schmerz vor- und zurucktreiben, und wartete darauf, dass er nachlie?. Was er schlie?lich auch tat.

Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war, wie er von dem Jahrmarktsboxer bewusstlos geschlagen worden war. Und nun lag er in einem bequemen Bett, und sein Kopf ruhte auf einem Stapel weicher Daunenkissen. Was bedeutete, dass er sich nicht mehr auf dem Jahrmarkt befand. Er lag weder im matschigen Grasring noch war er wie ein nasser Sack in irgendein Zelt verfrachtet worden, bis er wieder zu sich kam. Es sei denn naturlich, er war am Halluzinieren. Was durchaus moglich war, in Anbetracht der Tatsache, dass er eine Kopfverletzung erlitten hatte.

Nein, so sagte er sich energisch, er musste einfach davon ausgehen, dass das, was er fuhlte, horte und sah, der Realitat entsprach und nicht einfach nur die Ausgeburt eines ramponierten Gehirns war.

Das diffuse Licht, das durch die zugezogenen Vorhange drang, verriet ihm, dass es immer noch Morgen war. Er lag nicht in seinem Bett, so viel war jedenfalls klar. Sein eigenes Bett war harter, und die Kissen hatten eine klumpige unbequemere Fullung.

Jemand von Holmes Manor musste ihn gefunden und dorthin zuruckgebracht haben. Allerdings hatte man ihn in ein bequemeres Bett gesteckt, wahrscheinlich eines, das fur den Doktor und die Dienstmadchen leichter zu erreichen war. Er lauschte angestrengt, ob drau?en vor dem Fenster irgendwelche Bewegungen zu horen waren. Aber abgesehen von einem Gerausch, bei dem es sich um entferntes Vogelgezwitscher handeln mochte, war da nichts.

In welchen Schwierigkeiten mochte er wohl nun schon wieder stecken? Bei dem Gedanken daran entfuhr ihm unwillkurlich ein Stohnen. Er hatte gegen die klaren Anweisungen seines Onkels versto?en, und er hatte das dumpfe Gefuhl, dass jeder Versuch, das Ganze mit einem Hinweis auf ein vermeintliches Treffen mit Amyus Crowe zu erklaren, mit rigoroser Harte beantwortet werden wurde. Schlimmer noch: Er war in einen ordinaren Faustkampf verwickelt worden. Und sogar schlimmer noch als das: Er hatte verloren. Das wurde zwar Sherrinford und Anna Holmes wahrscheinlich nicht sonderlich beruhren, aber wenn Sherlocks Vater jemals etwas davon mitbekame, wurde er au?er sich vor Zorn sein. War doch eine seiner beliebtesten Redensarten: »Ein Gentleman beginnt niemals einen Kampf, sondern beendet ihn stets.«

Wenn er Gluck hatte, wurde ihn sein Onkel fur den ganzen nachsten Monat zu Stubenarrest verdonnern und seine Mahlzeiten auf Brot und Wasser beschranken. Wenn er Gluck hatte. Wenn er keines hatte, dann … na ja, da war er sich nicht so sicher. Aber seiner Vermutung nach wurde die Strafe schrecklich ausfallen. Eine Tracht Prugel vielleicht? Oder eine Zuchtigung mit dem Rohrstock oder dem Ledergurtel? Sein Onkel wurde das wahrscheinlich eher mit Bedauern als mit Wut machen. Aber gab es da nicht irgend so einen Spruch in der Bibel, der »Wer die Rute spart, verzieht das Kind!« oder so ahnlich lautete?

Es wurde ubel werden.

Sherlock hob die Hand, um seinen Kopf zu beruhren. Seine Finger ertasteten eine riesige Beule, und als er vorsichtig dagegen druckte, hatte er das Gefuhl, ihm wurde jemand einen gluhenden Nagel durch den Kopf

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