Bienenstockfeldes. Offensichtlich wollten sie nicht riskieren, das Feld zu betreten.

Einer oder zwei von ihnen schlugen bereits mit den Handen in die Luft, als die wutenden Bienen sich auf die erstbesten Ziele sturzten, die sich ihnen boten.

»Hab ich mir doch gedacht, dass alles klappen wird«, sagte Matty. »Sollen wir bleiben und zugucken?«

»Lieber nicht«, erwiderte Sherlock.

11

Amyus Crowe widmete sich dem letzten Schnitt in Sherlocks Gesicht. Er sauberte die Wunde mit einem Waschlappen und einer scharf riechenden Flussigkeit, die, egal auf welche Stelle sie traf, zum Gott Erbarmen brannte. Anschlie?end nahm er in einem Rattansessel Platz, der unter seinem Gewicht heftig knirschte. Er stie? sich mit den Fu?en ab und balancierte mit dem Stuhl auf den beiden Hinterbeinen sachte vor und zuruck. Die ganze Zeit uber fixierte er Sherlock mit den Augen.

Neben Sherlock wand sich Matty unbehaglich auf seinem Platz. Wie ein Tier, das die Flucht ergreifen wollte, aber nicht wusste, in welcher Richtung die Luft rein war.

»Eine ganz schone Geschichte«, murmelte Crowe.

In der Annahme, dass Crowes Worte nur dazu gedacht waren, die Stille zu unterbrechen, wahrend er nachdachte, schwieg Sherlock weiter. Crowe schaukelte vor und zuruck und fuhr die ganze Zeit fort, Sherlock anzustarren. »Ja, eine ganz schone Geschichte«, wiederholte er nach einer Weile.

Crowes Augen musterten ihn so fest und unbeirrt, dass er wegsah und den Blick durch den Raum schweifen lie?. Amyus Crowes Cottage wirkte alles andere als aufgeraumt. Uberall lagen Bucher, Zeitungen und Zeitschriften herum, die anscheinend einfach dort abgelegt worden waren, wo es Crowe nach der Lekture gerade in den Sinn gekommen war. Ein Sto? Briefe war mit einem Messer, das sich mitten durch die Blatter bohrte, an den holzernen Kaminsims gepinnt. Daneben hing eine Uhr, der Sherlock entnahm, dass es auf zwei Uhr nachmittags zuging, und wiederum daneben war ein einzelner Pantoffel befestigt, aus dessen Offnung eine Gruppe von Zigarren wie ausgestreckte Finger hervorlugten.

Eigentlich hatte man erwarten mussen, dass es hier dreckig und verwahrlost aussah, aber Sherlock konnte weder Staub noch Schmutz entdecken. Der Raum war sauber, wenn auch unaufgeraumt. Es schien einfach so zu sein, dass Crowe seine ganz eigenen Methoden hatte, Dinge aufzubewahren.

»Und was schlie?t du aus dem Ganzen?«, versuchte Crowe schlie?lich Sherlock aus der Reserve zu locken.

Sherlock zuckte die Achseln. Er mochte es nicht, wenn er zum Objekt von Crowes Aufmerksamkeit wurde. »Wenn ich das wusste«, konterte er, »hatte ich nicht zu Ihnen kommen mussen.«

»Es ware schon, wenn eine Person immer den entscheidenden Unterschied ausmachen wurde«, erwiderte Crowe ohne eine Spur von Gereiztheit in der Stimme. »Aber in der komplizierten Welt, in der wir nun mal leben, brauchst du manchmal Freunde. Und manchmal eine Organisation, die dich unterstutzt.«

»Sie meinen, wir sollten uns an die Polypen wenden?«, fragte Matty offensichtlich ziemlich nervos.

»Die Polizei?« Crowe schuttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass sie euch glauben wurden. Und selbst wenn sie es taten, konnten sie nicht viel tun. Wer immer auch in diesem Haus da lebt, wird einfach alles abstreiten. Im Gegensatz zu euch haben diese Personen anscheinend Macht und Einfluss. Und ihr musst zugeben, dass es von au?en betrachtet eine ziemlich absurde Geschichte ist.«

»Glauben Sie uns denn?«, forderte Sherlock ihn heraus.

Crowe verzog uberrascht das Gesicht. »Naturlich glaube ich euch«, antwortete er.

»Warum? Sie haben doch gesagt, dass es eine absurde Geschichte ist.«

Crowe lachelte. »Menschen machen bestimmte Dinge, wenn sie lugen«, erwiderte er. »Lugen ist Stress, weil du stets gleichzeitig zwei verschiedene Dinge auf Kommando abrufbereit in deinem Kopf parat haben musst: die Wahrheit, die du geheimhalten willst, und die Luge, die du zu erzahlen versuchst. Dieser Stress au?ert sich auf ganz bestimmte Weise. Die Leute stellen keinen richtigen Augenkontakt her, sie reiben sich die Nase, beim Reden zogern sie oder stottern. Und sie gehen mehr ins Detail als notig. Als ob es ihre Lugen glaubwurdiger machen wurde, wenn sie sich daran erinnern konnen, welche Farbe die Tapete hatte oder ob die Leute einen Vollbart, einen Schnurrbart oder sonst etwas in der Art hatten. Du jedoch hast eure Geschichte geradlinig und schnorkellos erzahlt, mir in die Augen geblickt und keine irrelevanten Details hinzugefugt. So weit ich es beurteilen kann, sagst du die Wahrheit – oder zumindest das, was du fur die Wahrheit haltst.«

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Sherlock. »Hier geht etwas vor sich. Etwas, das mit Kleidung zu tun hat, die fur die Armee produziert wird. Und mit Bienen. Und dem Lagerschuppen in Farnham. Und hinter dem Ganzen steckt der Mann in diesem gro?en Haus – der Baron, wie ich glaube –, aber ich wei? nicht, was er vorhat.«

»Dann mussen wir das eben herausfinden.« Amyus Crowe lie? den Stuhl wieder auf seinen vier Beinen ruhen und stand auf. »Wenn du nicht genug Fakten hast, um zu einer Schlussfolgerung zu kommen, musst du raus und dir mehr Fakten beschaffen. Lasst uns aufbrechen und ein paar Fragen stellen.«

Matty rutschte unbehaglich auf seinem Platz umher. »Muss los«, murmelte er.

»Komm mit uns, Junge«, sagte Crowe. »Du bist Teil dieses Abenteuers gewesen, und du hast es dir verdient zu erfahren, was da vor sich geht. Und au?erdem scheint der junge Master Holmes hier dir zu vertrauen.« Er machte eine Pause.

»Auf dem Weg werde ich uns etwas zu essen besorgen, wenn dir das bei deiner Entscheidung hilft.«

»Bin dabei«, sagte Matty.

Crowe geleitete sie nach drau?en. Auf der Wiese neben dem Cottage war Virginia gerade dabei, ihr Pferd Sandia zu striegeln, dem eine gro?ere rotbraune Stute Gesellschaft leistete. Sherlock vermutete, dass es Crowes Pferd war. Die beiden Pferde, auf denen Matty und Sherlock von der Villa des Barons gefluchtet waren, grasten friedlich etwas weiter abseits.

Virginia sah auf, als sie sich naherten. Als Sherlock ihrem Blick begegnete, sah sie rasch wieder weg.

»Wir machen einen Spazierritt«, verkundete Crowe. »Du kommst auch mit, Ginny. Je mehr Leute wir haben, die Fragen stellen, desto gro?er ist die Chance, ein paar halbwegs vernunftige Antworten zu bekommen.«

»Ich hab keine Ahnung, um was fur Fragen es geht«, protestierte Virginia.

»Du hast drau?en vor der Tur gestanden und gelauscht«, sagte Crowe lachelnd. »Ich habe Sandia wiehern horen. Das macht er nur, wenn du in Sichtweite, aber nicht unmittelbar bei ihm bist. Und au?erdem hab ich eine Bewegung mitbekommen, als etwas … oder jemand in der Nahe der Tur das Sonnenlicht blockiert hat.«

Virginia wurde rot, hielt aber trotzig dem Blick ihres Vaters stand. »Du hast mir immer beigebracht, dass ich gunstige Gelegenheiten stets nutzen soll«, sagte sie.

»Allerdings. Die beste Methode etwas zu lernen ist das Zuhoren.«

Crowe bestieg sein Pferd und Virginia machte es ihm nach. Lachelnd beobachtete sie, wie Sherlock und Matty sich auf ihre Pferde schwangen. Anerkennend nickte sie Sherlock zu. »Gar nicht mal so ubel«, lobte sie.

Sie schlugen den umgekehrten Weg ein, auf dem Sherlock und Matty zum Cottage gelangt waren, und trabten gemeinsam auf der Stra?e entlang. Die Sonne schien, und der Geruch von brennendem Holz lag in der Luft. Sherlock musste sich uberaus Muhe geben, um sich richtig klarzumachen, dass man ihn gerade erst k.o. geschlagen, gefangengenommen, verhort und schlie?lich ganz nebenbei zum Tode verurteilt hatte. Solche Dinge passierten doch nicht einfach so, oder? Doch nicht an einem so schonen sonnigen Tag? Selbst die Schnitte in seinem Gesicht hatten aufgehort zu schmerzen.

Virginia lenkte ihr Pferd dichter an Sherlocks heran. »Du reitest gut«, begann sie. »Jedenfalls fur einen Anfanger.«

»Ich hatte eine gute Anleitung«, antwortete er. Er warf ihr einen Blick zu, sah dann aber rasch wieder weg.

»Das, was du da bei uns im Cottage eben erzahlt hast … Stimmt das alles?«

»Jedes Wort.«

»Dann ist dieses Land vielleicht doch nicht so ode, wie ich gedacht habe.«

Je mehr sie sich der gro?en Villa naherten, in der man Sherlock gefangen gehalten hatte, desto nervoser wurde er. In Sichtweite des zum Anwesen fuhrenden Haupttores brachte Amyus Crowe schlie?lich mit einem Ruck

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