mit der Begrundung, dass die neuen Soldaten in Aldershot jede Menge Nahrung brauchen werden. Sie fragten, ob ich wissen wurde, wie viele Soldaten dort einmal stationiert sein werden, und wir sind uber die sich daraus ergebenden Geschaftsmoglichkeiten weiter ins Gesprach gekommen.

Ich hab gefragt, ob es hier in der Gegend irgendjemand gabe, der Interesse daran haben konnte, in eine Unternehmung zu investieren, oder jemand, der vielleicht Land ubrig hatte. Und daraufhin haben sie mir von dem Grundbesitz weiter unten an der Stra?e erzahlt. Gehort einem Mann namens Maupertuis – offensichtlich irgend so eine Art von Baron und obendrein ein Auslander.«

Sherlock sah zu Matty hinuber und lachelte. Crowe schien sich der Tatsache gar nicht bewusst zu sein, dass er in diesem Land selbst ein Auslander war.

»Keiner hat diesen Baron Maupertuis jemals zu Gesicht bekommen, und sein Personal hat er mitgebracht. Er hat niemanden aus der Gegend eingestellt. Hat sich dadurch bei den Leuten hier nicht gerade sehr beliebt gemacht. Daruber hinaus hat er auch die Vorrate und alles, was sonst noch benotigt wurde, von woanders herkommen lassen. Hat nichts aus der Gegend hier gekauft. Wie dem auch sei, jedenfalls hat der Wirt unserer Unterhaltung zugehort und dann erzahlt, dass der Baron vorhin ausgezogen ist. Wie es aussieht, ist ein Konvoi von Kutschfuhrwerken die Stra?e entlanggekommen. Alle voll beladen mit Kisten und Mobeln, und die Nachhut bildete eine schwarze, zweiradrige Kutsche. Eine Weile spater kamen dann weitere Fuhrwerke. Diesmal mit riesigen Kisten beladen, die mit Tuchern verhullt waren. Ich vermute, das waren die Bienenstocke, von denen du erzahlt hast, junger Mann. Wahrscheinlich haben sie die Bienen mit Rauch beruhigt und betaubt. So machen das jedenfalls richtige Imker, wenn sie ihre Bienenvolker woanders hintransportieren.«

»Sie haben die Bienenstocke mitgenommen? Warum?«

Amyus Crowe nickte. »Das ist eine sehr gute Frage. Warum nimmt man all die Bienenkorbe mit, wenn man Hals uber Kopf abhauen muss? Das behindert einen doch nur auf der Flucht, und es ist ja nicht so, dass man woanders keine Bienen bekommen kann.« Er versank eine Weile in Grubelei. »Sieht ganz so aus, als ob eure Flucht sie erschreckt hat. Sie konnten sich nicht auf das Risiko einlassen, dass ihr vielleicht zur Polizei geht und die dann bei ihnen aufkreuzt, um der Sache nachzugehen. Sie sind woanders hingezogen, und wir mussen rausfinden wohin.«

»Wir konnten ihnen einfach folgen«, schlug Sherlock vor.

Crowe schuttelte den Kopf. »Sie haben einen zu gro?en Vorsprung.«

»Sie konnen nur langsam vorankommen«, beharrte Sherlock. »Sie haben die Bienenstocke dabei. Einer alleine konnte sie auf dem Pferd einholen.«

»Es gibt zu viele Stra?en, die sie hatten nehmen konnen«, erwiderte Crowe.

»Eine lange Karawane von Fuhrwerken? Die Leute wurden auf sie aufmerksam werden und sich an sie erinnern. Und sie werden sich nicht auf holprigen Landstra?en fortbewegen, sondern sich an die Hauptstra?en halten. Das schrankt die Moglichkeiten ein.«

Crowe grinste. »Gut uberlegt, Junge.«

»Sie haben auch bereits daran gedacht?«, fragte Sherlock und runzelte die Stirn.

»Ja, hab ich. Aber ich wollte dir die Antworten nicht auf dem Silbertablett servieren. Ich war neugierig zu sehen, ob du in der Lage bist, ein Problem ganz allein zu durchdenken. Vor allem, wenn ich dich in die entgegengesetzte Richtung sto?e.« Crowe erhob sich. »Ich kenne da ein paar Kerle in der Nahe unseres Cottages, die Pferde haben und gut ein paar Schillinge gebrauchen konnten. Ich werde sie losschicken, um nach dem Konvoi zu suchen. Ich schlage vor, du gehst zuruck nach Holmes Manor und schlie?t Frieden mit deiner Familie. Sag ihnen, dass du die ganze Zeit bei mir warst. Das sollte sie beruhigen. Ich komme morgen vorbei und lass dich wissen, was ich rausgefunden habe.«

Gemeinsam ritten sie uber Nebenstra?en und Feldwege, bis sie in die Nahe von Farnham kamen, wo sie sich voneinander verabschiedeten. Matty machte sich zu seinem Boot auf, wo immer es sich gerade befinden mochte, wahrend Crowe und Virginia auf den Pferden in Richtung Cottage verschwanden. Sherlock lie? sein Pferd einen Moment lang ruhig auf der Stelle stehen. Er musste die Ereignisse des zuruckliegenden Tages erst einmal sacken lassen, damit sich das schwindelerregende Wirrwarr aus Sinneseindrucken zu verarbeitbaren Erinnerungen formte. Nach einer Weile fuhlte er sich ruhiger und lenkte das Pferd nach Holmes Manor.

Dort angekommen, fragte er sich einen Augenblick lang, wo er das Pferd lassen sollte. Schlie?lich gehorte es ihm ja nicht. Andererseits schien sein vorheriger Besitzer es einfach zuruckgelassen zu haben, und gegenuber dem quietschenden alten Hochrad, das Matty fur ihn aufgetrieben hatte, stellte das Tier definitiv eine Verbesserung dar. Am Ende lie? er das Pferd einfach mit einem Ballen Heu im Stall zuruck. Wenn es morgen noch dort ware, wurde er das als Zeichen dafur nehmen, dass er es behalten sollte.

Als er das Haus betrat, wurde gerade das Abendessen serviert. Jetzt galt es, sich normal zu benehmen. So als ob nichts passiert und die Welt noch exakt genauso ware wie heute morgen. Er blickte an sich herab, klopfte sich die Jacke ab und betrat das Speisezimmer.

Das Abendessen war ein ziemlich surreales Erlebnis. Seine Tante plapperte mal wieder unaufhorlich und ausgiebig uber nichts, wahrend sein Onkel beim Essen in einem gro?en Buch las und dabei ab und zu etwas vor sich hinmurmelte. MrsEglantine stand wie gewohnlich etwas abseits in Warteposition an der Wand und starrte ihn von dort aus an. Es war alles andere als einfach, die ruhige, zivilisierte Atmosphare mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass er erst vor wenigen Stunden k.o. geschlagen, entfuhrt, zum Tode verurteilt worden und in letzter Sekunde entkommen war.

Trotz der Portion Fleisch, die er in der Taverne gegessen hatte, schien ihm der Magen in den Kniekehlen zu hangen. Hungrig fullte er sich den Teller mit dampfenden Huhnchenfleischstucken und Gemuse und goss uber das Ganze dann Bratenso?e.

»Du siehst aus, als warst du im Krieg gewesen, Sherlock«, sagte seine Tante wahrend des Desserts. Donnerwetter! Noch nie war sie bisher so nah dran gewesen, ihm eine direkte Frage zu stellen.

»Ich … bin gefallen«, antwortete er, im Bewusstsein der brennenden Schnitte auf seinem Gesicht und an den Ohren. »Ich hab noch nicht viel Ubung mit dem Hochrad.«

Das schien sie zufriedenzustellen. Wieder in ihr Gemurmel versinkend, fuhr sie mit ihrer immerwahrenden Konversation mit sich selbst fort.

Sobald es die Gesetze der Hoflichkeit erlaubten, verlie? Sherlock die Tafel und ging auf sein Zimmer. Eigentlich hatte er vorgehabt, ein wenig zu lesen und dann vielleicht einige der letzten Ereignisse in einem Tagebuch festzuhalten, solange sie noch frisch waren. Aber kaum hatte sein Korper das Bett beruhrt, schien es ihm auf einmal ganz unmoglich, noch langer die Augen offenzuhalten, und innerhalb von Sekunden war er – immer noch vollstandig angezogen – eingeschlafen.

Nur einmal wachte er in der Nacht auf. Drau?en war es schon dunkel, und irgendwo in der Ferne heulten ein paar Eulen. Er streifte die Kleidung ab und glitt unter das raue Bettlaken. Als wurde er in einen tiefen und geheimnisvollen See eintauchen, versank er gleich darauf im Schlaf.

Der nachste Tag brach in strahlend hellem Sonnenschein an. Amyus Crowe stand unten in der Halle, als Sherlock zum Fruhstuck herunterkam. Sein Lehrer trug einen wei?en Leinenanzug und einen Hut mit breiter Krempe.

»Wir fahren nach London«, rief er mit drohnender Stimme, kaum dass er Sherlock erblickt hatte. »Ich habe Geschafte zu erledigen, und dein Onkel hat mir die Erlaubnis gegeben, dich mitzunehmen. Wird eine schone Bildungsreise werden. Wir sehen uns ein paar Kunstgalerien an, und ich erzahl dir etwas uber die Geschichte, die mit dieser gro?artigen Stadt verknupft ist.«

»Kommt Virginia auch mit?«, entfuhr es Sherlock und hatte sich schon im selben Augenblick dafur ohrfeigen konnen. Aber Crowe grinste nur und seine Augen leuchteten belustigt auf. »Aber ja«, sagte er. »Ich konnte sie doch jetzt wohl kaum alleine auf dem Lande lassen, oder? Was fur ein Vater ware ich denn da?«

»Warum London?«, fragte Sherlock mit leiserer Stimme, als er den Fu? der Treppe erreichte.

»Dorthin ist der Konvoi unterwegs gewesen«, erwiderte Crowe ebenfalls mit gedampfter Stimme. »Ich vermute, dass der Baron dort noch ein anderes Haus besitzt.«

Mit kaum horbarem Rascheln ihres Kleides trat MrsEglantine am anderen Ende der Halle aus dem Schatten hervor. »Sie sollten Ihr Fruhstuck einnehmen, junger Master Holmes, bevor ich den Tisch abraumen muss«, sagte sie und legte in ihre Stimme gerade so viel Missfallen, dass es zwar rauszuhoren war, aber fur Sherlock noch nicht beleidigend wirken konnte.

»Danke«, sagte Sherlock nur und wandte sich wieder Crowe zu. »Fahren wir jetzt sofort los?«

»Sieh zu, dass du noch was in den Bauch bekommst«, antwortete Crowe. »Du wirst es heute vielleicht

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