Muskelpakete, an die zwanzig Kilo schwer, mit vernarbten Korpern und kupierten Ohren, um dem Angreifer weniger Bissflache zu bieten, zerrten an ihren Ketten. An Koderhunden mit teilweise geschorenem Fell lernten die Kampfhunde sich in besonders verwundbaren Korperteilen zu verbei?en. Neben dem Pit standen Fasser mit Mehl, das uber kampfende Hunde geschuttet wurde, um sie zu trennen. Das Mehl verstopfte ihre Nasen und zwang die Tiere, ihren Biss zu lockern, damit die Besitzer sie auseinander zerren konnten.
In dem Gewolbe stank es nach Fusel, Rauch, Tabak, Sagemehl, ungewaschenen Korpern, Erbrochenem und Urin.
Bei Hawkwoods Eintritt verstummten die Gesprache so abrupt, als wurden alle Anwesenden gleichzeitig die Luft anhalten. In dem bedrohlich wirkenden Schweigen uberlief es Hawkwood eiskalt.
Zwei Manner mit Holzknuppeln in der Hand postierten sich hinter Hawkwood und blockierten die Tur. Jenny lie? seinen Armel los. Mehrere Hunde spurten die durch Anwesenheit eines Fremden angespannte Atmosphare, fletschten die Zahne und knurrten bose.
»Na, so was, wen haben wir denn hier? Der feine Herr hat sich wohl in der Tur geirrt, wie?«
Hawkwood ruhrte sich nicht.
»O Mann!«, sagte ein anderer. »Den kenn ich! Das ist ein verdammter Runner!«
Mehrere Manner sprangen auf, Stuhle scharrten uber den Boden. Ein Hund bellte, eine Frau schrie. Eine Messerklinge funkelte im Kerzenlicht. Hawkwood merkte, dass sich Jenny verdruckte, und dachte: Sie hat ihre Rolle gut gespielt und mich in eine Falle gelockt. Wie konnte ich nur so dumm sein! Ich hatte mich umziehen mussen, ehe ich sie begleitete. An meiner Kleidung bin ich hier sofort als Au?enseiter zu erkennen.
Jemand rausperte sich laut und spuckte Hawkwood voller Hass direkt vor die Fu?e. Wie auf ein vereinbartes Signal gingen Manner mit gezuckten Dolchen und Rasiermessern auf Hawkwood zu und umringten ihn. Hawkwood griff nach seinem Schlagstock.
»LASST IHN IN RUHE!«, drohnte in dem Moment eine Stimme. Der untersetzte, muskulose Mann mit der Figur eines Ringers hatte ohne weiteres gegen Figg oder Reuben Benbow boxen konnen. Eine Hand auf das Treppengelander gestutzt, in der anderen einen schweren Knuppel aus Schlehdorn, blickte er auf Hawkwood hinunter. Er verharrte ein paar Sekunden in dieser Pose, bis er plotzlich den Mund zu einem breiten Grinsen verzog und mit ausgebreiteten Armen rief:
»N’Abend, Cap’n! Willkommen in der Arche Noah!«
Die Narbe unter Hawkwoods Auge schimmerte wei? im fahlen Licht der Talgkerzen, und er stie? einen Seufzer der Erleichterung aus. Die Gaste machten bereitwillig Platz, als der Mann die Treppe herunterging. Hawkwood spurte sofort den Stimmungswandel im Keller. Bosheit und Argwohn in den Gesichtern wichen Erstaunen und Neugier.
»Hallo, Nathaniel«, sagte Hawkwood. »Wie geht es dir?«
Noch immer breit grinsend, streckte Nathaniel Jago, Exsergeant in His Britannic Majesty’s 95. Rifles Regiment, die Hand aus. »Ich bin gesund und munter wie ein Fisch im Wasser, Sir. Und Sie sehen auch nicht ubel aus.«
Hawkwood druckte, jetzt ebenfalls grinsend, Jagos schwielige Hand.
»Mein Gott, Sir. Fabelhaft, Sie zu sehen. Und das ist nicht gelogen.«
Aus den Augenwinkeln bemerkte Hawkwood, wie Jenny wieder neben ihm auftauchte. Das Madchen schaute mit gro?en Augen zu den beiden Mannern hoch.
»Gut gemacht, Jen«, lobte Jago sie. »Da, das ist fur dich, mein Schatz. Aber gib’s nicht auf einmal aus.«
Das Madchen schloss schnell die Finger um die Munzen in seiner Hand. Sie grinste schelmisch und flitzte davon.
»Dafur kauft sie sich bestimmt Fusel«, beteuerte Jago mit einem traurigen Unterton in der Stimme. »Kommen Sie, Cap’n. Wir setzen uns mit einer Flasche in eine ruhige Ecke. Was darf’s denn sein? Gin? Rum? Oder was Besonderes? Ein Tropfchen Brandy vielleicht?« Er zwinkerte verschworerisch.
»Franzosischer, kein spanischer. Erst heute Morgen habe ich eine neue Lieferung bekommen. Stammt aus des Kaisers eigenen Kellereien, habe ich mir sagen lassen.«
»
»Lass dir wegen politischer Differenzen nie dein Geschaft kaputtmachen. So lautet die erste Regel im Handel.«
Jago steckte den Knuppel in seinen Gurtel, holte unter dem Tresen eine Flasche und zwei Glaser hervor und ging die Treppe hinauf zu einem Tisch am hinteren Ende. Als Hawkwood ihm folgte, spurte er die Blicke aller Gaste in seinem Rucken.
»Achten Sie nicht auf die Gaffer«, riet ihm Jago, legte den Knuppel auf den Tisch und goss Cognac in beide Glaser. »Der Reiz des Neuen ist bald verflogen.«
Was Hawkwood jedoch bezweifelte, obwohl unten in der Schanke wieder Stimmengewirr zu horen war.
»Auf die alten Zeiten!« Jago hob sein Glas zum Toast.
Hawkwood prostete ihm zu, trank einen Schluck und spurte, wie der Cognac mild und warmend durch seine Kehle rann. Er fragte sich, ob die Flasche wirklich aus den Kellereien des Kaisers stammte und auf welchen verschlungenen Wegen sie wohl in dieser Kaschemme in Londons beruchtigtstem Elendsviertel gelandet war.
Da flusterte Jago: »Wie ich hore, hatten Sie viel zu tun.« Er hob sein Glas an die Lippen und lehnte sich zuruck. »Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, seit Sie die Absteige der Witwe Gant dichtgemacht haben«, redete er weiter und grinste boshaft. Dann setzte er seine Unschuldsmiene auf und fugte hinzu: »Wurde aber auch hochste Zeit, so, wie das alte Miststuck die armen Kleinen verdorben hat.« Jago schnalzte mit der Zunge und schuttelte, das geschehene Unrecht missbilligend, den Kopf.
Hawkwood wunderte sich uber Jagos vorgetauschte Emporung, denn dass die Witwe Gant aus dem Verkehr gezogen worden war, konnte fur alle anderen Kriminellen im Viertel nur von Vorteil sein. Damit hatten Jago und seine Komplizen eine Konkurrentin weniger. Deshalb hatte wohl auch niemand die Witwe gewarnt, als Gesetzeshuter in der Nahe ihrer Diebeshohle aufgetaucht waren. Offensichtlich galt die alte Regel vom Ehrenkodex unter Dieben nicht fur die Bewohner von St. Giles.
Wahrend Hawkwood seinen Exsergeanten nachdenklich musterte, fiel ihm auf, dass sich Jago in den Monaten seit ihrer letzten Begegnung bis auf das dunner gewordene Haar und ein Pfund mehr kaum verandert hatte. Als Uberlebenskunstler war er jetzt offenbar im Zivilleben absolut in seinem Element.
Nathaniel Jago war als Sohn eines Landarbeiters in einem abgelegenen Dorf in den Sumpfen von Kent geboren und dort aufgewachsen, bis seine Eltern an Cholera gestorben waren. Danach hatte sich der Junge mehr schlecht als recht und nicht immer auf legale Weise durchs Leben geschlagen und sich als Schmied, Viehtreiber, Wilderer und Schmuggler versucht, bis die zufallige Begegnung mit einem Rekrutierungstrupp auf dem Jahrmarkt in Maidstone sein Leben fur immer verandert hatte.
Die Aussicht auf eine schone Uniform, ein Dach uber dem Kopf, drei ordentliche Mahlzeiten am Tag und nicht zu vergessen die zwei Guineen Handgeld waren dem heimatlosen jungen Mann, der immer auf der Flucht vor den Zollbeamten war, wie ein Traum vorgekommen, der nun endlich in Erfullung ging. Und so war Nathaniel Jago an einem warmen Nachmittag im Fruhsommer in den Dienst des Konigs getreten und in den Krieg gezogen. Ubers flache Land in Flandern, durch die undurchdringlichen Dschungel der Westindischen Inseln, uber die staubigen Ebenen Indiens war Jago marschiert und hatte uberall auf der Welt gekampft und seinem Land zunachst als einfacher Soldat, dann als Sergeant gute Dienste geleistet.
Und Hawkwood ebenfalls.
Gemeinsam hatten sie unter Nelsons Kommando in Kopenhagen dem Feind die Stirn geboten, waren mit Black Bob Crauford durch Nord- und Sudamerika marschiert und hatten unter Moore in Spanien und Portugal gekampft Jago hatte neben Hawkwood auf dem Festungswall von Montevideo gestanden und ihm vor Rolica und Vimieiro den Rucken gedeckt. Bei Talavera hatten beide mit Entsetzen mit ansehen mussen, wie die Coldstream Guards und des Konigs Deutsche Legion dem Gegenangriff der Franzosen zum Opfer gefallen waren.
Im Karree von Blatchington und Shorncliffe war diese Freundschaft geschmiedet worden. Zehn lange Jahre hatte Jago an Hawkwoods Seite Scharmutzel und Schlachten uberstanden. Immer war er ihm ein treuer Verbundeter gewesen und hatte neben ihm in der sengenden Hitze der spanischen Hochebenen in der Feldkuche gegessen und mit ihm zitternd vor Kalte unter einer Decke in den Bergen gelegen. Und Jago war aus Loyalitat zu