hingegen wurde ich meine Hand nicht ins Feuer legen.

»Ahm, naturlich, naturlich«, lenkte Charles Yorke, plotzlich erstaunlich verbindlich, ein. »Nichts fur ungut«, fugte er beschwichtigend hinzu.

»Durfen wir den Namen dieses Mannes erfahren?« Die Frage kam von dem blonden, streng wirkenden Marineoffizier am Tisch. Drei Tressen an seinem Armel kennzeichneten seinen Rang.

Fur den nicht ungewohnlichen Fall, dass ein Zivilist anstelle eines Militars Chef des britischen Admiralstabs wurde, diente ihm ein Vertreter des hochsten Dienstgrades der Marine als Berater. Also hatte Charles Yorke Admiral Bartholomew Dalryde auf diesen Posten berufen.

Vom untersten Rang eines Marineoffiziers bis zum Admiral hatte Dalryde seinem Land ehrenvoll gedient und bereits im Alter von vierundzwanzig Jahren das Kommando der Fregatte Audacious ubernommen. Seitdem hatte er im Freiheitskrieg gegen die nordamerikanischen Kolonien gekampft, unter Hood im Mittelmeer und unter Nelson am Kap St.Vincent und Kap Trafalgar.

»Er hei?t Hawkwood.«

»Hawkwood?« Der zweite Mann am Tisch hob abrupt den Kopf.

»Sie kennen ihn, Blomefield?« Der Erste Seelord fixierte ihn streng.

Thomas Blomefield, der Generalinspekteur der Artillerie und Generalfeldzeugmeister war mit Ende sechzig der Alteste in der Runde. In vieler Hinsicht ahnelte seine Karriere der des Admirals. Nach seiner Ausbildung als Kadett in der Militarakademie Woolwich hatte auch er im amerikanischen Freiheitskrieg gekampft und war bei Saratoga verwundet worden. Als Kommandant der Artillerie hatte er am Kopenhagen-Feldzug teilgenommen und war Spezialist fur Kriegsgerat. Die Feldzeugmeisterei war zustandig fur die Versorgung der Armee sowie der Marine mit Waffen und Munition. Blomefield kontrollierte nicht nur die Verteilung der Geschutze, sondern er konstruierte auch Waffen fur die Standardausrustung der Kriegsschiffe.

»Der Name kommt mir bekannt vor«, uberlegte Blomefield stirnrunzelnd und sah James Read an. »Wie lange arbeitet er schon fur Sie?«

Ein sechster Sinn warnte Read zwar, dass er sich in gefahrlichen Gewassern bewegte, aber es war zu spat fur einen Ruckzieher. Au?erdem wurde die Wahrheit sowieso fruher oder spater ans Tageslicht kommen. Deshalb antwortete er: »Noch nicht lange. Etwas langer als ein Jahr.«

»Und was hat er davor gemacht?«

»Hawkwood hat beim Militar gedient.«

»Hawkwood?«, wiederholte der Generalinspekteur und richtete sich kerzengerade auf. »Beim 95. Rifle Regiment?«

Read schwieg.

»Gott verdammt!«, fluchte Blomefield.

Ein Ausdruck des Missfallens huschte uber das Gesicht des Admirals, denn Dalryde war ein eifriger Kirchganger und missbilligte Kraftausdrucke, bei denen der Name Gottes im Munde gefuhrt wurde. Auf See hatte er sich den Ruf eines strengen Zuchtmeisters erworben, der jede Gotteslasterung mit Auspeitschen bestrafte. Es ging das Gerucht um, dass Offiziere und Matrosen, die unter ihm gedient hatten, mit gro?er Erleichterung auf seine Versetzung ins Marineministerium reagiert hatten.

»Wurde der Generalinspekteur die Gute haben, sein Wissen mit uns zu teilen?«, zischte der Seelord.

Blomefield warf James Read einen Zustimmung heischenden Blick zu, doch der Oberste Richter ignorierte die stumme Bitte.

»Ich habe mir nur uberlegt … sollte es sich tatsachlich um denselben Mann handeln, so hat er, gelinde gesagt, eine interessante Vergangenheit.«

»Klaren Sie uns auf!«

Blomefield wunschte sich wohl, er hatte den Mund gehalten, denn er antwortete nur zogerlich: »Ich glaube, mich daran erinnern zu konnen, dass es wahrend seines Militardienstes einen Zwischenfall gegeben hat. Dabei ging es um einen Ehrenhandel. Er … hm … hat im Duell einen Offizier getotet.«

Wahrend Blomefield unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte, wandte sich der Seelord fragend an James Read: »Stimmt das?«

Der Oberste Richter nickte. »Ja. Der Generalinspekteur hat Recht.«

»Und Sie haben von Hawkwoods Vergangenheit gewusst, ehe er fur Ihre Behorde arbeitete?«

»Naturlich. Ich uberprufe alle meine Mitarbeiter mit gro?ter Sorgfalt.«

Der Seelord starrte den Obersten Richter entgeistert an.

»Gro?er Gott, Mann! Ich muss noch heute Vormittag dem Premierminister und dem Innenminister Bericht erstatten. Wie, zum Teufel, soll ich ihnen begreiflich machen, dass der mit den Ermittlungen dieses Falls betraute Beamte, ein ehemaliger einfacher Soldat, einen Offizier im Duell getotet hat? Erklaren Sie mir das!«

»Ein einfacher Soldat?«, widersprach Read schnell. »Hawkwood war ein ungewohnlich guter Offizier, und ich brauche Sie wohl nicht daran zu erinnern, Mylord, dass der Ruf des Rifle Regiments ausgezeichnet ist.«

»Naturlich kenne ich deren Reputation«, entgegnete der Seelord scharf. »Und mir ist ebenfalls bekannt, dass es widerspruchliche Ansichten uber die Kampfmethoden dieser Truppe gibt.«

Der Oberste Richter schurzte die Lippen. »Ich gebe zu, dass ihre Taktik eher unorthodox …«

»Unorthodox?«, schnitt Yorke ihm schnarrend das Wort ab.

»Unorthodox ist nichts als ein euphemistischer Terminus fur undiszipliniert. Wie es hei?t, exerzieren die Offiziere sogar gemeinsam mit ihren Rekruten!«

»Mit guten Ergebnissen«, konterte Read. »Hawkwood ist ein ausgezeichneter Polizist mit etwas unkonventionellen Methoden, zugegeben. Aber meine jahrelangen Erfahrungen im Umgang mit Gesetzesbrechern rechtfertigen den Einsatz ungewohnlicher Mittel.«

Dem Seelord schien es die Sprache verschlagen zu haben, denn er starrte den Obersten Richter nur mit offenem Mund an.

»Diese Ansicht entbehrt nicht einer gewissen Logik«, warf Blomefield ein. »Ein im Toten erfahrener Jager bringt Morder zur Strecke. Ich bin der Meinung, Sie haben den richtigen Mann fur diese Aufgabe gewahlt. Es wurde mich jedoch interessieren, unter welchen Umstanden Hawkwood in Ihre Dienste trat.«

James Read deutete diese lachelnd formulierte Frage als ein Entgegenkommen des Generalinspekteurs und sagte schnell: »Er wurde mir empfohlen.«

»Von wem?«, hakte Blomefield nach.

»Von Colonel Colquhoun Grant.«

Blomefield schnappte hochst beeindruckt nach Luft, denn Colquhoun Grant war einer von Wellingtons erfahrensten Kundschaftern. Kundschafter arbeiteten hinter den feindlichen Linien und spahten die Gro?e und das Bewegungsmuster der gegnerischen Truppen aus. Offizier Grant war das Hauptverbindungsglied zwischen den Guerilleros und dem Nachrichtendienst des Herzogs. Und obwohl die Aktivitaten des Colonels strengster Geheimhaltung unterlagen, war er in Militarkreisen eine bekannte Personlichkeit.

»Gott verdammt!«, fluchte Blomefield wieder. »Die Geruchte stimmen also. Ihr Mann ist damals in die Berge gefluchtet.«

Dann wandte sich der Generalinspekteur lachelnd an den Seelord: »Ich habe nicht den Mut, mich mit Colonel Grant anzulegen. Wie stehen Sie dazu, Mylord?«

Charles Yorke bedachte Blomefield nur mit einem bosen Blick.

Insgeheim mochten sich der Seelord und die beiden dem Ministerium zugeordneten Offiziere wohl die Frage stellen, warum James Read den obersten Nachrichtenoffizier Wellingtons personlich kannte, aber niemand wagte diese Frage auszusprechen. In eingeweihten Kreisen kursierte das Gerucht, dass die Befugnisse des Obersten Richters weit uber innenpolitische Angelegenheiten hinausgingen und dass zwischen der Bow Street und den verschiedensten Behorden geheim gehaltene Verbindungen bestunden. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, es gebe sogar einen Spionagering. Doch diese Vermutung wurde wie viele andere in diesem zweifelhaften Metier weder bestatigt noch geleugnet werden.

»Darf ich interessehalber noch fragen, wen Hawkwood in diesem Duell getotet hat?«, wollte Dalryde jetzt wissen.

In James Reads Wange zuckte ein Nerv. »Es war Delancey, ein Neffe des Herzogs von Rutland.«

»Kein gro?er Verlust, wenn ich mich recht erinnere«, murmelte Blomefield.

»Das ist ein ziemlich harsches Urteil«, meinte Dalryde und hob missbilligend eine Braue.

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