sondern er fuhrte mich in den niedrigen Flurgang eines alten Hauses unter ein Lampchen, das vor der Holztreppe tropfend hing.

Dort nahm er wichtig sein Taschentuch und sagte, es auf eine Stufe breitend: „Setzt Euch doch lieber Herr, da konnt Ihr besser fragen, ich bleibe stehen, da kann ich besser antworten. Qualt mich aber nicht.“

Da setzte ich mich und sagte, indem ich mit schmalen Augen zu ihm aufblickte: „Ihr seid ein gelungener Tollhausler, das seid Ihr! Wie benehmt Ihr Euch doch in der Kirche! Wie argerlich ist das und wie unangenehm den Zuschauern! Wie kann man andachtig sein, wenn man Euch anschauen mu?.“

Er hatte seinen Korper an die Mauer gepre?t, nur den Kopf bewegte er frei in der Luft. „Argert Euch nicht - warum sollt Ihr Euch argern uber Sachen, die Euch nicht angehoren. Ich argere mich, wenn ich mich ungeschickt benehme; benimmt sich aber nur ein anderer schlecht, dann freue ich mich. Also argert Euch nicht, wenn ich sage, da? es der Zweck meines Lebens ist, von den Leuten angeschaut zu werden.“

„Was sagt Ihr da“, rief ich viel zu laut fur den niedrigen Gang, aber ich furchtete mich dann, die Stimme zu schwachen, „wirklich was sagtet Ihr da. Ja ich ahne schon, ja ich ahnte es schon, seit ich Euch zum erstenmal sah, in welchem Zustande Ihr seid. Ich habe Erfahrung und es ist nicht scherzend gemeint, wenn ich sage, da? es eine Seekrankheit auf festem Lande ist. Deren Wesen ist so, da? Ihr den wahrhaftigen Namen der Dinge vergessen habt und uber sie jetzt in einer Eile zufallige Namen schuttet. Nur schnell, nur schnell! Aber kaum seid Ihr von ihnen weggelaufen, habt Ihr wieder ihre Namen vergessen. Die Pappel in den Feldern, die Ihr den ,Turm von Babel‘ genannt habt, denn Ihr wu?tet nicht oder wolltet nicht wissen, da? es eine Pappel war, schaukelt wieder namenlos und Ihr mu?t sie nennen ,Noah, wie er betrunken war‘.“

Ich war ein wenig besturzt, als er sagte: „Ich bin froh, da? ich das, was Ihr sagtet, nicht verstanden habe.“

Aufgeregt sagte ich rasch: „Dadurch, da? Ihr froh seid daruber, zeigt Ihr, da? Ihr es verstanden habt.“

„Freilich habe ich es gezeigt, gnadiger Herr, aber auch Ihr habt merkwurdig gesprochen.“

Ich legte meine Hande auf eine obere Stufe, lehnte mich zuruck und fragte in dieser fast unangreifbaren Haltung, welche die letzte Rettung der Ringkampfer ist:

„Ihr habt eine lustige Art, Euch zu retten, indem Ihr Eueren Zustand bei den anderen voraussetzt.“

Daraufhin wurde er mutig. Er legte die Hande ineinander, um seinem Korper eine Einheit zu geben, und sagte unter leichtem Widerstreben: „Nein, ich tue das nicht gegen alle, zum Beispiel auch gegen Euch nicht, weil ich es nicht kann. Aber ich ware froh, wenn ich es konnte, denn dann hatte ich die Aufmerksamkeit der Leute in der Kirche nicht mehr notig. Wisset Ihr, warum ich sie notig habe?“

Diese Frage machte mich unbeholfen. Sicherlich, ich wu?te es nicht und ich glaube, ich wollte es auch nicht wissen. Ich hatte ja auch nicht hierher kommen wollen, sagte ich mir damals, aber der Mensch hatte mich gezwungen, ihm zuzuhoren. So brauchte ich ja jetzt blo? meinen Kopf zu schutteln, um ihm zu zeigen, da? ich es nicht wu?te, aber ich konnte meinen Kopf in keine Bewegung bringen.

Der Mensch, welcher mir gegenuber stand, lachelte. Dann duckte er sich auf seine Knie nieder und erzahlte mit schlafriger Grimasse: „Es hat niemals eine Zeit gegeben, in der ich durch mich selbst von meinem Leben uberzeugt war. Ich erfasse namlich die Dinge um mich nur in so hinfalligen Vorstellungen, da? ich immer glaube, die Dinge hatten einmal gelebt, jetzt aber seien sie versinkend. Immer, lieber Herr, habe ich eine Lust, die Dinge so zu sehen, wie sie sich geben mogen, ehe sie sich mir zeigen. Sie sind da wohl schon und ruhig. Es mu? so sein, denn ich hore oft Leute in dieser Weise von ihnen reden.“

Da ich schwieg und nur durch unwillkurliche Zukkungen in meinem Gesichte zeigte, wie unbehaglich mir war, fragte er: „Sie glauben nicht daran, da? die Leute so reden?“

Ich glaubte, nicken zu mussen, konnte es aber nicht. „Wirklich, Sie glauben nicht daran? Ach horen Sie doch; als ich als Kind nach einem kurzen Mittagsschlaf die Augen offnete, horte ich noch ganz im Schlaf befangen meine Mutter in naturlichem Ton vom Balkon hinunterfragen: ,Was machen Sie meine Liebe. Es ist so hei?.‘ Eine Frau antwortete aus dem Garten: ,Ich jause im Grunen.‘ Sie sagten es ohne Nachdenken und nicht allzu deutlich, als mu?te es jeder erwartet haben.“

Ich glaubte, ich sei gefragt, daher griff ich in die hintere Hosentasche und tat, als suchte ich dort etwas. Aber ich suchte nichts, sondern ich wollte nur meinen Anblick verandern, um meine Teilnahme am Gesprach zu zeigen. Dabei sagte ich, da? dieser Vorfall so merkwurdig sei und da? ich ihn keineswegs begreife. Ich fugte auch hinzu, da? ich an dessen Wahrheit nicht glaube und da? er zu einem bestimmten Zweck, den ich gerade nicht einsehe, erfunden sein musse. Dann schlo? ich die Augen, denn sie schmerzten mich.

„Oh, das ist doch gut, da? Ihr meiner Meinung seid und es war uneigennutzig, da? Ihr mich angehalten habt, um mir das zu sagen.

Nicht wahr, warum sollte ich mich schamen - oder warum sollten wir uns schamen -, da? ich nicht aufrecht und schwer gehe, nicht mit dem Stock auf das Pflaster schlage und nicht die Kleider der Leute streife, welche laut vorubergehen. Sollte ich nicht vielmehr mit Recht trotzig klagen durfen, da? ich als Schatten mit eckigen Schultern die Hauser entlang hupfe, manchmal in den Scheiben der Auslagsfenster verschwindend.

Was sind das fur Tage, die ich verbringe! Warum ist alles so schlecht gebaut, da? bisweilen hohe Hauser einsturzen, ohne da? man einen au?eren Grund finden konnte. Ich klettere dann uber die Schutthaufen und frage jeden, dem ich begegne: ,Wie konnte das nur geschehn! In unserer Stadt - ein neues Haus - das ist heute schon das funfte - bedenken Sie doch.‘ Da kann mir keiner antworten.

Oft fallen Menschen auf der Gasse und bleiben tot liegen. Da offnen alle Geschaftsleute ihre mit Waren verhangenen Turen, kommen gelenkig herbei, schaffen den Toten in ein Haus, kommen dann, Lacheln um Mund und Augen, heraus und reden: ,Guten Tag - der Himmel ist bla? - ich verkaufe viele Kopftucher - ja, der Krieg.‘ Ich hupfe ins Haus und nachdem ich mehrere Male die Hand mit dem gebogenen Finger furchtsam gehoben habe, klopfe ich endlich an dem Fensterchen des Hausmeisters. ,Lieber Mann‘, sage ich freundlich, ,es wurde ein toter Mensch zu Ihnen gebracht. Zeigen Sie mir ihn, ich bitte Sie.‘ Und als er den Kopf schuttelt, als ware er unentschlossen, sage ich bestimmt: ,Lieber Mann. Ich bin Geheimpolizist. Zeigen Sie mir gleich den Toten.‘ ,Einen Toten, fragt er jetzt und ist fast beleidigt. ,Nein, wir haben keinen Toten hier. Es ist ein anstandiges Haus.‘ Ich gru?e und gehe.

Dann aber, wenn ich einen gro?en Platz zu durchqueren habe, vergesse ich an alles. Die Schwierigkeit dieses Unternehmens verwirrt mich und ich denke oft bei mir: ,Wenn man so gro?e Platze nur aus Ubermut baut, warum baut man nicht auch ein Steingelander, das durch den Platz fuhren konnte. Heute blast ein Sudwestwind. Die Luft auf dem Platz ist aufgeregt. Die Spitze des Rathausturmes beschreibt kleine Kreise. Warum macht man nicht Ruhe in dem Gedrange? Alle Fensterscheiben larmen und die Laternenpfahle biegen sich wie Bambus.

Der Mantel der heiligen Maria auf der Saule windet sich und die sturmische Luft rei?t an ihm. Sieht es denn niemand? Die Herren und Damen, die auf den Steinen gehen sollten, schweben. Wenn der Wind Atem holt, bleiben sie stehen, sagen einige Worte zueinander und verneigen sich gru?end, sto?t aber der Wind wieder, konnen sie ihm nicht widerstehn und alle heben gleichzeitig ihre Fu?e. Zwar mussen sie fest ihre Hute halten, aber ihre Augen schauen lustig, als ware milde Witterung. Nur ich furchte mich.‘“ -

Mi?handelt, wie ich war, sagte ich: „Die Geschichte, die Sie fruher erzahlt haben von Ihrer Frau Mutter und der Frau im Garten finde ich gar nicht merkwurdig.

Nicht nur, da? ich viele derartige Geschichten gehort und erlebt habe, so habe ich sogar bei manchen mitgewirkt. Diese Sache ist doch ganz naturlich. Meinen Sie, ich hatte, wenn ich am Balkon gewesen ware, nicht dasselbe sagen konnen und aus dem Garten dasselbe antworten konnen? Ein so einfacher Vorfall.“

Als ich das gesagt hatte, schien er sehr begluckt. Er sagte, da? ich hubsch gekleidet sei, und da? ihm meine Halsbinde sehr gefalle. Und was fur eine feine Haut ich hatte. Und Gestandnisse wurden am klarsten, wenn man sie widerriefe.

Gesprach mit dem Betrunkenen

Als ich aus dem Haustor mit kleinern Schritte trat, wurde ich von dem Himmel mit Mond und Sternen und gro?er Wolbung und von dem Ringplatz mit Rathaus, Mariensaule und Kirche uberfallen.

Ich ging ruhig aus dem Schatten ins Mondlicht, knopfte den Uberzieher auf und warmte mich; dann lie? ich durch Erheben der Hande das Sausen der Nacht schweigen und fing zu uberlegen an:

„Was ist es doch, da? Ihr tut, als wenn Ihr wirklich waret. Wollt Ihr mich glauben machen, da? ich

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