Nur in Zeitschriften oder Zeitungen veroffentlichte Texte

Franz Kafka

Ein Damenbrevier

Wenn man sich in die Welt aufatmend entla?t, wie vom hohen Gerust der Schwimmer in den Flu?, gleich und spater manchmal von Gegensto?en wie ein liebes Kind verwirrt, aber immer mit schonen Wellen zur Seite in die Luft der Ferne treibt, dann mag man wie in diesem Buch ziellos mit geheimem Ziel die Blicke uber das Wasser richten, das einen tragt und das man trinken kann und das fur den auf seiner Flache ruhenden Kopf grenzenlos geworden ist.

Verschlie?t man sich jedoch diesem ersten Eindruck, dann erkennt man bis zur Uberzeugung, da? der Verfasser hier mit einer formlich ungestillten Energie gearbeitet hat, die den Bewegungen seines unablassigen Geistes - sie sind zu schnell, als da? sie Zusammenhang verrieten - Kanten zum Erschrecken gibt.

Und dies vor einer Materie, die in der zuckenden Entwicklung, welche sie erfahrt, an die Versuchungen erinnert, die vom Schreien unsichtbarer Wustentiere angetrieben, Einsiedler einst erfrischten. Doch schwebt diese Versuchung nicht vor dem Verfasser als kleines Balletkorps auf ferner Buhne, sondern sie ist ihm nah, sie umpre?t ihn stark, bis er sich in sie verschlingt und ehe er es noch von der Dame erfuhr, schrieb er schon: „Aber man mu? lieben, um sich mit Grazie hingeben zu konnen“, sagte Annie D. eine schone blonde Schwedin.

Was ist es nun fur ein Anblick, wenn der Verfasser in diese Arbeit so verstrickt uns erscheint, getragen von einer Natur, gleich jenen Wolken aus Stein, die einmal im Barock die Gruppen im Sturmwind sich umarmender Heiliger erhoben. Der Himmel, in den das Buch in der Mitte und gegen Ende ausbrechen mu?, um durch ihn die fruhere Gegend zu retten, ist fest und uberdies durchsichtig.

Naturlich besteht niemand darauf, da? die Damen, fur die der Verfasser geschrieben hat, dies wirklich sehn. Ist es doch genugend und mehr als das, wenn sie, vom ersten Absatz schon gezwungen, wie es sein mu?, fuhlen werden, da? sie in ihren Handen einen Beichtspiegel halten und einen besonders treuen. Denn die Beichte, die man so nennt, geschieht in einem ungewohnten Mobelstuck, auf dem Boden eines ungewohnten Raumes im halben Licht, das alles ringsherum und auf und ab mit Zukunft und Vergangenheit nur halb wahr macht, so da? notwendig auch alle Ja und Nein, die gefragten und die geantworteten halb falsch sein mussen, besonders wenn sie ganz ehrlich sind. Wie konnte man aber hier an ein wichtiges Detail vergessen in der gewohnten mitternachtlichen Beleuchtung wahrend eines leisen Gespraches (leise, weil es hei? ist) nahe beim Bett!

Im Verlag Hans von Weber erschien „Die Puderquaste“ von Franz Blei

Gesprach mit dem Beter

Es gab eine Zeit, in der ich Tag um Tag in eine Kirche ging, denn ein Madchen, in das ich mich verliebt hatte, betete dort knieend eine halbe Stunde am Abend, unterdessen ich sie in Ruhe betrachten konnte.

Als einmal das Madchen nicht gekommen war und ich unwillig auf die Betenden blickte, fiel mir ein junger Mensch auf, der sich mit seiner ganzen mageren Gestalt auf den Boden geworfen hatte. Von Zeit zu Zeit packte er mit der ganzen Kraft seines Korpers seinen Schadel und schmetterte ihn seufzend in seine Handflachen, die auf den Steinen auflagen.

In der Kirche waren nur einige alte Weiber, die oft ihr eingewickeltes Kopfchen mit seitlicher Neigung drehten, um nach dem Betenden hinzusehn. Diese Aufmerksamkeit schien ihn glucklich zu machen, denn vor jedem seiner frommen Ausbruche lie? er seine Augen umgehn, ob die zuschauenden Leute zahlreich waren. Ich fand das ungebuhrlich und beschlo? ihn anzureden, wenn er aus der Kirche ginge, und ihn auszufragen, warum er in dieser Weise bete. Ja, ich war argerlich, weil mein Madchen nicht gekommen war.

Aber erst nach einer Stunde stand er auf, schlug ein ganz sorgfaltiges Kreuz und ging sto?weise zum Becken.

Ich stellte mich auf dem Wege zwischen Becken und Ture auf und wu?te, da? ich ihn nicht ohne Erklarung durchlassen wurde. Ich verzerrte meinen Mund, wie ich es immer als Vorbereitung tue, wenn ich mit Bestimmtheit reden will. Ich trat mit dem rechten Beine vor und stutzte mich darauf, wahrend ich das linke nachlassig auf der Fu?spitze hielt; auch das gibt mir Festigkeit.

Nun ist es moglich, da? dieser Mensch schon auf mich schielte, als er das Weihwasser in sein Gesicht spritzte, vielleicht auch hatte er mich schon fruher mit Besorgnis bemerkt, denn jetzt unerwartet rannte er zur Ture hinaus. Die Glastur schlug zu. Und als ich gleich nachher aus der Ture trat, sah ich ihn nicht mehr, denn dort gab es einige schmale Gassen und der Verkehr war mannigfaltig.

In den nachsten Tagen blieb er aus, aber mein Madchen kam. Sie war in dem schwarzen Kleide, welches auf den Schultern durchsichtige Spitzen hatte, - der Halbmond des Hemdrandes lag unter ihnen -, von deren unterem Rande die Seide in einem wohlgeschnittenen Kragen niederging. Und da das Madchen kam, verga? ich den jungen Mann und selbst dann kummerte ich mich nicht um ihn, als er spater wieder regelma?ig kam und nach seiner Gewohnheit betete. Aber immer ging er mit gro?er Eile an mir voruber, mit abgewendetem Gesichte. Vielleicht lag es daran, da? ich mir ihn immer nur in Bewegung denken konnte, so da? es mir, selbst wenn er stand, schien, als schleiche er.

Einmal verspatete ich mich in meinem Zimmer. Trotzdem ging ich noch in die Kirche. Ich fand das Madchen nicht mehr dort und wollte nach Hause gehn. Da lag dort wieder dieser junge Mensch. Die alte Begebenheit fiel mir jetzt ein und machte mich neugierig.

Auf den Fu?spitzen glitt ich zum Turgang, gab dem blinden Bettler, der dort sa?, eine Munze und druckte mich neben ihn hinter den geoffneten Turflugel; dort sa? ich eine Stunde lang und machte vielleicht ein listiges Gesicht. Ich fuhlte mich dort wohl und beschlo? ofters herzukommen. In der zweiten Stunde fand ich es unsinnig hier wegen des Beters zu sitzen. Und dennoch lie? ich noch eine dritte Stunde schon zornig die Spinnen uber meine Kleider kriechen, wahrend die letzten Menschen lautatmend aus dem Dunkel der Kirche traten.

Da kam er auch. Er ging vorsichtig und seine Fu?e betasteten zuerst leichthin den Boden, ehe sie auftraten.

Ich stand auf, machte einen gro?en und geraden Schritt und ergriff den jungen Menschen. „Guten Abend“, sagte ich und stie? ihn, meine Hand an seinem Kragen, die Stufen hinunter auf den beleuchteten Platz.

Als wir unten waren, sagte er mit einer vollig unbefestigten Stimme: „Guten Abend, lieber, lieber Herr, zur-

nen Sie mir nicht, Ihrem hochst ergebenen Diener.“

„Ja“, sagte ich, „ich will Sie einiges fragen, mein Herr; voriges Mal entkamen Sie mir, das wird Ihnen heute kaum gelingen.“

„Sie sind mitleidig, mein Herr, und Sie werden mich nach Hause gehen lassen. Ich bin bedauernswert, das ist die Wahrheit.“

„Nein“, schrie ich in den Larm der voruberfahrenden Stra?enbahn, „ich lasse Sie nicht. Gerade solche Geschichten gefallen mir. Sie sind ein Glucksfang. Ich begluckwunsche mich.“

Da sagte er: „Ach Gott, Sie haben ein lebhaftes Herz und einen Kopf aus einem Block. Sie nennen mich einen Glucksfang, wie glucklich mussen Sie sein! Denn mein Ungluck ist ein schwankendes Ungluck, ein auf einer dunnen Spitze schwankendes Ungluck und beruhrt man es, so fallt es auf den Frager. Gute Nacht, mein Herr.“

„Gut“, sagte ich und hielt seine rechte Hand fest, „wenn Sie mir nicht antworten werden, werde ich hier auf der Gasse zu rufen anfangen. Und alle Ladenmadchen, die jetzt aus den Geschaften kommen und alle ihre Liebhaber, die sich auf sie freuen, werden zusammenlaufen, denn sie werden glauben, ein Droschkenpferd sei gesturzt oder etwas dergleichen sei geschehen. Dann werde ich Sie den Leuten zeigen.“

Da ku?te er weinend abwechselnd meine beiden Hande. „Ich werde Ihnen sagen, was Sie wissen wollen, aber bitte, gehen wir lieber in die Seitengasse druben.“ Ich nickte und wir gingen hin.

Aber er begnugte sich nicht mit dem Dunkel der Gasse, in der nur weit voneinander gelbe Laternen waren,

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