herausgezogen, auf dem nichts zu sehen ist, als Schmutz. Wir einigen uns daher auf 1 Lire 50 und der Kutscher fahrt weiter in die enge Gasse, in der er nicht wenden kann, nicht nur wutend, sondern auch wehmutig, wie mir scheinen will. Denn unser Benehmen ist leider nicht das Richtige gewesen; so darf man in Italien nicht auftreten, anderswo mag das recht sein, hier nicht. Nun wer uberlegt das in der Eile! Da ist nichts zu beklagen, man kann eben in einer kleinen Flugwoche nicht Italiener werden.

Aber Reue soll uns nicht die Freude auf dem Flugfeld verderben, das gabe doch nur wieder frische Reue,

und wir springen ins Aerodrom mehr als wir gehen in dieser Begeisterung aller Gelenke, die uns, einen nach dem andern, unter dieser Sonne hier plotzlich manchmal erfa?t.

Wir kommen an den Hangars voruber, die mit ihren zusammengezogenen Vorhangen dastehen, wie geschlossene Buhnen wandernder Komodianten. Auf ihren Giebelfeldern stehn die Namen der Aviatiker, deren Apparate sie verbergen, daruber die Trikolore ihrer Heimat. Wir lesen die Namen Cobianchi, Cagno, Calderara, Rougier, Curtiss, Moncher (ein Tridentiner, der italienische Farben tragt, er vertraut ihnen mehr, als unsern), Anzani, Klub der romischen Aviatiker. Und Bleriot? fragen wir. Bleriot, an den wir die ganze Zeit uber dachten, wo ist Bleriot?

In dem eingezaunten Platz vor seinem Hangar lauft Rougier, ein kleiner Mensch mit auffallender Nase, in Hemdarmeln auf und ab. Er ist in au?erster, etwas unklarer Tatigkeit, er wirft die Arme mit den stark bewegten Handen, betastet sich im Gehen uberall, schickt seine Arbeiter hinter den Vorhang des Hangars, ruft sie zuruck, geht selbst, alle vor sich drangend, hinein, wahrend abseits seine Frau in engem, wei?en Kleid, einen kleinen schwarzen Hut stark ins Haar gepre?t, die Beine im kurzen Rock zart auseinandergestellt, in die leere Hitze schaut, eine Geschaftsfrau mit allen Sorgen des Geschaftes in ihrem kleinen Kopf.

Vor dem benachbarten Hangar sitzt Curtiss ganz allein. Durch die ein wenig gelufteten Vorhange ist sein Apparat zu sehen; er ist gro?er, als man erzahlt. Als wir voruberkommen, halt Curtiss den Newyork Herald in der Hohe vor sich und liest eine Zeile oben auf einer Seite; nach einer halben Stunde kommen wir wieder vorbei, er halt schon in der Mitte dieser Seite; wieder nach einer halben Stunde ist er mit der Seite fertig und fangt eine neue an. Fliegen will er heute offenbar nicht.

Wir wenden uns und sehn das weite Feld. Es ist so gro?, da? alles, was sich auf ihm befindet, verlassen scheint: die Zielstange nahe bei uns, der Signalmast in der Ferne, der Startkatapult irgendwo rechts, ein Komiteeautomobil, das mit im Wind gespanntem gelben Fahnchen einen Bogen uber das Feld beschreibt, in seinem eigenen Staub stehen bleibt und wieder fahrt.

Eine kunstliche Einode ist hier eingerichtet worden in einem fast tropischen Lande, und der Hochadel Italiens, glanzende Damen aus Paris und alle andern Tausende sind hier beisammen, um viele Stunden mit schmalen Augen in diese sonnige Einode zu schauen. Nichts ist auf diesem Platz, was sonst auf Sportfeldern Abwechslung bringt. Es fehlen die hubschen Hurden der Pferderennen, die wei?en Zeichnungen der Tennisplatze, der frische Rasen der Fu?ballspiele, das steinerne Auf und Ab der Automobil- und Radrennbahnen. Nur zwei- oder dreimal wahrend des Nachmittags trabt ein Zug farbiger Reiterei quer uber die Ebene. Die Fu?e der Pferde sind unsichtbar im Staub, das gleichma?ige Licht der Sonne andert sich bis gegen die funfte Nachmittagsstunde nicht. Und damit nichts im Anblick dieser Ebene store, fehlt auch jede Musik, nur das Pfeifen der Massen auf den billigen Platzen sucht die Bedurfnisse des Ohres und der Ungeduld zu erfullen. Von den teueren Tribunen aus, die hinter uns stehn, mag allerdings jenes Volk mit der leeren Ebene ohne Unterschied in eins zusammenflie?en.

An einer Stelle des Holzgelanders stehen viele Leute aneinander. „Wie klein!“ ruft eine franzosische Gruppe gleichsam seufzend. Was ist denn los? Wir drangen uns durch. Aber da steht ja auf dem Felde, ganz nahe, mit wirklicher gelblicher Farbe ein kleiner Aeroplan, den man zum Fliegen vorbereitet. Nun sehen wir auch den Hangar Bleriots, neben ihm den seines Schulers Leblanc, sie sind auf dem Felde selbst aufgebaut. An einen der zwei Flugel des Apparats gelehnt steht, gleich erkannt, Bleriot und schaut, den Kopf fest auf dem Halse, seinen Mechanikern in die Finger, wie sie am Motor arbeiten.

Ein Arbeiter fa?t den einen Flugel der Schraube um sie anzudrehn, er rei?t an ihr, es gibt auch einen Ruck, man hort etwas wie den Atemzug eines starken Mannes im Schlaf; aber die Schraube ruhrt sich nicht weiter. Noch einmal wird es versucht, zehnmal wird es versucht, manchmal bleibt die Schraube gleich stehn, manchmal gibt sie sich fur ein paar Wendungen her. Es liegt am Motor. Neue Arbeiten fangen an, die Zuschauer ermuden mehr als die nahe Beteiligten. Der Motor wird von allen Seiten geolt; verborgene Schrauben werden gelok- kert und zugeschnurt; ein Mann lauft ins Hangar, holt ein Ersatzstuck; da pa?t es wieder nicht; er eilt zuruck und hockend auf dem Boden des Hangar bearbeitet er es mit einem Hammer zwischen seinen Beinen. Bleriot wechselt den Sitz mit einem Mechaniker, der Mechaniker mit Leblanc. Bald rei?t dieser Mann an der Schraube, bald jener. Aber der Motor ist unbarmherzig, wie ein Schuler, dem man immer hilft, die ganze Klasse sagt ihm ein, nein, er kann es nicht, immer wieder bleibt er stekken, immer wieder bei der gleichen Stelle bleibt er stek- ken, versagt. Ein Weilchen lang sitzt Bleriot ganz still in seinem Sitz; seine sechs Mitarbeiter stehn um ihn herum, ohne sich zu ruhren; alle scheinen zu traumen.

Die Zuschauer konnen einmal aufatmen und sich umsehn. Die junge Frau Bleriot mit mutterlichem Gesicht kommt voruber, zwei Kinder hinter ihr. Wenn ihr Mann nicht fliegen kann, ist es ihr nicht recht, und wenn er fliegt, hat sie Angst; uberdies ist ihr schones Kleid ein bi?chen zu schwer fur diese Temperatur.

Wieder wird die Schraube angedreht, vielleicht besser als fruher, vielleicht auch nicht; der Motor kommt mit Larm in Gang, als sei er ein anderer; vier Manner halten ruckwarts den Apparat und inmitten der Windstille ringsherum fahrt der Luftzug von der schwingenden Schraube her in Sto?en durch die Arbeitsmantel dieser Manner. Man hort kein Wort, nur der Larm der Schraube scheint zu kommandieren, acht Hande entlassen den Apparat, der lange uber die Erdschollen hinlauft, wie ein Ungeschickter auf Parkett.

Viele solche Versuche werden gemacht und alle enden unabsichtlich. Jeder treibt das Publikum in die Hohe, auf die Strohsessel hinauf, auf denen man mit ausgestreckten Armen zugleich sich in Balance erhalt, zugleich auch Hoffnung, Angst und Freude zeigen kann.

In den Pausen aber zieht die Gesellschaft des italienischen Adels die Tribunen entlang. Man begru?t einander, verneigt sich, erkennt einander wieder, es gibt Umarmungen, man steigt die Treppen zu den Tribunen hinauf und hinab. Man zeigt einander die Principessa Laetitia Savoia Bonaparte, die Principessa Borghese, eine altliche Dame, deren Gesicht die Farbe dunkelgelber Weintrauben hat, die Contessa Morosini. Marcello Borghese ist bei allen Damen und keiner, er scheint von der Ferne ein verstandliches Gesicht zu haben, in der Nahe aber schlie?en sich seine Wangen uber den Mundwinkeln ganz fremd. Gabriele d’Annunzio, klein und schwach, tanzt scheinbar schuchtern vor dem Conte Oldofredi, einem der bedeutendsten Herren des Komitees. Von der Tribune schaut uber das Gelander das starke Gesicht Puccinis mit einer Nase, die man eine Trinkernase nennen konnte.

Aber diese Personen erblickt man nur, wenn man sie sucht, sonst sieht man uberall alles entwertend die langen Damen der heutigen Mode. Sie ziehen das Gehen dem Sitzen vor, in ihren Kleidern sitzt es sich nicht gut. Alle Gesichter, asiatisch verschleiert, werden in einer leichten Dammerung getragen. Das am Oberkorper lose Kleid la?t die ganze Gestalt von ruckwarts etwas zaghaft erscheinen; ein wie gemischter, ruheloser Eindruck entsteht, wenn solche Damen zaghaft erscheinen! Das Mieder liegt tief, kaum noch zu fassen; die Taille scheint breiter, als gewohnlich, weil alles schmal ist; diese Frauen wollen tiefer umarmt sein.

Es war nur der Apparat Leblancs, der bisher gezeigt wurde. Nun aber kommt der Apparat, mit dem Bleriot den Kanal uberflogen hat; keiner hat es gesagt, alle wissen es. Eine lange Pause und Bleriot ist in der Luft, man sieht seinen geraden Oberkorper uber den Flugeln, seine Beine stecken tief als Teil der Maschinerie. Die Sonne hat sich geneigt und unter dem Baldachin der Tribunen durch beleuchtet sie die schwebenden Flugel. Hingegeben sehn alle zu ihm auf, in keinem Herzen ist fur einen andern Platz. Er fliegt eine kleine Runde und zeigt sich dann fast senkrecht uber uns. Und alles sieht mit gerecktem Hals, wie der Monoplan schwankt, von Bleriot gepackt wird und sogar steigt. Was geschieht denn? Hier oben ist 20 M. uber der Erde ein Mensch in einem Holzgestell verfangen und wehrt sich gegen eine freiwillig ubernommene unsichtbare Gefahr. Wir aber stehn unten ganz zuruckgedrangt und wesenlos und sehen diesem Menschen zu.

Alles geht gut voruber. Der Signalmast zeigt gleichzeitig an, da? der Wind gunstiger geworden ist und Curtiss um den gro?en Preis von Brescia fliegen wird. Also doch? Kaum verstandigt man sich daruber, schon rauscht der Motor des Curtiss, kaum sieht man hin, schon fliegt er von uns weg, fliegt uber die Ebene, die sich vor ihm vergro?ert, zu den Waldern in der Ferne, die jetzt erst aufzusteigen scheinen. Lange geht sein Flug uber jene Walder, er verschwindet, wir sehen die Walder an, nicht ihn. Hinter Hausern, Gott wei? wo, kommt er in gleicher Hohe wie fruher hervor, jagt gegen uns zu; steigt er, dann sieht man die unteren Flachen des Biplans dunkel sich

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