gluhendes Eisen die Haut brandmarkt. Die kraftigere, tiefere Stimme war die Sauckels. Die andere jene Raschers. Herr, lass mich nicht wie versteinert dastehen, lass mich nicht alles verderben.
Es schien ihm, als konnten alle sein Herz schlagen horen, doch er bewahrte einen kuhlen Kopf. Noch waren sie nicht bis zu dem etwas abseits gelegenen Winkel der Werkstatt vorgedrungen, in dem er arbeitete. Er legte die Geigendecke vorsichtig auf den Tisch, an dem er die Feinarbeiten ausfuhrte, ging zur Tischlerbank und nahm das Ahornholz zur Hand, das er schon zugeschnitten hatte, um den Hals anzufertigen. Er warf einen anerkennenden Blick auf die schon geflammten, von oben nach unten verlaufenden Maserungen und begann, eine Seite mit dem Hobel zu glatten. Das, so hatte er im Bruchteil einer Sekunde gedacht, beherrsche ich beinahe im Schlaf, also werde ich es auch schaffen, wenn Rascher seinen kalten Blick auf mich richtet. Die gleichma?ige Bewegung des Hobels lie? ihn ruhiger werden; da standen sie schon vor ihm.
»Was macht die Geige?«
Mit Erstaunen bemerkte er, dass die Stimme des Kommandanten ohne Spur von Spott oder Hohn war. Er schien mit der ublichen Neugierde eines Kunden zu fragen. Also antwortete er, ohne zu zaudern:
»Alles in Ordnung, keine Probleme.«
Er sprach und unterbrach dabei seine Arbeit nicht. Schlie?lich wusste man nie, wie sie reagierten. Manchmal hatten sie ihn geschlagen, weil er nicht strammgestanden hatte, wenn sie ihn ansprachen, ein andermal deshalb, weil er es getan und nicht weitergearbeitet hatte. Doch diesmal wurde er von Schlagen verschont. Wahrend er weiterhobelte, sah er aus dem Augenwinkel, dass sie immer noch vor ihm standen. Neugierig beobachteten sie, wie er den Winkel und das Lineal nahm und die Ma?e exakt uberprufte. Sie betrachteten offensichtlich zufrieden die nunmehr glatte, schon gemaserte Oberflache des Holzes. Wann wurden sie endlich wieder verschwinden, diese Dreckskerle? Da er flink arbeitete, musste er nun das Modell fur den Halsstock zur Hand nehmen und die Form nachzeichnen: den Querschnitt, die Rundung am unteren Ende, all das musste er mit dem Spitzeisen markieren und schlie?lich die elegante Krummung der Schnecke skizzieren. Es fiel ihm schwer, diese Arbeit unter dem prufenden Blick dieser vier Augen auszufuhren, die auf seine noch immer sicheren Hande geheftet waren. Ihm fehlte die notige Ruhe dazu. Endlich horte er, wie sie sich entfernten, und seinen Korper durchstromte ein Gefuhl gro?er Erleichterung, wie wenn das Fieber einen Kranken verlasst. Als die unertragliche Spannung von ihm wich, lie? er den Halsstock auf die Bank sinken und wischte sich mit der Hand uber die schwei?nasse Stirn.
Wahrend der zwei Schritte zum Arbeitstisch wurde ihm bewusst, wie viel Angst er ausgestanden hatte – ihm schlotterten die Knie, und als er sich mit der Zunge uber die Lippen fuhr, bemerkte er, dass sie ebenso trocken waren wie seine Kehle. Er stutzte sich einen Augenblick am Tisch ab und atmete tief durch; er wollte nicht um Erlaubnis bitten, austreten zu durfen, womoglich ware er sonst nur wieder dem Besucherpaar begegnet. Ihre Inspektion war ihm so lang vorgekommen, dass er damit rechnete, nun bald die Sirene zu horen. Er musste weiterarbeiten, um nicht die Aufmerksamkeit des Kapos auf sich zu ziehen, weil er zu lange – ein paar Minuten – ausruhte.
Die Inspektion hat zumindest keine schlimmen Folgen nach sich gezogen, dachte er, niemand aus meiner Werkstatt ist geschlagen oder bestraft worden; dieser Gedanke half ihm, sich zu beruhigen. Er nahm, nun merklich gefasster, die Messuhr und das kleine Millimeterband zur Hand, um die Starke der Deckenwolbung zu uberprufen und danach mit dem kleineren Wolbungshobel weiterzuarbeiten. Zum Gluck hatte ihm sein Vater – gesegnet sei sein Andenken – das Handwerk so gut beigebracht. Zufrieden betrachtete er das Ergebnis seiner Arbeit an diesem so ereignisreichen Tag. Morgen wurde er mit winzigen Holzstreifen, dunn wie die Spitze eines Fingernagels, die beiden Halften verstarken, die Innenseite mit Sandpapier abschleifen und darauf achten, dass die Rander abgerundet blieben.
Er strich mit der Hand uber die sanft gewolbte Innenseite der Decke. Auf seinen Tastsinn vertraute er ebenso wie auf die Messuhr, und er hatte nie geglaubt, dass irgendein Werkzeug genauer sein konnte als seine Finger. Er musste allerdings besorgt feststellen, dass sie ihre Feinheit durch die Arbeit in der Fabrik eingebu?t hatten und neuerdings Schwielen aufwiesen, die ihn beunruhigten.
Dennoch lie? er sich nicht entmutigen, und das Heulen der Sirene uberraschte ihn dabei, wie er die beiden Teile der Decke streichelte, so wie er Eva liebkost hatte, bereits voller Verzweiflung, als es zu ersten Uberfallen auf das Ghetto gekommen war.
Die Inspektion war nicht in allen Werkstatten so glimpflich verlaufen, das wurde ihm sofort klar, als er zwei Kapos mit einem Haftling sah, die einem Befehlshaber folgten; sie sperrten ihn in eine der dunklen Zellen, und rundum herrschte seltsames, nur von angstlichem Gemurmel durchsetztes Schweigen. Wie Jager, die Fallen mit Vogelleim auslegen, konnten auch die Helden dieser Jagd auf keinen Fall ohne irgendeine Beute zuruckkehren.
V
UNSEREN MUSIKERN HAT MAN
DIE HANDE ABGEHACKT,
UNSEREN SANGERN DIE MUNDER
MIT EISEN VERSCHLOSSEN.
DIE SUSSKLINGENDE GEIGE
LIEGT AUF DER ERDE EINER
UNBEWEGLICHEN
WIEGE GLEICH,
SIE HATTEN DAS NEUGEBORENE
WIEGEN SOLLEN -
DOCH SIE TOTETEN ES,
NOCH BEVOR ES ZUR WELT KAM.
Aufstellung uber die von den Lagern Lublin und Auschwitz abgegebene Bekleidung usw. (Fragment)
1. Reichswirtschaftsministerium
Manner=Altbekleidung
ohne Wasche97 000 GarniturenFrauen=Altbekleidung