seine Bar-Mizwa ebenso wie die seines Bruders mit einem frohlichen Fest begangen. Erst als sein Vater krank wurde und schlie?lich starb, war jener Frieden zerstort worden. Vielleicht hatte der Sturm sie deshalb auf so unerwartete Weise uberrascht; Daniel hatte, vertieft in seine geliebte Arbeit, die bedrohlichen Zeichen, die immer schwarzer werdenden Wolken nicht wahrgenommen, so als wurden sie die Seinen nicht betreffen. Er hatte sich zu Beginn der Tyrannei den gelben Davidstern angeheftet, ohne auf den Gedanken zu kommen, damit das Brandmal des Todes zu tragen, gezeichnet zu sein wie die Baume fur den Axthieb, und er war nicht wirklich in die neue und brutale Realitat erwacht – bis zu jenem Schreckenstag, an dem sie seine Werkstatt plunderten. Ganz in der Nahe stand die alte Synagoge in Flammen, stets hatte er sich dort in den Falten des langen Tallits seines Vaters geborgen gefuhlt, an dessen Seite er oft an den Feiertagen hingegangen war. Seit damals, dachte er nun, bedeutete jeder Tag einen Schritt, der sie mehr und mehr in den schlammigen Wassern versinken lie?, die sie schlie?lich alle verschlingen wurden.
Der zweite Arbeitstag nach seiner Ruckkehr aus der Zelle erschien ihm langer als der erste, aber er wusste nicht recht, warum. Er fuhlte, wie sich in seinem Herzen Mutlosigkeit ausbreitete, ein Fatalismus, der in Verzweiflung munden wurde. Er kannte diese Anzeichen: Oft genug hatte er mitangesehen, wie Lagerkameraden krank wurden und sich dem Tod auslieferten; nun lagen sie auf einem der umliegenden Hugel begraben. Er war allerdings noch jung, und so versuchte er sich Mut zu machen, eine Zeit lang wurde er kampfen. Todmude kam er in der Baracke an, er hatte keine Lust zu reden, dachte nur daran, sich hinzulegen. Nach ihm kehrten erschopft die Kameraden zuruck, die drau?en und im Steinbruch geschuftet hatten.
An diesem Abend gab es aber eine Uberraschung, einen zarten Hoffnungsschimmer. Neue Zwangsarbeiter waren angekommen, um die Abgange zu ersetzen. Einer der Neuankommlinge, dem sie die Pritsche neben ihm zuwiesen, war ein Mechaniker aus seiner Stra?e, ein guter Bekannter. Daniel erblickte in seinen Augen das Erstaunen und den Schmerz, ihn so mager, so abgezehrt zu sehen. Sie umarmten sich unter Tranen; korperliche Schwache lasst die Tranen leichter flie?en. Bald jedoch empfand der Geigenbauer zum ersten Mal im
Sie sprachen leise in der dunklen Nacht. Sein Bekannter erzahlte ihm Einzelheiten und achtete darauf, ihn nicht zu sehr zu verletzen. Eva war vorher in einem anderen, gefurchteten Lager gewesen; er wusste nicht, was sie dort erlitten hatte, aber sie hatte uberlebt, und nun befand sie sich nicht weit von hier.
»Wenn ich blo? fliehen und sie sehen konnte …«
»Vergiss es!«, warnte ihn Freund. »Das ware dein sicherer Tod.«
Er war Augenzeuge gewesen, als viele seiner Kameraden wegen echter oder angeblicher Fluchtversuche auf der Stelle erschossen wurden.
»Sie drucken schnell ab,
Ein Kamerad brummte: »Lasst mich doch endlich schlafen!«
»Morgen berichte ich dir mehr, wenn wir dann noch am Leben sind.«
Das kurze Gesprach hatte Daniel hellwach gemacht. Und obwohl er kein Traumer war, stellte er sich seine Eva vor, wie sie an der Nahmaschine sa?, wie sie mit ihren zierlichen Handen den Stoff durchzog und mit den schonen Beinen unermudlich das Pedal trat. Mehr noch gefiel ihm jedoch, sich ihre uppigen Lippen auszumalen, nicht aber die seinen kussend, sondern die cremige Butter vom Brot schleckend, von diesen dicken Scheiben, die, so dachte er, sie am Leben erhalten und ein wenig Glanz in ihre dunkel schimmernden Augen zuruckbringen wurden. Er gonnte es ihr von Herzen. Diese Vorstellung nahm ihm die Mutlosigkeit, und den ganzen nachsten Tag arbeitete er von Neuem mit einem Funken Lebenslust.
Der Nachmittag war elendig lang. Der Abend unendlich. Ungeduldig erwartete er die Nacht, begierig, mehr Nachrichten von seinem Bekannten zu erfahren.
Sie sprachen diesmal noch leiser und tauschten Neuigkeiten uber ihre beiden Familien aus – ein langer Nekrolog.
»Regina, deine kleine Nichte, ist in Sicherheit!«
Ein deutscher Offizier, berichtete er ihm, der spater erwischt und an die russische Front geschickt worden war, hatte viele Kinder in Waschekorben versteckt aus dem Ghetto geschafft; soweit er wusste, lebte das Madchen nun im Haus eines Musikers, eines ehemaligen Kunden von Daniel, ein Nichtjude, ein Sudetendeutscher, ein Goi, der das Herz am rechten Fleck hatte.
»Ich kenne Rudi, naturlich«, erklarte Daniel. »Er ist mit einer entfernten Cousine von mir verheiratet.«
»Sie leben jetzt au?erhalb von Krakau, im Haus des Gro?vaters«, sagte Freund, »sie geben sie als Nichte aus, und alle haben sie arische Papiere.«
Vielleicht, ziemlich sicher, wurde sie durchkommen. Als Nichte eines Ariers hatte die Kleine von drei Jahren die besten Voraussetzungen, dem Tod zu entrinnen, wenn sie bei ihren jetzigen Zieheltern nach der Unterernahrung im Ghetto wieder zu Kraften kam. Mein Gott, wie sehr er sich das wunschte!
Drau?en horte man den Regen. Alles wurde im Schlamm versinken, es wurde aber nicht mehr so kalt sein, dachte er und schlief mit dem metallischen Prasseln des Regens auf dem dunnen Blechdach der Baracke ein.
III
SIE SASSEN IN FINSTERNIS
GEBUNDEN IN
ELEND UND EISEN.
Ablehnung Raschers, eine »nordisch« aussehende Gefangene zu Versuchen zu benutzen, 1943
Zu den vom Reichsfuhrer=SS mit animalischer Warme befohlenen Aufwarmungsversuchen nach erfolgter Unterkuhlung wurden mir aus dem Frauen=KL Ravensbruck vier Frauen zugewiesen. Eine der zugewiesenen Frauen zeigte einwandfrei nordische Rassenmerkmale: blondes Haar, blaue Augen, entsprechende Kopfform und Korperbau, 21? Jahre. Ich stellte an dieses Madchen die Frage, wieso es sich ins Bordell gemeldet habe. Ich bekam die Antwort: »Um aus dem KL herauszukommen, denn es wurde uns versprochen, da? alle diejenigen, die sich fur ein halbes Jahr Bordell verpflichteten, dafur aus dem KL entlassen werden.« Auf meine Einwendung, da? es doch eine ungeheure Schmach sei, sich freiwillig als Bordellmadchen zu melden, wurde mir mitgeteilt: »Immer noch besser ein halbes Jahr Bordell als ein halbes Jahr KL.« Es folgte dann die Aufzahlung einer Reihe seltsamster Zustande aus dem Lager R. Die geschilderten Zustande wurden zum gro?ten Teil von den drei anderen Bordellmadchen und der aus Ravensbruck mitgekommenen Aufseherin bestatigt. Es widerstrebt meinem rassischen Empfinden, ein Madchen, das dem Au?eren nach rein nordisch ist und durch einen entsprechenden Arbeitseinsatz vielleicht auf den rechten Weg gefuhrt werden konnte, als Bordellmadchen rassisch minderwertigen KL-Elementen zu uberlassen. Aus diesem Grunde lehne ich die Verwendung dieses Madchens fur meine Versuchszwecke ab und machte entsprechende Meldung an den Kommandanten des Lagers und an den